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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Unser Reichskanzler.

Macaulah, Ranke u. a. gesagt, es sei zwar möglich, daß hier ein Teil der
Wahrheit geboten werde, aber durchaus gewiß sei es nicht. Buschs Buch
mit seinen demi Fürsten abgelauschten Ansichten über den Wert der Staats---
archive befestigt in mir die Befürchtung, daß neunzig Prozent der sogenannten
Weltgeschichte nichts als Vermutung der Geschichtschreiber seien, und daß ein
verständiger Mann vielleicht besser thue, die Werke der Dichter als die Geschichts¬
bücher zu lesen. Denn in jenen findet er doch wenigstens die belehrende Dar¬
stellung allgemein menschlicher Eigenschaften und Beziehungen -- was aber
findet er in diesen? Die besten und sichersten Quellen des Historikers sind die
aktenmäßigen Berichte der Gesandten und Minister und die Aufzeichnungen der¬
jenigen Personen, welche einflußreichen politischen Persönlichkeiten sehr nahe
standen. Wie verhält es sich aber mit diesen hochgestellte!! Leuten? Busch
sagt (Bd. 2, S. 433): "Ich konnte nach eigner Beobachtung und aus sicherster
Quelle Dutzende von Belegen beibringen, wen" ich sage: nirgends unter der
Sonne vielleicht giebt es mehr Gleisner, Ränkespinner und Lügenschmiedc,
nirgends zwischen den beiden Polen der Erdachse mehr Eitelkeit, Verstellung
und Tücke, Scheinwesen und Strebertum als in der Sphäre der diplomatischen
Welt und auf dem Parkett, darauf das höhere Hofgesinde sich bewegt." Über
die Bundestagsgesandter, die doch in ihrer Art gerade so vernünftige und ein¬
sichtsvolle Männer waren, wie überhaupt Minister und Gesandte zu sein Pflegen,
schreibt Bismcirck im Mai 1851 (Bd. 1, S. 256): "Ich habe nie daran ge¬
zweifelt, daß sie alle mit Wasser kochen, aber eine solche nüchterne, einfältige
Wassersuppe, in der auch nicht ein einziges Fettange zu spüren ist, überrascht
mich. Schickt den Schulzen X. oder Herrn von ?arky aus dem Chausseehause
her, wenn sie gewaschen und gekämmt sind, so will ich in der Diplomatie Staat
mit ihnen machen. Jeder von uns stellt sich, als glaubte er vom andern, daß
er voller Gedanken und Entwürfe stecke, wenn ers nur aussprechen wollte, und
dabei wisse" wir alle zusammen nicht um ein Haar besser, was aus Deutschland
werden wird als Ducker Sommer. Kein Mensch, selbst der böswilligste Zweifler
von Demokrat, glaubt es, was für Charlatanerie und Wichtigthuerei in dieser
Diplomatie steckt." (Bd. 1, S. 266:) "Die Ruhe und Leichtigkeit, mit welcher er
fProkeW falsche Thatsachen aufstellt und wahre bestreitet, übertrifft meine in dieser
Beziehung ziemlich hochgespannter Erwartungen und findet ihre Ergänzung in
einem überraschenden Grade von Kaltblütigkeit im Fallenlassen eines Gegen¬
standes oder Veränderung der Front, sobald das Falsum, von dem er ausgeht,
nnausweichbar zur Anerkennung gebracht wird." Von demselben Herrn später
(Bd. 1, S. 260): "Die Wahrheit war ihm ganz gleichgiltig. Ich entsinne
mich, einmal, in einer großen Gesellschaft, wurde von einer österreichischen Be¬
hauptung gesprochen, die nicht mit der Wahrheit stimmte. Da sagte er, daß
ichs hören sollte, mit erhobener Stimme: Wenn das nicht wahr wäre, da
hätte ich ja im Namen der kaiserlich-königlichen Regierung gelogen! Dabei


Unser Reichskanzler.

