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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die antisemitische Episode.

Die Bewegung war inzwischen von Monat zu Monat leidenschaftlicher ge¬
worden. Nichts half es, daß im Januar 1880 Pastor Gruber in seiner Schrift
"Christ und Jsraelit" eine Versöhnung der Philosemiten, unter denen sich Pro¬
fessor Mommsen hervorgethan hatte, mit den Antisemiten herbeizuführen versuchte,
und vergeblich war es, daß der Kronprinz, dem die Broschüre gewidmet war,
dem Verfasser den Wunsch ausdrückte, daß "sein Wort des Friedens in weite
Kreise dringen und die verdiente Anerkennung finden möge." Der Kampf nahm,
vorzüglich unter der studirenden Jugend, einen ernsten Charakter an. Ihren
Höhepunkt erreichte die Krisis mit der vielbesprochenen Pferdebahnnffäre, deren
Helden die Gymnasiallehrer Förster und Jungfer und auf der andern Seite der
jüdische Kaufmann Kantorowitz waren. Am 11. November 1880 gelangte die
Sache in die Berliner Stadtverordnetenversammlung, wo man soweit ging, die
Lehrer in ihrer Thätigkeit als solche einer abfälligen Kritik zu unterziehen. Da¬
gegen erfolgte unverweilt in der Broschüre "Die Judenfrage und die Gymnasial¬
lehrer" von Dr. Siecle, einem Kollegen Försters und Jungfers, ein kräftiger
Einspruch, dessen schlichter, ruhiger und doch selbstbewußter Ton sehr angenehm
berührte. Ungefähr um dieselbe Zeit erschien in der Vossischen Zeitung die soge¬
nannte Notabelncrklärnng, ein Protest vieler angesehenen Männer gegen den
Antisemitismus, und einer der Unterzeichner derselben, Mommsen, nahm Ge¬
legenheit, sich in einer besonderen Schrift "Auch ein Wort über unser Judentum"
über seine Stellung zu der Frage auszulassen. Er gestand das Vorhandensein
unberechtigter spezifisch-jüdischer Eigenschaften zu und verlangte von den Juden
bewußte Annäherung an das Deutschtum durch Ablegung dieser Eigenschaften.
Sonderbar aber klang es, wenn er, von dem Satze ausgehend, daß der Eintritt
in eine große Nation stets seinen Preis kostet, die Bemerkung machte, er koste
ihn für die Juden ebensoviel wie für die Holsteiner, Hannoveraner u. a. Der
Unterschied im Wesen deutscher Stämme ist im Vergleich mit deutschem und
jüdischem Wesen verschwindend klein, und überall ist zu beachten, daß die
Holsteiner, Hannoveraner u. a. stets Deutsche waren, also wohl in den deutschen
Staat, nicht aber in die deutsche Nationalität aufgenommen werden konnten,
wogegen die Juden stets Juden waren und blieben, und erst vor wenigen Jahr¬
zehnten Aufnahme nicht mir in einen ihnen fremden Staat, sondern in eine
ihnen heterogene Nationalität fanden.

Interessant ist, daß jetzt von jüdischer Seite der Versuch gemacht wurde,
das Judentum als etwas Solidarisches in die Bewegung hereinzuziehen. Pro¬
fessor Lazarus berief eine Versammlung angesehener Männer jüdischen Glaubens,
die am 1. Dezember 1880 zu dem Zwecke zusammentrat, die Juden als Ge¬
samtheit zu der Bewegung Stellung nehmen zu lassen. Wie das zu geschehen
habe, sollte ein Koniitce bestimmen. Die Versammlung fand denn auch statt,
und ein Komitee von 28 Personen wurde gewählt, aber von einer Wirksamkeit
desselben hat bis dato nicht das geringste von Belang verlautet. Dieselbe wäre


Grenzboten I. 1884. u
Die antisemitische Episode.

Die Bewegung war inzwischen von Monat zu Monat leidenschaftlicher ge¬
worden. Nichts half es, daß im Januar 1880 Pastor Gruber in seiner Schrift
„Christ und Jsraelit" eine Versöhnung der Philosemiten, unter denen sich Pro¬
fessor Mommsen hervorgethan hatte, mit den Antisemiten herbeizuführen versuchte,
und vergeblich war es, daß der Kronprinz, dem die Broschüre gewidmet war,
dem Verfasser den Wunsch ausdrückte, daß „sein Wort des Friedens in weite
Kreise dringen und die verdiente Anerkennung finden möge." Der Kampf nahm,
vorzüglich unter der studirenden Jugend, einen ernsten Charakter an. Ihren
Höhepunkt erreichte die Krisis mit der vielbesprochenen Pferdebahnnffäre, deren
Helden die Gymnasiallehrer Förster und Jungfer und auf der andern Seite der
jüdische Kaufmann Kantorowitz waren. Am 11. November 1880 gelangte die
Sache in die Berliner Stadtverordnetenversammlung, wo man soweit ging, die
Lehrer in ihrer Thätigkeit als solche einer abfälligen Kritik zu unterziehen. Da¬
gegen erfolgte unverweilt in der Broschüre „Die Judenfrage und die Gymnasial¬
lehrer" von Dr. Siecle, einem Kollegen Försters und Jungfers, ein kräftiger
Einspruch, dessen schlichter, ruhiger und doch selbstbewußter Ton sehr angenehm
berührte. Ungefähr um dieselbe Zeit erschien in der Vossischen Zeitung die soge¬
nannte Notabelncrklärnng, ein Protest vieler angesehenen Männer gegen den
Antisemitismus, und einer der Unterzeichner derselben, Mommsen, nahm Ge¬
legenheit, sich in einer besonderen Schrift „Auch ein Wort über unser Judentum"
über seine Stellung zu der Frage auszulassen. Er gestand das Vorhandensein
unberechtigter spezifisch-jüdischer Eigenschaften zu und verlangte von den Juden
bewußte Annäherung an das Deutschtum durch Ablegung dieser Eigenschaften.
Sonderbar aber klang es, wenn er, von dem Satze ausgehend, daß der Eintritt
in eine große Nation stets seinen Preis kostet, die Bemerkung machte, er koste
ihn für die Juden ebensoviel wie für die Holsteiner, Hannoveraner u. a. Der
Unterschied im Wesen deutscher Stämme ist im Vergleich mit deutschem und
jüdischem Wesen verschwindend klein, und überall ist zu beachten, daß die
Holsteiner, Hannoveraner u. a. stets Deutsche waren, also wohl in den deutschen
Staat, nicht aber in die deutsche Nationalität aufgenommen werden konnten,
wogegen die Juden stets Juden waren und blieben, und erst vor wenigen Jahr¬
zehnten Aufnahme nicht mir in einen ihnen fremden Staat, sondern in eine
ihnen heterogene Nationalität fanden.

