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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Unser Reichskanzler.

hohe Zeit dazu, einem Überfall von seiten derselben zu begegnen und die von ihrer
Mißgunst und Begehrlichkeit drohende Gefahr für deu Nachbar im Osten, womög-
lich für immer, zu beseitigen. Ihre Reizbarkeit bot in erster Linie das Mittel dazu,
ihr überstarkes Selbstgefühl, ihre geringe Kenntnis des Gegners und ihre daraus
resultirende Zuversichtlichkeit halfen weiter.

Man darf hier Wohl zwischen den Zeilen lesen/

Ich kann nicht leugnen, daß mich bei solchen Stellen von Buschs Buche
ein eigentümliches Gefühl überkam, welches ich oft bei Lektüre von historischen
und andern mit der hohen Politik beschäftigten Schriften gehabt habe: nämlich
eine Art von Frömmigkeit, die sich mit der Bewunderung vor dem großen
Mann der Geschichte vermischt. Denn, sagte ich mir, wie dankbar mußt dn
gegen Gott sein, daß du von ihm gerade in ein Land gesetzt worden bist, das
auf der siegreichen Seite ist, und wie gnädig wird es von Gott sein, wenn er
dich auch ferner auf der Seite des Stärkeren wohnen läßt. Verhält es sich
doch offenbar mit den politischen Ereignissen geradeso wie mit den Elementen.
Hier ist ein Gewitter, dort ein Erdbeben, hier eine Überschwemmung, dort ein
feuerspeiender Berg, und in der Politik ist "von dem Rechte, das mit uns ge¬
boren wird," ebensowenig die Rede wie in der Natur. So sagt auch Bismarck
(Bd 1, S. 114): "Wie Gott will! Es ist hier alles doch nur eine Zeitfrage,
Völker und Menschen, Thorheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen
und gehen wie Wasserwogen, und das Meer bleibt." Deshalb kommt mir auch,
was manche Historiker von einer Entwicklung der Kultur und vom Einfluß des
Christentums auf die europäischen Nationen reden, zwar wohlgemeint, aber nicht
recht überlegt vor. Denn was soll man daraus schließen, wenn der hervor¬
ragendste Staatsmann selbst in der christlichen Kirche, die doch die Verkörperung
des vom Christentum durchwehten und durchwehten Kulturfvrtgangs darstellt,
keine andern Grundsätze des Staatsgedankens findet, als sie schon zur Heidenzeit
giltig waren? "Auch privatim -- heißt es Bd. 1, S. 139 -- sprach Bis¬
marck sich wiederholt und noch im November 1883 dahin aus, daß im Kampfe
zwischen Königtum und Priestertum viel mehr ein Streit um weltliche Macht
borliege als ein Streit um Dogmen, und daß er in der römischen Kurie mehr
eine politische als eine christliche Institution erblicke, in dem Streite zwischen
Königtum und Priestertum aber das letztere nicht bloß heute und in Rom, son¬
dern schon zur Zeit von Agamemnon und Kalchas, in derjenigen der ägyptischen
Priester unter deu Pharaonen nud in derjenigen der Priesterkaste der alten
Perser, kurz in: Heidentums wie in: Christentums seine wirksamste Waffe in dem
Glauben besessen habe, daß der Priester deu Willen Gottes besser kenne als
der Laie, und also auch der König."

Aber noch eine andre Betrachtung drängte sich mir bei Lektüre dieses
Buches auf. Immer habe ich Geschichtsbücher mit einem instinktiven Mißtrauen
gelesen und mir auch bei den Werken unsrer hervorragendsten Historiker, eines


Grenzboten I. 1884. os
Unser Reichskanzler.

hohe Zeit dazu, einem Überfall von seiten derselben zu begegnen und die von ihrer
Mißgunst und Begehrlichkeit drohende Gefahr für deu Nachbar im Osten, womög-
lich für immer, zu beseitigen. Ihre Reizbarkeit bot in erster Linie das Mittel dazu,
ihr überstarkes Selbstgefühl, ihre geringe Kenntnis des Gegners und ihre daraus
resultirende Zuversichtlichkeit halfen weiter.

