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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Rußland und die armenische Frage.

lische Vorschläge der Kommissare der armenischen Bevölkerung zu Gute kamen.
Dort blieb daher alles beim Alten. Wenn die Klagen über die Räubereien
der Kurden sich allzulaut erhoben, schickte man einige Bataillone Nizams zum
Schutz der entlegenen Thäler aus. Aber die armenischen Bauern waren über
diese Einquartierung nicht immer erfreut; anstatt mit den verhältnismäßig genüg¬
samen Räubern, mußten sie ihre Vorräte jetzt mit den Truppen teilen. Der
militärische Schutz, der nicht einmal immer wirksam war, kam ihnen teurer zu
stehen als die Beutelust der Bergbewohner.

Ein rationelleres Mittel als die Aufbietung türkischer Streitkräfte lag in
der von der Pforte häufig mit Erfolg angewendeten Maßregel, die Häupter
unbotmäßiger Stämme nach Konstantinopel zu berufen und dort festzuhalten.
Dies System war beim letzten albanesischen Aufstande mit Erfolg in Anwendung
gekommen. Die Chefs der Liga wurden unter schönen Versprechungen nach
der Hauptstadt gelockt und dort bewacht. Einige hielt der Sultan als Führer
seiner Leibwache in seiner unmittelbarsten Umgebung fest. Jeder ihrer Schritte
konnte auf diese Weise leicht kontrolirt werden. Andre lebten in glänzender
Gefangenschaft. Die, welche für solche freundschaftliche Werbungen nicht genug
Verständnis zeigten, verschwanden überhaupt vom Schauplatze.

Aus ähnlichen politischen Gründen wird auch der junge Miriditenfürst
Prenk Bib Doda in Konstantinopel zurückgehalten und den Umtrieben seiner
Parteigenossen entzogen. Auch bei der letzten ägyptischen Krisis versuchte der
Sultan bekanntlich den Leiter der Bewegung, Arabi Pascha, zur Reise nach der
Hauptstadt zu bewegen; allein der schlaue Oberst wußte zu gut, welches Loos
ihm dort bevorstand, und traute den verlockenden Zusicherungen nicht. Dagegen
hatte der kurdische Häuptling Obeidullah die Einladung nach Konstantinopel
angenommen und die Abwesenheit ihres Anführers die Kurden zeitweilig von
Raubzügen abgehalten. Obeidullah wurde auf der ganzen Reise nach der Haupt¬
stadt voll den türkischen Provinzialbehörden aufs zuvorkommendste behandelt
und glänzend bewirtet. In Konstantinopel angelangt, überhäufte ihn der
Sultan mit Auszeichnungen und Geschenken. Er war Gast des Großherrn und
bewohnte einen eignen Palast, der ihm und seinen Begleitern für die Dauer
ihrer Anwesenheit überlassen war. Natürlich sollte diese glänzende Gefangen¬
schaft möglichst ausgedehnt und der Scheikh, wenn irgend thunlich, für
immer von der Heimat ferngehalten werden. Dies war wenig nach dem
Geschmack des freigeborenen Sohnes der Berge, mit Würde nahm er alle
ihm erwiesenen Ehrenbezeigungen entgegen und ging scheinbar auf alle Vor¬
schläge einer Übersiedelung ein. Regelmäßig am Freitag erschien er beim
Selamlik, der Sultan hatte dann oft ein freundliches Wort für den mäch¬
tigen Häuptling, dessen Stimme allein genügte, um die Leidenschaft seines Volks¬
stammes zu entfesseln oder zu beschwichtigen, und dessen Einfluß auch durch
die scharfe Überwachung keineswegs gebrochen oder geschmälert war. Aber schon


Rußland und die armenische Frage.

lische Vorschläge der Kommissare der armenischen Bevölkerung zu Gute kamen.
Dort blieb daher alles beim Alten. Wenn die Klagen über die Räubereien
der Kurden sich allzulaut erhoben, schickte man einige Bataillone Nizams zum
Schutz der entlegenen Thäler aus. Aber die armenischen Bauern waren über
diese Einquartierung nicht immer erfreut; anstatt mit den verhältnismäßig genüg¬
samen Räubern, mußten sie ihre Vorräte jetzt mit den Truppen teilen. Der
militärische Schutz, der nicht einmal immer wirksam war, kam ihnen teurer zu
stehen als die Beutelust der Bergbewohner.

Ein rationelleres Mittel als die Aufbietung türkischer Streitkräfte lag in
der von der Pforte häufig mit Erfolg angewendeten Maßregel, die Häupter
unbotmäßiger Stämme nach Konstantinopel zu berufen und dort festzuhalten.
Dies System war beim letzten albanesischen Aufstande mit Erfolg in Anwendung
gekommen. Die Chefs der Liga wurden unter schönen Versprechungen nach
der Hauptstadt gelockt und dort bewacht. Einige hielt der Sultan als Führer
seiner Leibwache in seiner unmittelbarsten Umgebung fest. Jeder ihrer Schritte
konnte auf diese Weise leicht kontrolirt werden. Andre lebten in glänzender
Gefangenschaft. Die, welche für solche freundschaftliche Werbungen nicht genug
Verständnis zeigten, verschwanden überhaupt vom Schauplatze.

