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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Sprachenstreit in (Österreich.

schied der Nationalität Hand in Hand gingen und deutsche Dichter, wie A. Meißner,
tschechische Helden feierten, brachte das Bewegungsjahr sehr bald eine Scheidung nach
antionalen Lagern. Die gestern noch Schulter an Schulter kämpften, standen
heute als nationale Gegner einander gegenüber. Seitdem ist der Riß immer
klaffender geworden. Man sprach von "unterdrückten Nationalitäten" und be¬
zeichnete, als ob sich solches von selbst verstünde, kurzweg die Deutschen in
Österreich als die Unterdrücker, obwohl diese an der Unterdrückung so un¬
schuldig waren wie der Mann im Monde, denn die österreichische Regierung
vor 1848 machte, gleich der Reaktion der fünfziger Jahre, nicht den geringsten
Unterschied zwischen Deutschen und nichtdeutschen. Aber die Regierung sprach
deutsch, mithin waren die Deutschen die "Unterdrücker," und dabei hatte es
sein Bewenden.

Sobald sich die nationalen Parteien nach 1859 wieder ein wenig regen
konnten, suchten sie vor allem die "lieben Kleinen," d. h. die Schule, in die
Hand zu bekommen. Es entstanden nationale Kindergärten, Volksschulen, Mittel¬
schulen, Fachschulen und schließlich auch Hochschulen. Der Ausgleich mit Ungarn
gab diesem Lande die nationale Selbständigkeit zurück. Der erste Gebrauch, den
die Magyaren davon machten, war bekanntlich die Vertreibung der unter Bach
nach Ungarn geschickten Deutschen, richtiger gesagt, der nicht magyarisch sprechenden
Beamten, Lehrer und Professoren (zum größten Teile Tschechen, Mähren und
Schlesier). Seitdem geht Ungarn seine eignen Wege, und die Vorgänge jenseit
der Leitha kommen für Österreich erst in zweiter Reihe in Betracht.

Daß jedes Volk und jeder Volksstamm bestrebt ist, seine Eigenart, zunächst
seine Sprache, zu Pflegen, ist nur in der Ordnung. Mit welchem Rechte wollen
wir andern verweigern, was wir für uns selbst beanspruchen? Überdies haben
die Nationalitäten in Österreich auch den klaren Wortlaut des Gesetzes für sich.
Somit wäre also alles gut. Die Tschechen besitzen ihre tschechischen, die
Deutschen deutsche, die Polen polnische, die Slovenen slovenische :c> Unterrichts-
anstalten, und dem edeln Wettkampfe auf dem Gebiete des geistigen Lebens
sind die Schranken geöffnet.

Nur schade, daß es, wie mit so mancher andern schönen Sache in dieser
unvollkommenen Welt, auch mit der durch den famosen §19 verbrieften "Gleich¬
berechtigung in Schule, Amt und öffentlichem Leben" in Österreich einen garstigen
Haken hat, und dieser Haken ist gerade dasjenige, um was seit mehr als dreißig
Jahren so heftig gezankt wird, nämlich die Sprache, oder vielmehr es sind die
Sprachen.

Sehen wir einmal, wie es um die sprachliche Gleichberechtigung, aus der
Theorie ins Praktische übertragen, aussieht.

Bekanntlich besitzt unser geliebtes Deutsch die schlimme Eigenschaft, eine sehr
schwere Sprache zu sein, und dasselbe gilt von den verschiednen slavischen wie
von der magyarischen Sprache. Nun bestimmt zwar das Gesetz, daß das Deutsche


Der Sprachenstreit in (Österreich.

schied der Nationalität Hand in Hand gingen und deutsche Dichter, wie A. Meißner,
tschechische Helden feierten, brachte das Bewegungsjahr sehr bald eine Scheidung nach
antionalen Lagern. Die gestern noch Schulter an Schulter kämpften, standen
heute als nationale Gegner einander gegenüber. Seitdem ist der Riß immer
klaffender geworden. Man sprach von „unterdrückten Nationalitäten" und be¬
zeichnete, als ob sich solches von selbst verstünde, kurzweg die Deutschen in
Österreich als die Unterdrücker, obwohl diese an der Unterdrückung so un¬
schuldig waren wie der Mann im Monde, denn die österreichische Regierung
vor 1848 machte, gleich der Reaktion der fünfziger Jahre, nicht den geringsten
Unterschied zwischen Deutschen und nichtdeutschen. Aber die Regierung sprach
deutsch, mithin waren die Deutschen die „Unterdrücker," und dabei hatte es
sein Bewenden.

Sobald sich die nationalen Parteien nach 1859 wieder ein wenig regen
konnten, suchten sie vor allem die „lieben Kleinen," d. h. die Schule, in die
Hand zu bekommen. Es entstanden nationale Kindergärten, Volksschulen, Mittel¬
schulen, Fachschulen und schließlich auch Hochschulen. Der Ausgleich mit Ungarn
gab diesem Lande die nationale Selbständigkeit zurück. Der erste Gebrauch, den
die Magyaren davon machten, war bekanntlich die Vertreibung der unter Bach
nach Ungarn geschickten Deutschen, richtiger gesagt, der nicht magyarisch sprechenden
Beamten, Lehrer und Professoren (zum größten Teile Tschechen, Mähren und
Schlesier). Seitdem geht Ungarn seine eignen Wege, und die Vorgänge jenseit
der Leitha kommen für Österreich erst in zweiter Reihe in Betracht.

