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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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des Etats des Arbeitsministeriums von statten, Herrn Mahbach ward die Eiscn-
bahnvcrstaatlichungsvvrlage ohne erhebliche Einrede bewilligt. Der Minister
der Landwirtschaft und der Fürsten, Dr. Lucius, hatte wegen der JagdordnungS-
vvrlage ein scharfes Redegefecht zu bestehen. Deu schwersten Stand hatte jedoch
Herr von Goßler, der Minister des Unterrichts, des Kultus und der Medizinal¬
angelegenheiten, Er hatte Tage lang den schweren Geschossen des Zentrums
Stand zu hüllen. Zuerst kam der Abgeordnete Reichensperger mit seinem An¬
trage auf Wiederherstellung der aufgehobenen kirchenpolitischen Verfassnngs-
Paragraphen. Dieser Antrag sollte bereits vor Weihnachten eingebracht werden
und sollte nach den Auslassungen der klerikalen Presse als eine Kundgebung des
Unmuts über die "diplvmatisirende Ära" gelten. Da kam aber die Ankündigung
Won dem bevorstehenden Besuche des Kronprinzen beim Papste, und zu gleicher
Zeit erfolgte die Begnadigung des Bischofs von Limburg. Man gab sich nun
i" den klerikalen Kreisen der Hoffnung hin, daß die Entrevue zwischen Leo XIII.
"ud dem Thronerben des deutsche" Reiches zu einer Verständigung zwischen dem
Vatikan und der Negierung führen könnte, und nahm infolge dessen eine ab¬
wartende Stellung ein. Der Antrag Reichensperger wurde vertagt. Die Ent¬
täuschung der Herren Windthorst, Reichensperger, Schorlemer-Alse und Genossen
war groß, als sie von dem wahren Verlauf der Unterredung zwischen dem
Papste und dem Kronprinzen Kunde erhielten. Sie hatten schon ans ein
"Konkordat" spekulirt, und nun hieß es: "Nichts von Verträgen, nichts von
Übergabe!" Der Antrag Reichensperger (Olpe) betreffend die Wiederherstellung
der Artikel 15, 16 und 18 der Verfassung wurde am 18. Januar, dem Jahres¬
tage der Kaiserproklamation, zur Beratung gestellt. Die Konservativen hatten
einen Gegenantrag, Übergang zur Tagesordnung, unter Motivirung desselben
eingebracht. Fünfzehn Redner hatten sich gegen Reichenspergers Antrag, und
sieben, alles Mitglieder des Zentrums, für denselben gemeldet. Die zweitägige
Debatte förderte durchaus keine neuen Gesichtspunkte zu Tage, es war ein
vollkommen nutzloses Hin- und Herschießen derselben Gründe und Gegengründe,
die wir seit Beginn des Kulturkampfes zum Überdruß gehört haben. Herr von
Goßler vertrat den Standpunkt der Regierung mit ebenso großer Entschieden¬
heit wie Mäßigung. Die ablehnende Haltung der Staatsregierung beruhe nicht
sehr in dem Wortlaut der Bcrfassungsartikel, als in der Anwendung und
Auslegung, die die katholische Kirche zur Zeit der Geltung der drei Artikel
denselben gab, und in der Auslegung und Anwendung, welche die Antragsteller
diesen Artikeln geben wollen. Den wichtigsten Teil der Rede des Kultusministers
bildete die Erklärung desselben, daß an die von dem Zentrum so eifrig be¬
triebene Begnadigung und Zurückberufung der beiden Erzbischöfe, Melchers von
Köln und Ledochvwsky von Posen und Gnesen, nicht zu denken sei. "Die
königliche Staatsregierung ist sich klar darüber geworden -- sagte Herr von
Goßler --, daß die Rückkehr dieser Bischöfe nicht im Interesse des Staates liegen


des Etats des Arbeitsministeriums von statten, Herrn Mahbach ward die Eiscn-
bahnvcrstaatlichungsvvrlage ohne erhebliche Einrede bewilligt. Der Minister
der Landwirtschaft und der Fürsten, Dr. Lucius, hatte wegen der JagdordnungS-
vvrlage ein scharfes Redegefecht zu bestehen. Deu schwersten Stand hatte jedoch
Herr von Goßler, der Minister des Unterrichts, des Kultus und der Medizinal¬
angelegenheiten, Er hatte Tage lang den schweren Geschossen des Zentrums
Stand zu hüllen. Zuerst kam der Abgeordnete Reichensperger mit seinem An¬
trage auf Wiederherstellung der aufgehobenen kirchenpolitischen Verfassnngs-
Paragraphen. Dieser Antrag sollte bereits vor Weihnachten eingebracht werden
und sollte nach den Auslassungen der klerikalen Presse als eine Kundgebung des
Unmuts über die „diplvmatisirende Ära" gelten. Da kam aber die Ankündigung
Won dem bevorstehenden Besuche des Kronprinzen beim Papste, und zu gleicher
Zeit erfolgte die Begnadigung des Bischofs von Limburg. Man gab sich nun
i» den klerikalen Kreisen der Hoffnung hin, daß die Entrevue zwischen Leo XIII.
»ud dem Thronerben des deutsche» Reiches zu einer Verständigung zwischen dem
Vatikan und der Negierung führen könnte, und nahm infolge dessen eine ab¬
wartende Stellung ein. Der Antrag Reichensperger wurde vertagt. Die Ent¬
täuschung der Herren Windthorst, Reichensperger, Schorlemer-Alse und Genossen
war groß, als sie von dem wahren Verlauf der Unterredung zwischen dem
Papste und dem Kronprinzen Kunde erhielten. Sie hatten schon ans ein
»Konkordat" spekulirt, und nun hieß es: „Nichts von Verträgen, nichts von
Übergabe!" Der Antrag Reichensperger (Olpe) betreffend die Wiederherstellung
der Artikel 15, 16 und 18 der Verfassung wurde am 18. Januar, dem Jahres¬
tage der Kaiserproklamation, zur Beratung gestellt. Die Konservativen hatten
einen Gegenantrag, Übergang zur Tagesordnung, unter Motivirung desselben
eingebracht. Fünfzehn Redner hatten sich gegen Reichenspergers Antrag, und
sieben, alles Mitglieder des Zentrums, für denselben gemeldet. Die zweitägige
Debatte förderte durchaus keine neuen Gesichtspunkte zu Tage, es war ein
vollkommen nutzloses Hin- und Herschießen derselben Gründe und Gegengründe,
die wir seit Beginn des Kulturkampfes zum Überdruß gehört haben. Herr von
Goßler vertrat den Standpunkt der Regierung mit ebenso großer Entschieden¬
heit wie Mäßigung. Die ablehnende Haltung der Staatsregierung beruhe nicht
sehr in dem Wortlaut der Bcrfassungsartikel, als in der Anwendung und
Auslegung, die die katholische Kirche zur Zeit der Geltung der drei Artikel
denselben gab, und in der Auslegung und Anwendung, welche die Antragsteller
diesen Artikeln geben wollen. Den wichtigsten Teil der Rede des Kultusministers
bildete die Erklärung desselben, daß an die von dem Zentrum so eifrig be¬
triebene Begnadigung und Zurückberufung der beiden Erzbischöfe, Melchers von
Köln und Ledochvwsky von Posen und Gnesen, nicht zu denken sei. „Die
königliche Staatsregierung ist sich klar darüber geworden — sagte Herr von
Goßler —, daß die Rückkehr dieser Bischöfe nicht im Interesse des Staates liegen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/471>, abgerufen am 04.07.2024.