Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus dem preußischen Landtage.

Der Verlauf der Debatte über den Reichenspergerschen Antrag konnte den
Kultusminister keinen Augenblick darüber in Zweifel lassen, daß das Zentrum
die Gelegenheit der Beratung des Kultusetats wahrnehmen werde, um ihm von
neuem hart zu Leibe zu gehen. Herr von Goßler ist aber ein so redegewandter
und schlagfertiger Minister, daß ihm die Angriffe der Herren aus der Mitte
wenig anhaben konnten. Nichtsdestoweniger erlitt er eine "Niederlage," welche
bei rigoroser Parlamentsrcgierung seinen Rücktritt zur Folge gehabt haben
würde; sie wurde ihm aber nicht von den Klerikalen, sondern von deren Bundes¬
genossen, den Konservativen, beigebracht, welche wieder einmal die Sonntags-
hciligung zum Gegenstande langwieriger Erörterungen machten und für einen
Antrag des Abgeordneten von Zedlitz, die Beseitigung der Unterrichtsstunden
in den Fortbildungsschulen während des Hauptgottesdienstes betreffend, stimmten,
obwohl der Minister sich im Prinzip mit den von den Befürwortern des An¬
trages vertretenen Anschauungen einverstanden erklärt und nur gegen die Un¬
zweckmäßigst des Antrages seine Bedenke" geäußert hatte, die darin gipfelten,
daß man die jungen Leute, welche jetzt Sonntags vormittags die Fortbildungs¬
schule besuchten, nach Beseitigung dieser Schulstunden nicht zum Besuch der
Kirche nötigen könne, daß sie vielmehr die ihnen so aufgezwungene freie Zeit
zu Zerstreuungen benutzen würden, welche für Geist und Leib gleich nachteilig
wären. Natürlich war das Ergebnis der Abstimmung über den Zedlitzschcn
Antrag für die liberale Opposition ein großes Gaudium; konnte sie doch ans die
Zerfahrenheit innerhalb der konservativen Parteien hinweisen, die es möglich
machte, einem konservativen, in jeder Beziehung verdienstvollen Minister in
einer so untergeordneten Frage eine Schlappe beizubringen.

Einen besondern Angriffspunkt bot dem Zentrum in dem Kultusetat die
Forderung von zwei Millionen Mark für Kunstzwecke. Da agirte Herr Windthorst
wieder einmal in der Rolle des Volksfreundes, des Verfechters der Ansprüche
des "armen Mannes"; er könne es nicht über sein Gewissen bringen, für
Knnstzwecke eine solche Summe zu bewilligen, solange es noch Leute im Staate
gebe, die Hunger litten.

Die Forderung wurde unter dem Beifall der Liberalen bewilligt, denen jn
bekanntlich "in der Förderung von Kunst und Wissenschaft kein Opfer zu groß"
ist. Wer auch auf diesem Gebiete den von ihnen sonst so nachdrücklich ge¬
predigten Grundsätzen der reiflicher Erwägung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit
der Steuerkraft des Volkes huldigt und auch hier daran erinnert: IZst moan8
in rsbus, sunt osrti äMi^us dass -- der wird als ein "Dunkelmann" und Erz¬
reaktionär verschrieen. Aber es giebt Leute genug, die in Bezug auf "Auf¬
klärung" und als "Lichtfreunde" den Herren von der Linken so nahe als möglich
stehen und doch die Ansicht vertreten, daß auch auf dem Gebiete von "Kunst
und Wissenschaft" ein Zuviel gethan werden könne und wir in Berlin nicht
mehr weit von diesem Punkte entfernt seien. Die "Kunstsimpclei" grassirt


Aus dem preußischen Landtage.

Der Verlauf der Debatte über den Reichenspergerschen Antrag konnte den
Kultusminister keinen Augenblick darüber in Zweifel lassen, daß das Zentrum
die Gelegenheit der Beratung des Kultusetats wahrnehmen werde, um ihm von
neuem hart zu Leibe zu gehen. Herr von Goßler ist aber ein so redegewandter
und schlagfertiger Minister, daß ihm die Angriffe der Herren aus der Mitte
wenig anhaben konnten. Nichtsdestoweniger erlitt er eine „Niederlage," welche
bei rigoroser Parlamentsrcgierung seinen Rücktritt zur Folge gehabt haben
würde; sie wurde ihm aber nicht von den Klerikalen, sondern von deren Bundes¬
genossen, den Konservativen, beigebracht, welche wieder einmal die Sonntags-
hciligung zum Gegenstande langwieriger Erörterungen machten und für einen
Antrag des Abgeordneten von Zedlitz, die Beseitigung der Unterrichtsstunden
in den Fortbildungsschulen während des Hauptgottesdienstes betreffend, stimmten,
obwohl der Minister sich im Prinzip mit den von den Befürwortern des An¬
trages vertretenen Anschauungen einverstanden erklärt und nur gegen die Un¬
zweckmäßigst des Antrages seine Bedenke» geäußert hatte, die darin gipfelten,
daß man die jungen Leute, welche jetzt Sonntags vormittags die Fortbildungs¬
schule besuchten, nach Beseitigung dieser Schulstunden nicht zum Besuch der
Kirche nötigen könne, daß sie vielmehr die ihnen so aufgezwungene freie Zeit
zu Zerstreuungen benutzen würden, welche für Geist und Leib gleich nachteilig
wären. Natürlich war das Ergebnis der Abstimmung über den Zedlitzschcn
Antrag für die liberale Opposition ein großes Gaudium; konnte sie doch ans die
Zerfahrenheit innerhalb der konservativen Parteien hinweisen, die es möglich
machte, einem konservativen, in jeder Beziehung verdienstvollen Minister in
einer so untergeordneten Frage eine Schlappe beizubringen.