Aus ähnlichen politischen Gründen wird auch der junge Miriditenfürst
Prenk Bib Doda in Konstantinopel zurückgehalten und den Umtrieben seiner
Parteigenossen entzogen. Auch bei der letzten ägyptischen Krisis versuchte der
Sultan bekanntlich den Leiter der Bewegung, Arabi Pascha, zur Reise nach der
Hauptstadt zu bewegen; allein der schlaue Oberst wußte zu gut, welches Loos
ihm dort bevorstand, und traute den verlockenden Zusicherungen nicht. Dagegen
hatte der kurdische Häuptling Obeidullah die Einladung nach Konstantinopel
angenommen und die Abwesenheit ihres Anführers die Kurden zeitweilig von
Raubzügen abgehalten. Obeidullah wurde auf der ganzen Reise nach der Haupt¬
stadt voll den türkischen Provinzialbehörden aufs zuvorkommendste behandelt
und glänzend bewirtet. In Konstantinopel angelangt, überhäufte ihn der
Sultan mit Auszeichnungen und Geschenken. Er war Gast des Großherrn und
bewohnte einen eignen Palast, der ihm und seinen Begleitern für die Dauer
ihrer Anwesenheit überlassen war. Natürlich sollte diese glänzende Gefangen¬
schaft möglichst ausgedehnt und der Scheikh, wenn irgend thunlich, für
immer von der Heimat ferngehalten werden. Dies war wenig nach dem
Geschmack des freigeborenen Sohnes der Berge, mit Würde nahm er alle
ihm erwiesenen Ehrenbezeigungen entgegen und ging scheinbar auf alle Vor¬
schläge einer Übersiedelung ein. Regelmäßig am Freitag erschien er beim
Selamlik, der Sultan hatte dann oft ein freundliches Wort für den mäch¬
tigen Häuptling, dessen Stimme allein genügte, um die Leidenschaft seines Volks¬
stammes zu entfesseln oder zu beschwichtigen, und dessen Einfluß auch durch
die scharfe Überwachung keineswegs gebrochen oder geschmälert war. Aber schon


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[0498] Rußland und die armenische Frage. lische Vorschläge der Kommissare der armenischen Bevölkerung zu Gute kamen. Dort blieb daher alles beim Alten. Wenn die Klagen über die Räubereien der Kurden sich allzulaut erhoben, schickte man einige Bataillone Nizams zum Schutz der entlegenen Thäler aus. Aber die armenischen Bauern waren über diese Einquartierung nicht immer erfreut; anstatt mit den verhältnismäßig genüg¬ samen Räubern, mußten sie ihre Vorräte jetzt mit den Truppen teilen. Der militärische Schutz, der nicht einmal immer wirksam war, kam ihnen teurer zu stehen als die Beutelust der Bergbewohner. Ein rationelleres Mittel als die Aufbietung türkischer Streitkräfte lag in der von der Pforte häufig mit Erfolg angewendeten Maßregel, die Häupter unbotmäßiger Stämme nach Konstantinopel zu berufen und dort festzuhalten. Dies System war beim letzten albanesischen Aufstande mit Erfolg in Anwendung gekommen. Die Chefs der Liga wurden unter schönen Versprechungen nach der Hauptstadt gelockt und dort bewacht. Einige hielt der Sultan als Führer seiner Leibwache in seiner unmittelbarsten Umgebung fest. Jeder ihrer Schritte konnte auf diese Weise leicht kontrolirt werden. Andre lebten in glänzender Gefangenschaft. Die, welche für solche freundschaftliche Werbungen nicht genug Verständnis zeigten, verschwanden überhaupt vom Schauplatze. Aus ähnlichen politischen Gründen wird auch der junge Miriditenfürst Prenk Bib Doda in Konstantinopel zurückgehalten und den Umtrieben seiner Parteigenossen entzogen. Auch bei der letzten ägyptischen Krisis versuchte der Sultan bekanntlich den Leiter der Bewegung, Arabi Pascha, zur Reise nach der Hauptstadt zu bewegen; allein der schlaue Oberst wußte zu gut, welches Loos ihm dort bevorstand, und traute den verlockenden Zusicherungen nicht. Dagegen hatte der kurdische Häuptling Obeidullah die Einladung nach Konstantinopel angenommen und die Abwesenheit ihres Anführers die Kurden zeitweilig von Raubzügen abgehalten. Obeidullah wurde auf der ganzen Reise nach der Haupt¬ stadt voll den türkischen Provinzialbehörden aufs zuvorkommendste behandelt und glänzend bewirtet. In Konstantinopel angelangt, überhäufte ihn der Sultan mit Auszeichnungen und Geschenken. Er war Gast des Großherrn und bewohnte einen eignen Palast, der ihm und seinen Begleitern für die Dauer ihrer Anwesenheit überlassen war. Natürlich sollte diese glänzende Gefangen¬ schaft möglichst ausgedehnt und der Scheikh, wenn irgend thunlich, für immer von der Heimat ferngehalten werden. Dies war wenig nach dem Geschmack des freigeborenen Sohnes der Berge, mit Würde nahm er alle ihm erwiesenen Ehrenbezeigungen entgegen und ging scheinbar auf alle Vor¬ schläge einer Übersiedelung ein. Regelmäßig am Freitag erschien er beim Selamlik, der Sultan hatte dann oft ein freundliches Wort für den mäch¬ tigen Häuptling, dessen Stimme allein genügte, um die Leidenschaft seines Volks¬ stammes zu entfesseln oder zu beschwichtigen, und dessen Einfluß auch durch die scharfe Überwachung keineswegs gebrochen oder geschmälert war. Aber schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/498>, abgerufen am 28.09.2024.