Macaulah, Ranke u. a. gesagt, es sei zwar möglich, daß hier ein Teil der
Wahrheit geboten werde, aber durchaus gewiß sei es nicht. Buschs Buch
mit seinen demi Fürsten abgelauschten Ansichten über den Wert der Staats---
archive befestigt in mir die Befürchtung, daß neunzig Prozent der sogenannten
Weltgeschichte nichts als Vermutung der Geschichtschreiber seien, und daß ein
verständiger Mann vielleicht besser thue, die Werke der Dichter als die Geschichts¬
bücher zu lesen. Denn in jenen findet er doch wenigstens die belehrende Dar¬
stellung allgemein menschlicher Eigenschaften und Beziehungen — was aber
findet er in diesen? Die besten und sichersten Quellen des Historikers sind die
aktenmäßigen Berichte der Gesandten und Minister und die Aufzeichnungen der¬
jenigen Personen, welche einflußreichen politischen Persönlichkeiten sehr nahe
standen. Wie verhält es sich aber mit diesen hochgestellte!! Leuten? Busch
sagt (Bd. 2, S. 433): „Ich konnte nach eigner Beobachtung und aus sicherster
Quelle Dutzende von Belegen beibringen, wen» ich sage: nirgends unter der
Sonne vielleicht giebt es mehr Gleisner, Ränkespinner und Lügenschmiedc,
nirgends zwischen den beiden Polen der Erdachse mehr Eitelkeit, Verstellung
und Tücke, Scheinwesen und Strebertum als in der Sphäre der diplomatischen
Welt und auf dem Parkett, darauf das höhere Hofgesinde sich bewegt." Über
die Bundestagsgesandter, die doch in ihrer Art gerade so vernünftige und ein¬
sichtsvolle Männer waren, wie überhaupt Minister und Gesandte zu sein Pflegen,
schreibt Bismcirck im Mai 1851 (Bd. 1, S. 256): „Ich habe nie daran ge¬
zweifelt, daß sie alle mit Wasser kochen, aber eine solche nüchterne, einfältige
Wassersuppe, in der auch nicht ein einziges Fettange zu spüren ist, überrascht
mich. Schickt den Schulzen X. oder Herrn von ?arky aus dem Chausseehause
her, wenn sie gewaschen und gekämmt sind, so will ich in der Diplomatie Staat
mit ihnen machen. Jeder von uns stellt sich, als glaubte er vom andern, daß
er voller Gedanken und Entwürfe stecke, wenn ers nur aussprechen wollte, und
dabei wisse» wir alle zusammen nicht um ein Haar besser, was aus Deutschland
werden wird als Ducker Sommer. Kein Mensch, selbst der böswilligste Zweifler
von Demokrat, glaubt es, was für Charlatanerie und Wichtigthuerei in dieser
Diplomatie steckt." (Bd. 1, S. 266:) „Die Ruhe und Leichtigkeit, mit welcher er
fProkeW falsche Thatsachen aufstellt und wahre bestreitet, übertrifft meine in dieser
Beziehung ziemlich hochgespannter Erwartungen und findet ihre Ergänzung in
einem überraschenden Grade von Kaltblütigkeit im Fallenlassen eines Gegen¬
standes oder Veränderung der Front, sobald das Falsum, von dem er ausgeht,
nnausweichbar zur Anerkennung gebracht wird." Von demselben Herrn später
(Bd. 1, S. 260): „Die Wahrheit war ihm ganz gleichgiltig. Ich entsinne
mich, einmal, in einer großen Gesellschaft, wurde von einer österreichischen Be¬
hauptung gesprochen, die nicht mit der Wahrheit stimmte. Da sagte er, daß
ichs hören sollte, mit erhobener Stimme: Wenn das nicht wahr wäre, da
hätte ich ja im Namen der kaiserlich-königlichen Regierung gelogen! Dabei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/508>, abgerufen am 28.09.2024.