Einen besondern Angriffspunkt bot dem Zentrum in dem Kultusetat die
Forderung von zwei Millionen Mark für Kunstzwecke. Da agirte Herr Windthorst
wieder einmal in der Rolle des Volksfreundes, des Verfechters der Ansprüche
des „armen Mannes"; er könne es nicht über sein Gewissen bringen, für
Knnstzwecke eine solche Summe zu bewilligen, solange es noch Leute im Staate
gebe, die Hunger litten.

Die Forderung wurde unter dem Beifall der Liberalen bewilligt, denen jn
bekanntlich „in der Förderung von Kunst und Wissenschaft kein Opfer zu groß"
ist. Wer auch auf diesem Gebiete den von ihnen sonst so nachdrücklich ge¬
predigten Grundsätzen der reiflicher Erwägung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit
der Steuerkraft des Volkes huldigt und auch hier daran erinnert: IZst moan8
in rsbus, sunt osrti äMi^us dass — der wird als ein „Dunkelmann" und Erz¬
reaktionär verschrieen. Aber es giebt Leute genug, die in Bezug auf „Auf¬
klärung" und als „Lichtfreunde" den Herren von der Linken so nahe als möglich
stehen und doch die Ansicht vertreten, daß auch auf dem Gebiete von „Kunst
und Wissenschaft" ein Zuviel gethan werden könne und wir in Berlin nicht
mehr weit von diesem Punkte entfernt seien. Die „Kunstsimpclei" grassirt