Daß jedes Volk und jeder Volksstamm bestrebt ist, seine Eigenart, zunächst
seine Sprache, zu Pflegen, ist nur in der Ordnung. Mit welchem Rechte wollen
wir andern verweigern, was wir für uns selbst beanspruchen? Überdies haben
die Nationalitäten in Österreich auch den klaren Wortlaut des Gesetzes für sich.
Somit wäre also alles gut. Die Tschechen besitzen ihre tschechischen, die
Deutschen deutsche, die Polen polnische, die Slovenen slovenische :c> Unterrichts-
anstalten, und dem edeln Wettkampfe auf dem Gebiete des geistigen Lebens
sind die Schranken geöffnet.

Nur schade, daß es, wie mit so mancher andern schönen Sache in dieser
unvollkommenen Welt, auch mit der durch den famosen §19 verbrieften „Gleich¬
berechtigung in Schule, Amt und öffentlichem Leben" in Österreich einen garstigen
Haken hat, und dieser Haken ist gerade dasjenige, um was seit mehr als dreißig
Jahren so heftig gezankt wird, nämlich die Sprache, oder vielmehr es sind die
Sprachen.

Sehen wir einmal, wie es um die sprachliche Gleichberechtigung, aus der
Theorie ins Praktische übertragen, aussieht.

Bekanntlich besitzt unser geliebtes Deutsch die schlimme Eigenschaft, eine sehr
schwere Sprache zu sein, und dasselbe gilt von den verschiednen slavischen wie
von der magyarischen Sprache. Nun bestimmt zwar das Gesetz, daß das Deutsche


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[0493] Der Sprachenstreit in (Österreich. schied der Nationalität Hand in Hand gingen und deutsche Dichter, wie A. Meißner, tschechische Helden feierten, brachte das Bewegungsjahr sehr bald eine Scheidung nach antionalen Lagern. Die gestern noch Schulter an Schulter kämpften, standen heute als nationale Gegner einander gegenüber. Seitdem ist der Riß immer klaffender geworden. Man sprach von „unterdrückten Nationalitäten" und be¬ zeichnete, als ob sich solches von selbst verstünde, kurzweg die Deutschen in Österreich als die Unterdrücker, obwohl diese an der Unterdrückung so un¬ schuldig waren wie der Mann im Monde, denn die österreichische Regierung vor 1848 machte, gleich der Reaktion der fünfziger Jahre, nicht den geringsten Unterschied zwischen Deutschen und nichtdeutschen. Aber die Regierung sprach deutsch, mithin waren die Deutschen die „Unterdrücker," und dabei hatte es sein Bewenden. Sobald sich die nationalen Parteien nach 1859 wieder ein wenig regen konnten, suchten sie vor allem die „lieben Kleinen," d. h. die Schule, in die Hand zu bekommen. Es entstanden nationale Kindergärten, Volksschulen, Mittel¬ schulen, Fachschulen und schließlich auch Hochschulen. Der Ausgleich mit Ungarn gab diesem Lande die nationale Selbständigkeit zurück. Der erste Gebrauch, den die Magyaren davon machten, war bekanntlich die Vertreibung der unter Bach nach Ungarn geschickten Deutschen, richtiger gesagt, der nicht magyarisch sprechenden Beamten, Lehrer und Professoren (zum größten Teile Tschechen, Mähren und Schlesier). Seitdem geht Ungarn seine eignen Wege, und die Vorgänge jenseit der Leitha kommen für Österreich erst in zweiter Reihe in Betracht. Daß jedes Volk und jeder Volksstamm bestrebt ist, seine Eigenart, zunächst seine Sprache, zu Pflegen, ist nur in der Ordnung. Mit welchem Rechte wollen wir andern verweigern, was wir für uns selbst beanspruchen? Überdies haben die Nationalitäten in Österreich auch den klaren Wortlaut des Gesetzes für sich. Somit wäre also alles gut. Die Tschechen besitzen ihre tschechischen, die Deutschen deutsche, die Polen polnische, die Slovenen slovenische :c> Unterrichts- anstalten, und dem edeln Wettkampfe auf dem Gebiete des geistigen Lebens sind die Schranken geöffnet. Nur schade, daß es, wie mit so mancher andern schönen Sache in dieser unvollkommenen Welt, auch mit der durch den famosen §19 verbrieften „Gleich¬ berechtigung in Schule, Amt und öffentlichem Leben" in Österreich einen garstigen Haken hat, und dieser Haken ist gerade dasjenige, um was seit mehr als dreißig Jahren so heftig gezankt wird, nämlich die Sprache, oder vielmehr es sind die Sprachen. Sehen wir einmal, wie es um die sprachliche Gleichberechtigung, aus der Theorie ins Praktische übertragen, aussieht. Bekanntlich besitzt unser geliebtes Deutsch die schlimme Eigenschaft, eine sehr schwere Sprache zu sein, und dasselbe gilt von den verschiednen slavischen wie von der magyarischen Sprache. Nun bestimmt zwar das Gesetz, daß das Deutsche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/493>, abgerufen am 01.10.2024.