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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Aus dein preußischen Landtage.

richtigen Fahrwasser, sondern noch mehr die Mitglieder der "verschämten"
Fortschrittspartei, die sich die "freie Vereinigung" nennt. Mit welcher Lust
setzte sich der Reichsfinanzminister in sxs Herr Rickert in Fechterstellung gegen
Herrn von Puttkamer, den Vizepräsidenten des Staatsministeriums, welcher
mis Antwort auf die Deklamationen des Herrn Stern die Erklärung abgegeben
hatte, "daß es Sache der ernsten Erwägung der Staatsregierung sein werde,
ob sie nicht darauf Bedacht werde nehmen müssen, daß Initiativanträge in Er¬
wägung gezogen werden, welche auf die Abschaffung der geheimen Abstimmung
für den Reichstag abzielen." Diese Erklärung brachte, wie könnte es ander?
sein, die profcssionsmäßigen Verteidiger der "Volksfreiheit," der "Beamten¬
freiheit" und wie die verschiednen Abarten der Freiheit heißen, in den Harnisch.
Daß "Excellenz" Windthorst inmitten dieser Phalanx kämpfte, ist selbstverständlich,
aber wie immer ließ er sich auch hier einen Ausweg offen: "Ich schließe mich
den hier gegen Herrn von Puttkamer gerichteten Äußerungen nicht an," er¬
klärte er bei Beginn seiner Rede, deren Schluß natürlich den Fuchsschwanz
zeigte: "Für uns ist die Vertretung im Parlament die einzige Garantie, und
wenn wir diese Garantie den Katholiken nicht durch geheime Wahlen unan¬
getastet lassen, so verletzen wir eines unsrer vitalsten Interessen, und darum
werden wir für den Antrag Stern stimmen." Der Antrag fiel in namentlicher
Abstimmung mit 202 gegen 163 Stimmen. Für denselben stimmten geschlossen
die Fortschrittspartei, die liberale Vereinigung, die Polen und das Zentrum,
gegen denselben die Nationalliberalen und die Konservativen und Frcikonser-
vativen, mit Ausnahme der Abgeordneten Cremer und Stöcker, die dafür
stimmten.

Wie immer, wenn ein Minister seine Position in entschlossener und schneidiger
Weise verteidigt, die Herren von der linken Seite im Gespräch und durch die
Presse das Gerücht in Umlauf zu setzen wissen, Fürst Bismarck sei mit dem
Verhalten des betreffenden Ministers unzufrieden -- so wurde auch diesmal
mit großer Genugthuung als sicher angenommen, daß Herr von Puttkamer
aus Varziu eine abfällige Zensur erhalten habe. Die Konservativen hielten es
daher für geraten, sich in feierlicher Weise gegen eine Aufhebung der geheimen
Abstimmung zu verwahren. Aber der Reichskanzler war mit Nichten unzu¬
frieden über das Auftreten seines Stellvertreters im preußische,? Staatsministerium,
er hat denselben vielmehr über seine Rede beglückwünscht; Herr von Puttkamer
hatte bei Abgabe jener Erklärung sich vornehmlich an die ihm aus Friedrichsruhe
erteilte Instruktion gehalten, welche dahin ging, die geheime Abstimmung nach¬
drücklichst zu bekämpfen, sich aber zu Gunsten des allgemeinen Stimmrechts bei
Landtags- und Gemeindewahlen uuter Beibehaltung der Öffentlichkeit zu erkläre".

Die Hauptaufgabe, welche dem Landtage in dieser Session obliegt, die Er¬
ledigung der Steuerrcformvorlagen, war bis zum Beginn der Weihnachtsferien
(19. Dezember) kaum in Erwägung gezogen worden; der Finanzminister von


Grenzboten I. 1884. 58
Aus dein preußischen Landtage.

richtigen Fahrwasser, sondern noch mehr die Mitglieder der „verschämten"
Fortschrittspartei, die sich die „freie Vereinigung" nennt. Mit welcher Lust
setzte sich der Reichsfinanzminister in sxs Herr Rickert in Fechterstellung gegen
Herrn von Puttkamer, den Vizepräsidenten des Staatsministeriums, welcher
mis Antwort auf die Deklamationen des Herrn Stern die Erklärung abgegeben
hatte, „daß es Sache der ernsten Erwägung der Staatsregierung sein werde,
ob sie nicht darauf Bedacht werde nehmen müssen, daß Initiativanträge in Er¬
wägung gezogen werden, welche auf die Abschaffung der geheimen Abstimmung
für den Reichstag abzielen." Diese Erklärung brachte, wie könnte es ander?
sein, die profcssionsmäßigen Verteidiger der „Volksfreiheit," der „Beamten¬
freiheit" und wie die verschiednen Abarten der Freiheit heißen, in den Harnisch.
Daß „Excellenz" Windthorst inmitten dieser Phalanx kämpfte, ist selbstverständlich,
aber wie immer ließ er sich auch hier einen Ausweg offen: „Ich schließe mich
den hier gegen Herrn von Puttkamer gerichteten Äußerungen nicht an," er¬
klärte er bei Beginn seiner Rede, deren Schluß natürlich den Fuchsschwanz
zeigte: „Für uns ist die Vertretung im Parlament die einzige Garantie, und
wenn wir diese Garantie den Katholiken nicht durch geheime Wahlen unan¬
getastet lassen, so verletzen wir eines unsrer vitalsten Interessen, und darum
werden wir für den Antrag Stern stimmen." Der Antrag fiel in namentlicher
Abstimmung mit 202 gegen 163 Stimmen. Für denselben stimmten geschlossen
die Fortschrittspartei, die liberale Vereinigung, die Polen und das Zentrum,
gegen denselben die Nationalliberalen und die Konservativen und Frcikonser-
vativen, mit Ausnahme der Abgeordneten Cremer und Stöcker, die dafür
stimmten.