Interessant ist, daß jetzt von jüdischer Seite der Versuch gemacht wurde,
das Judentum als etwas Solidarisches in die Bewegung hereinzuziehen. Pro¬
fessor Lazarus berief eine Versammlung angesehener Männer jüdischen Glaubens,
die am 1. Dezember 1880 zu dem Zwecke zusammentrat, die Juden als Ge¬
samtheit zu der Bewegung Stellung nehmen zu lassen. Wie das zu geschehen
habe, sollte ein Koniitce bestimmen. Die Versammlung fand denn auch statt,
und ein Komitee von 28 Personen wurde gewählt, aber von einer Wirksamkeit
desselben hat bis dato nicht das geringste von Belang verlautet. Dieselbe wäre


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[0051] Die antisemitische Episode. Die Bewegung war inzwischen von Monat zu Monat leidenschaftlicher ge¬ worden. Nichts half es, daß im Januar 1880 Pastor Gruber in seiner Schrift „Christ und Jsraelit" eine Versöhnung der Philosemiten, unter denen sich Pro¬ fessor Mommsen hervorgethan hatte, mit den Antisemiten herbeizuführen versuchte, und vergeblich war es, daß der Kronprinz, dem die Broschüre gewidmet war, dem Verfasser den Wunsch ausdrückte, daß „sein Wort des Friedens in weite Kreise dringen und die verdiente Anerkennung finden möge." Der Kampf nahm, vorzüglich unter der studirenden Jugend, einen ernsten Charakter an. Ihren Höhepunkt erreichte die Krisis mit der vielbesprochenen Pferdebahnnffäre, deren Helden die Gymnasiallehrer Förster und Jungfer und auf der andern Seite der jüdische Kaufmann Kantorowitz waren. Am 11. November 1880 gelangte die Sache in die Berliner Stadtverordnetenversammlung, wo man soweit ging, die Lehrer in ihrer Thätigkeit als solche einer abfälligen Kritik zu unterziehen. Da¬ gegen erfolgte unverweilt in der Broschüre „Die Judenfrage und die Gymnasial¬ lehrer" von Dr. Siecle, einem Kollegen Försters und Jungfers, ein kräftiger Einspruch, dessen schlichter, ruhiger und doch selbstbewußter Ton sehr angenehm berührte. Ungefähr um dieselbe Zeit erschien in der Vossischen Zeitung die soge¬ nannte Notabelncrklärnng, ein Protest vieler angesehenen Männer gegen den Antisemitismus, und einer der Unterzeichner derselben, Mommsen, nahm Ge¬ legenheit, sich in einer besonderen Schrift „Auch ein Wort über unser Judentum" über seine Stellung zu der Frage auszulassen. Er gestand das Vorhandensein unberechtigter spezifisch-jüdischer Eigenschaften zu und verlangte von den Juden bewußte Annäherung an das Deutschtum durch Ablegung dieser Eigenschaften. Sonderbar aber klang es, wenn er, von dem Satze ausgehend, daß der Eintritt in eine große Nation stets seinen Preis kostet, die Bemerkung machte, er koste ihn für die Juden ebensoviel wie für die Holsteiner, Hannoveraner u. a. Der Unterschied im Wesen deutscher Stämme ist im Vergleich mit deutschem und jüdischem Wesen verschwindend klein, und überall ist zu beachten, daß die Holsteiner, Hannoveraner u. a. stets Deutsche waren, also wohl in den deutschen Staat, nicht aber in die deutsche Nationalität aufgenommen werden konnten, wogegen die Juden stets Juden waren und blieben, und erst vor wenigen Jahr¬ zehnten Aufnahme nicht mir in einen ihnen fremden Staat, sondern in eine ihnen heterogene Nationalität fanden. Interessant ist, daß jetzt von jüdischer Seite der Versuch gemacht wurde, das Judentum als etwas Solidarisches in die Bewegung hereinzuziehen. Pro¬ fessor Lazarus berief eine Versammlung angesehener Männer jüdischen Glaubens, die am 1. Dezember 1880 zu dem Zwecke zusammentrat, die Juden als Ge¬ samtheit zu der Bewegung Stellung nehmen zu lassen. Wie das zu geschehen habe, sollte ein Koniitce bestimmen. Die Versammlung fand denn auch statt, und ein Komitee von 28 Personen wurde gewählt, aber von einer Wirksamkeit desselben hat bis dato nicht das geringste von Belang verlautet. Dieselbe wäre Grenzboten I. 1884. u

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/51>, abgerufen am 04.07.2024.