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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Aus dein preußischem Lciudtagc.

brauchen nach meilier Überzeugung keine Verwendnngsgesctze; leider sind wir
aber durch Ihre Überzeugung gezwungen worden, diesen unnatürlichen, künstlichen
Weg einzuschlagen. Wenn Sie statt des Mißtrauens gegen die eigne Regierung
Vertrauen hätten, so würden wir weiter kommen und uns über die Verwendung
sehr bald einigen." Die Regierung stelle es ja, bemerkte Herr von Scholz weiter,
dem Landtage frei, in das Gesetz alle die Kautelen einzufügen, welche den ein¬
zelnen Censiten vor zu starker Anziehung der Steuerschraube schütze". In diesem
Bestreben werde er sich stets als Bundesgenosse zeigen. Die Regierung wolle
nichts weniger als dem Volke neue Lasten auferlegen und ihm neuen Grund
zur Unzufriedenheit geben, sondern es liege in ihrer Absicht, die Steuerlast
für jeden erträglich zu machen. Der schlimmste Druck der Steuerschraube würde
aber durch die Quotifizirung herbeigeführt werden. Es würde dann einfach
jedes Jahr die Steuerschraube so weit herumgedreht werden, bis die Balancirnng
erreicht sei.

Beide Vorlagen wurden am 17. Januar an eine Kommission von 28 Mit¬
gliedern überwiesen. Wie verlautet, ist wenig Aussicht auf das Zustandekommen
dieser Gesetze in der gegenwärtigen Session vorhanden, deun die Mehrheit der
Kommissiousmitglieder ist nicht geneigt, die beiden untersten Stufen der Klassen¬
steuer bis 1200 Mark Einkommen zu beseitigen; das ist aber der Kern der
ganzen Vorlage. Die "Provinzialkorrcspondcnz" hat bereits darauf hingewiesen,
daß, wenn die Kommission durch Verwerfung des Paragraphen 4 des Einkvmmen-
stcucrgesctzcutwurfs darthue, daß sie von der Förderung des Wohls der ärmern
Klassen absehe, nach der Anschauung der Staatsregierung die in den Gesetz¬
entwürfen zum Ausdruck gebrachten Reformvorschläge die Grundlage einbüßen,
auf welche sie gebaut sind.

Die Beratung des Staatshaushalts, der Voranschläge für das Bedürfnis
der einzelnen Ministerien nahm, wie seit Jahren, auch in dieser Session einen
mehr als schleppenden Gang. Bei einer solchen Beratung erscheinen auch die
sonst Schweigsamen ans dem Plan, um ihren Wählern zu beweisen, daß sie mich
vor dem "hohen Hause" den Mund aufzuthun verstehen und nicht bloß in den
heimatlichen Volksvcrsauuuluugen das große Wort zu führen wissen. Da werden
Anträge gestellt und Amendements eingebracht, deren Urheber selbst davon über¬
zeugt sind, daß sich eine Mehrheit dafür nicht finden wird, aber darum ist es
ihnen auch nicht zu thun, sie trachten nur darnach, ihr Licht leuchten zu lassen,
Beschwerden vorzutragen, die selten vor das Haus gehören, und sind stolz
darauf, dein Minister die "Wahrheit" zu sagen. Von den gegenwärtigen Mi¬
nistern sind es namentlich die Herren von Puttkamer und von Scholz, denen
die Mitglieder der liberalen Opposition gern die "Wahrheit" sagen; denn beide,
der Minister des Innern wie der Finanzminister, vertreten ihre Ressorts mit
einer Schneidigkeit, welche die Herren Abgeordneten der Linken an einem Ver¬
treter der Regierung sehr pcrhorresziren. Am glattesten ging die Beratung


Aus dein preußischem Lciudtagc.

brauchen nach meilier Überzeugung keine Verwendnngsgesctze; leider sind wir
aber durch Ihre Überzeugung gezwungen worden, diesen unnatürlichen, künstlichen
Weg einzuschlagen. Wenn Sie statt des Mißtrauens gegen die eigne Regierung
Vertrauen hätten, so würden wir weiter kommen und uns über die Verwendung
sehr bald einigen." Die Regierung stelle es ja, bemerkte Herr von Scholz weiter,
dem Landtage frei, in das Gesetz alle die Kautelen einzufügen, welche den ein¬
zelnen Censiten vor zu starker Anziehung der Steuerschraube schütze». In diesem
Bestreben werde er sich stets als Bundesgenosse zeigen. Die Regierung wolle
nichts weniger als dem Volke neue Lasten auferlegen und ihm neuen Grund
zur Unzufriedenheit geben, sondern es liege in ihrer Absicht, die Steuerlast
für jeden erträglich zu machen. Der schlimmste Druck der Steuerschraube würde
aber durch die Quotifizirung herbeigeführt werden. Es würde dann einfach
jedes Jahr die Steuerschraube so weit herumgedreht werden, bis die Balancirnng
erreicht sei.

Beide Vorlagen wurden am 17. Januar an eine Kommission von 28 Mit¬
gliedern überwiesen. Wie verlautet, ist wenig Aussicht auf das Zustandekommen
dieser Gesetze in der gegenwärtigen Session vorhanden, deun die Mehrheit der
Kommissiousmitglieder ist nicht geneigt, die beiden untersten Stufen der Klassen¬
steuer bis 1200 Mark Einkommen zu beseitigen; das ist aber der Kern der
ganzen Vorlage. Die „Provinzialkorrcspondcnz" hat bereits darauf hingewiesen,
daß, wenn die Kommission durch Verwerfung des Paragraphen 4 des Einkvmmen-
stcucrgesctzcutwurfs darthue, daß sie von der Förderung des Wohls der ärmern
Klassen absehe, nach der Anschauung der Staatsregierung die in den Gesetz¬
entwürfen zum Ausdruck gebrachten Reformvorschläge die Grundlage einbüßen,
auf welche sie gebaut sind.

Die Beratung des Staatshaushalts, der Voranschläge für das Bedürfnis
der einzelnen Ministerien nahm, wie seit Jahren, auch in dieser Session einen
mehr als schleppenden Gang. Bei einer solchen Beratung erscheinen auch die
sonst Schweigsamen ans dem Plan, um ihren Wählern zu beweisen, daß sie mich
vor dem „hohen Hause" den Mund aufzuthun verstehen und nicht bloß in den
heimatlichen Volksvcrsauuuluugen das große Wort zu führen wissen. Da werden
Anträge gestellt und Amendements eingebracht, deren Urheber selbst davon über¬
zeugt sind, daß sich eine Mehrheit dafür nicht finden wird, aber darum ist es
ihnen auch nicht zu thun, sie trachten nur darnach, ihr Licht leuchten zu lassen,
Beschwerden vorzutragen, die selten vor das Haus gehören, und sind stolz
darauf, dein Minister die „Wahrheit" zu sagen. Von den gegenwärtigen Mi¬
nistern sind es namentlich die Herren von Puttkamer und von Scholz, denen
die Mitglieder der liberalen Opposition gern die „Wahrheit" sagen; denn beide,
der Minister des Innern wie der Finanzminister, vertreten ihre Ressorts mit
einer Schneidigkeit, welche die Herren Abgeordneten der Linken an einem Ver¬
treter der Regierung sehr pcrhorresziren. Am glattesten ging die Beratung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/470>, abgerufen am 04.07.2024.