Man darf hier Wohl zwischen den Zeilen lesen/

Ich kann nicht leugnen, daß mich bei solchen Stellen von Buschs Buche
ein eigentümliches Gefühl überkam, welches ich oft bei Lektüre von historischen
und andern mit der hohen Politik beschäftigten Schriften gehabt habe: nämlich
eine Art von Frömmigkeit, die sich mit der Bewunderung vor dem großen
Mann der Geschichte vermischt. Denn, sagte ich mir, wie dankbar mußt dn
gegen Gott sein, daß du von ihm gerade in ein Land gesetzt worden bist, das
auf der siegreichen Seite ist, und wie gnädig wird es von Gott sein, wenn er
dich auch ferner auf der Seite des Stärkeren wohnen läßt. Verhält es sich
doch offenbar mit den politischen Ereignissen geradeso wie mit den Elementen.
Hier ist ein Gewitter, dort ein Erdbeben, hier eine Überschwemmung, dort ein
feuerspeiender Berg, und in der Politik ist „von dem Rechte, das mit uns ge¬
boren wird," ebensowenig die Rede wie in der Natur. So sagt auch Bismarck
(Bd 1, S. 114): „Wie Gott will! Es ist hier alles doch nur eine Zeitfrage,
Völker und Menschen, Thorheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen
und gehen wie Wasserwogen, und das Meer bleibt." Deshalb kommt mir auch,
was manche Historiker von einer Entwicklung der Kultur und vom Einfluß des
Christentums auf die europäischen Nationen reden, zwar wohlgemeint, aber nicht
recht überlegt vor. Denn was soll man daraus schließen, wenn der hervor¬
ragendste Staatsmann selbst in der christlichen Kirche, die doch die Verkörperung
des vom Christentum durchwehten und durchwehten Kulturfvrtgangs darstellt,
keine andern Grundsätze des Staatsgedankens findet, als sie schon zur Heidenzeit
giltig waren? „Auch privatim — heißt es Bd. 1, S. 139 — sprach Bis¬
marck sich wiederholt und noch im November 1883 dahin aus, daß im Kampfe
zwischen Königtum und Priestertum viel mehr ein Streit um weltliche Macht
borliege als ein Streit um Dogmen, und daß er in der römischen Kurie mehr
eine politische als eine christliche Institution erblicke, in dem Streite zwischen
Königtum und Priestertum aber das letztere nicht bloß heute und in Rom, son¬
dern schon zur Zeit von Agamemnon und Kalchas, in derjenigen der ägyptischen
Priester unter deu Pharaonen nud in derjenigen der Priesterkaste der alten
Perser, kurz in: Heidentums wie in: Christentums seine wirksamste Waffe in dem
Glauben besessen habe, daß der Priester deu Willen Gottes besser kenne als
der Laie, und also auch der König."

Aber noch eine andre Betrachtung drängte sich mir bei Lektüre dieses
Buches auf. Immer habe ich Geschichtsbücher mit einem instinktiven Mißtrauen
gelesen und mir auch bei den Werken unsrer hervorragendsten Historiker, eines


Grenzboten I. 1884. os
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[0507] Unser Reichskanzler. hohe Zeit dazu, einem Überfall von seiten derselben zu begegnen und die von ihrer Mißgunst und Begehrlichkeit drohende Gefahr für deu Nachbar im Osten, womög- lich für immer, zu beseitigen. Ihre Reizbarkeit bot in erster Linie das Mittel dazu, ihr überstarkes Selbstgefühl, ihre geringe Kenntnis des Gegners und ihre daraus resultirende Zuversichtlichkeit halfen weiter. Man darf hier Wohl zwischen den Zeilen lesen/ Ich kann nicht leugnen, daß mich bei solchen Stellen von Buschs Buche ein eigentümliches Gefühl überkam, welches ich oft bei Lektüre von historischen und andern mit der hohen Politik beschäftigten Schriften gehabt habe: nämlich eine Art von Frömmigkeit, die sich mit der Bewunderung vor dem großen Mann der Geschichte vermischt. Denn, sagte ich mir, wie dankbar mußt dn gegen Gott sein, daß du von ihm gerade in ein Land gesetzt worden bist, das auf der siegreichen Seite ist, und wie gnädig wird es von Gott sein, wenn er dich auch ferner auf der Seite des Stärkeren wohnen läßt. Verhält es sich doch offenbar mit den politischen Ereignissen geradeso wie mit den Elementen. Hier ist ein Gewitter, dort ein Erdbeben, hier eine Überschwemmung, dort ein feuerspeiender Berg, und in der Politik ist „von dem Rechte, das mit uns ge¬ boren wird," ebensowenig die Rede wie in der Natur. So sagt auch Bismarck (Bd 1, S. 114): „Wie Gott will! Es ist hier alles doch nur eine Zeitfrage, Völker und Menschen, Thorheit und Weisheit, Krieg und Frieden, sie kommen und gehen wie Wasserwogen, und das Meer bleibt." Deshalb kommt mir auch, was manche Historiker von einer Entwicklung der Kultur und vom Einfluß des Christentums auf die europäischen Nationen reden, zwar wohlgemeint, aber nicht recht überlegt vor. Denn was soll man daraus schließen, wenn der hervor¬ ragendste Staatsmann selbst in der christlichen Kirche, die doch die Verkörperung des vom Christentum durchwehten und durchwehten Kulturfvrtgangs darstellt, keine andern Grundsätze des Staatsgedankens findet, als sie schon zur Heidenzeit giltig waren? „Auch privatim — heißt es Bd. 1, S. 139 — sprach Bis¬ marck sich wiederholt und noch im November 1883 dahin aus, daß im Kampfe zwischen Königtum und Priestertum viel mehr ein Streit um weltliche Macht borliege als ein Streit um Dogmen, und daß er in der römischen Kurie mehr eine politische als eine christliche Institution erblicke, in dem Streite zwischen Königtum und Priestertum aber das letztere nicht bloß heute und in Rom, son¬ dern schon zur Zeit von Agamemnon und Kalchas, in derjenigen der ägyptischen Priester unter deu Pharaonen nud in derjenigen der Priesterkaste der alten Perser, kurz in: Heidentums wie in: Christentums seine wirksamste Waffe in dem Glauben besessen habe, daß der Priester deu Willen Gottes besser kenne als der Laie, und also auch der König." Aber noch eine andre Betrachtung drängte sich mir bei Lektüre dieses Buches auf. Immer habe ich Geschichtsbücher mit einem instinktiven Mißtrauen gelesen und mir auch bei den Werken unsrer hervorragendsten Historiker, eines Grenzboten I. 1884. os

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/507>, abgerufen am 28.09.2024.