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0473" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155356"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus dem preußischen Landtage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1872"> Der Verlauf der Debatte über den Reichenspergerschen Antrag konnte den<lb/>
Kultusminister keinen Augenblick darüber in Zweifel lassen, daß das Zentrum<lb/>
die Gelegenheit der Beratung des Kultusetats wahrnehmen werde, um ihm von<lb/>
neuem hart zu Leibe zu gehen. Herr von Goßler ist aber ein so redegewandter<lb/>
und schlagfertiger Minister, daß ihm die Angriffe der Herren aus der Mitte<lb/>
wenig anhaben konnten. Nichtsdestoweniger erlitt er eine &#x201E;Niederlage," welche<lb/>
bei rigoroser Parlamentsrcgierung seinen Rücktritt zur Folge gehabt haben<lb/>
würde; sie wurde ihm aber nicht von den Klerikalen, sondern von deren Bundes¬<lb/>
genossen, den Konservativen, beigebracht, welche wieder einmal die Sonntags-<lb/>
hciligung zum Gegenstande langwieriger Erörterungen machten und für einen<lb/>
Antrag des Abgeordneten von Zedlitz, die Beseitigung der Unterrichtsstunden<lb/>
in den Fortbildungsschulen während des Hauptgottesdienstes betreffend, stimmten,<lb/>
obwohl der Minister sich im Prinzip mit den von den Befürwortern des An¬<lb/>
trages vertretenen Anschauungen einverstanden erklärt und nur gegen die Un¬<lb/>
zweckmäßigst des Antrages seine Bedenke» geäußert hatte, die darin gipfelten,<lb/>
daß man die jungen Leute, welche jetzt Sonntags vormittags die Fortbildungs¬<lb/>
schule besuchten, nach Beseitigung dieser Schulstunden nicht zum Besuch der<lb/>
Kirche nötigen könne, daß sie vielmehr die ihnen so aufgezwungene freie Zeit<lb/>
zu Zerstreuungen benutzen würden, welche für Geist und Leib gleich nachteilig<lb/>
wären. Natürlich war das Ergebnis der Abstimmung über den Zedlitzschcn<lb/>
Antrag für die liberale Opposition ein großes Gaudium; konnte sie doch ans die<lb/>
Zerfahrenheit innerhalb der konservativen Parteien hinweisen, die es möglich<lb/>
machte, einem konservativen, in jeder Beziehung verdienstvollen Minister in<lb/>
einer so untergeordneten Frage eine Schlappe beizubringen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1873"> Einen besondern Angriffspunkt bot dem Zentrum in dem Kultusetat die<lb/>
Forderung von zwei Millionen Mark für Kunstzwecke. Da agirte Herr Windthorst<lb/>
wieder einmal in der Rolle des Volksfreundes, des Verfechters der Ansprüche<lb/>
des &#x201E;armen Mannes"; er könne es nicht über sein Gewissen bringen, für<lb/>
Knnstzwecke eine solche Summe zu bewilligen, solange es noch Leute im Staate<lb/>
gebe, die Hunger litten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1874" next="#ID_1875"> Die Forderung wurde unter dem Beifall der Liberalen bewilligt, denen jn<lb/>
bekanntlich &#x201E;in der Förderung von Kunst und Wissenschaft kein Opfer zu groß"<lb/>
ist. Wer auch auf diesem Gebiete den von ihnen sonst so nachdrücklich ge¬<lb/>
predigten Grundsätzen der reiflicher Erwägung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit<lb/>
der Steuerkraft des Volkes huldigt und auch hier daran erinnert: IZst moan8<lb/>
in rsbus, sunt osrti äMi^us dass &#x2014; der wird als ein &#x201E;Dunkelmann" und Erz¬<lb/>
reaktionär verschrieen. Aber es giebt Leute genug, die in Bezug auf &#x201E;Auf¬<lb/>
klärung" und als &#x201E;Lichtfreunde" den Herren von der Linken so nahe als möglich<lb/>
stehen und doch die Ansicht vertreten, daß auch auf dem Gebiete von &#x201E;Kunst<lb/>
und Wissenschaft" ein Zuviel gethan werden könne und wir in Berlin nicht<lb/>
mehr weit von diesem Punkte entfernt seien.  Die &#x201E;Kunstsimpclei" grassirt</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0473] Aus dem preußischen Landtage. Der Verlauf der Debatte über den Reichenspergerschen Antrag konnte den Kultusminister keinen Augenblick darüber in Zweifel lassen, daß das Zentrum die Gelegenheit der Beratung des Kultusetats wahrnehmen werde, um ihm von neuem hart zu Leibe zu gehen. Herr von Goßler ist aber ein so redegewandter und schlagfertiger Minister, daß ihm die Angriffe der Herren aus der Mitte wenig anhaben konnten. Nichtsdestoweniger erlitt er eine „Niederlage," welche bei rigoroser Parlamentsrcgierung seinen Rücktritt zur Folge gehabt haben würde; sie wurde ihm aber nicht von den Klerikalen, sondern von deren Bundes¬ genossen, den Konservativen, beigebracht, welche wieder einmal die Sonntags- hciligung zum Gegenstande langwieriger Erörterungen machten und für einen Antrag des Abgeordneten von Zedlitz, die Beseitigung der Unterrichtsstunden in den Fortbildungsschulen während des Hauptgottesdienstes betreffend, stimmten, obwohl der Minister sich im Prinzip mit den von den Befürwortern des An¬ trages vertretenen Anschauungen einverstanden erklärt und nur gegen die Un¬ zweckmäßigst des Antrages seine Bedenke» geäußert hatte, die darin gipfelten, daß man die jungen Leute, welche jetzt Sonntags vormittags die Fortbildungs¬ schule besuchten, nach Beseitigung dieser Schulstunden nicht zum Besuch der Kirche nötigen könne, daß sie vielmehr die ihnen so aufgezwungene freie Zeit zu Zerstreuungen benutzen würden, welche für Geist und Leib gleich nachteilig wären. Natürlich war das Ergebnis der Abstimmung über den Zedlitzschcn Antrag für die liberale Opposition ein großes Gaudium; konnte sie doch ans die Zerfahrenheit innerhalb der konservativen Parteien hinweisen, die es möglich machte, einem konservativen, in jeder Beziehung verdienstvollen Minister in einer so untergeordneten Frage eine Schlappe beizubringen. Einen besondern Angriffspunkt bot dem Zentrum in dem Kultusetat die Forderung von zwei Millionen Mark für Kunstzwecke. Da agirte Herr Windthorst wieder einmal in der Rolle des Volksfreundes, des Verfechters der Ansprüche des „armen Mannes"; er könne es nicht über sein Gewissen bringen, für Knnstzwecke eine solche Summe zu bewilligen, solange es noch Leute im Staate gebe, die Hunger litten. Die Forderung wurde unter dem Beifall der Liberalen bewilligt, denen jn bekanntlich „in der Förderung von Kunst und Wissenschaft kein Opfer zu groß" ist. Wer auch auf diesem Gebiete den von ihnen sonst so nachdrücklich ge¬ predigten Grundsätzen der reiflicher Erwägung hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Steuerkraft des Volkes huldigt und auch hier daran erinnert: IZst moan8 in rsbus, sunt osrti äMi^us dass — der wird als ein „Dunkelmann" und Erz¬ reaktionär verschrieen. Aber es giebt Leute genug, die in Bezug auf „Auf¬ klärung" und als „Lichtfreunde" den Herren von der Linken so nahe als möglich stehen und doch die Ansicht vertreten, daß auch auf dem Gebiete von „Kunst und Wissenschaft" ein Zuviel gethan werden könne und wir in Berlin nicht mehr weit von diesem Punkte entfernt seien. Die „Kunstsimpclei" grassirt

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/473
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/473>, abgerufen am 04.07.2024.