Wie immer, wenn ein Minister seine Position in entschlossener und schneidiger
Weise verteidigt, die Herren von der linken Seite im Gespräch und durch die
Presse das Gerücht in Umlauf zu setzen wissen, Fürst Bismarck sei mit dem
Verhalten des betreffenden Ministers unzufrieden — so wurde auch diesmal
mit großer Genugthuung als sicher angenommen, daß Herr von Puttkamer
aus Varziu eine abfällige Zensur erhalten habe. Die Konservativen hielten es
daher für geraten, sich in feierlicher Weise gegen eine Aufhebung der geheimen
Abstimmung zu verwahren. Aber der Reichskanzler war mit Nichten unzu¬
frieden über das Auftreten seines Stellvertreters im preußische,? Staatsministerium,
er hat denselben vielmehr über seine Rede beglückwünscht; Herr von Puttkamer
hatte bei Abgabe jener Erklärung sich vornehmlich an die ihm aus Friedrichsruhe
erteilte Instruktion gehalten, welche dahin ging, die geheime Abstimmung nach¬
drücklichst zu bekämpfen, sich aber zu Gunsten des allgemeinen Stimmrechts bei
Landtags- und Gemeindewahlen uuter Beibehaltung der Öffentlichkeit zu erkläre».

Die Hauptaufgabe, welche dem Landtage in dieser Session obliegt, die Er¬
ledigung der Steuerrcformvorlagen, war bis zum Beginn der Weihnachtsferien
(19. Dezember) kaum in Erwägung gezogen worden; der Finanzminister von


Grenzboten I. 1884. 58
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[0467] Aus dein preußischen Landtage. richtigen Fahrwasser, sondern noch mehr die Mitglieder der „verschämten" Fortschrittspartei, die sich die „freie Vereinigung" nennt. Mit welcher Lust setzte sich der Reichsfinanzminister in sxs Herr Rickert in Fechterstellung gegen Herrn von Puttkamer, den Vizepräsidenten des Staatsministeriums, welcher mis Antwort auf die Deklamationen des Herrn Stern die Erklärung abgegeben hatte, „daß es Sache der ernsten Erwägung der Staatsregierung sein werde, ob sie nicht darauf Bedacht werde nehmen müssen, daß Initiativanträge in Er¬ wägung gezogen werden, welche auf die Abschaffung der geheimen Abstimmung für den Reichstag abzielen." Diese Erklärung brachte, wie könnte es ander? sein, die profcssionsmäßigen Verteidiger der „Volksfreiheit," der „Beamten¬ freiheit" und wie die verschiednen Abarten der Freiheit heißen, in den Harnisch. Daß „Excellenz" Windthorst inmitten dieser Phalanx kämpfte, ist selbstverständlich, aber wie immer ließ er sich auch hier einen Ausweg offen: „Ich schließe mich den hier gegen Herrn von Puttkamer gerichteten Äußerungen nicht an," er¬ klärte er bei Beginn seiner Rede, deren Schluß natürlich den Fuchsschwanz zeigte: „Für uns ist die Vertretung im Parlament die einzige Garantie, und wenn wir diese Garantie den Katholiken nicht durch geheime Wahlen unan¬ getastet lassen, so verletzen wir eines unsrer vitalsten Interessen, und darum werden wir für den Antrag Stern stimmen." Der Antrag fiel in namentlicher Abstimmung mit 202 gegen 163 Stimmen. Für denselben stimmten geschlossen die Fortschrittspartei, die liberale Vereinigung, die Polen und das Zentrum, gegen denselben die Nationalliberalen und die Konservativen und Frcikonser- vativen, mit Ausnahme der Abgeordneten Cremer und Stöcker, die dafür stimmten. Wie immer, wenn ein Minister seine Position in entschlossener und schneidiger Weise verteidigt, die Herren von der linken Seite im Gespräch und durch die Presse das Gerücht in Umlauf zu setzen wissen, Fürst Bismarck sei mit dem Verhalten des betreffenden Ministers unzufrieden — so wurde auch diesmal mit großer Genugthuung als sicher angenommen, daß Herr von Puttkamer aus Varziu eine abfällige Zensur erhalten habe. Die Konservativen hielten es daher für geraten, sich in feierlicher Weise gegen eine Aufhebung der geheimen Abstimmung zu verwahren. Aber der Reichskanzler war mit Nichten unzu¬ frieden über das Auftreten seines Stellvertreters im preußische,? Staatsministerium, er hat denselben vielmehr über seine Rede beglückwünscht; Herr von Puttkamer hatte bei Abgabe jener Erklärung sich vornehmlich an die ihm aus Friedrichsruhe erteilte Instruktion gehalten, welche dahin ging, die geheime Abstimmung nach¬ drücklichst zu bekämpfen, sich aber zu Gunsten des allgemeinen Stimmrechts bei Landtags- und Gemeindewahlen uuter Beibehaltung der Öffentlichkeit zu erkläre». Die Hauptaufgabe, welche dem Landtage in dieser Session obliegt, die Er¬ ledigung der Steuerrcformvorlagen, war bis zum Beginn der Weihnachtsferien (19. Dezember) kaum in Erwägung gezogen worden; der Finanzminister von Grenzboten I. 1884. 58

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/467>, abgerufen am 25.07.2024.