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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die deutsche Universitäts - Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren.

sorge ist jetzt eine größere als vor Jahrzehnten. Dazu kommt, daß der Ruf
unsrer Gelehrten gerade unter den Medizinern eine wachsende Zahl von Aus¬
ländern anlockt, die nach Absolvirung ihrer Studien in Deutschland in die
Heimat zurückkehren. Gegenwärtig stammen 7 Prozent aller Mediziner aus
dem Auslande. Während der letzte" Semester hat übrigens auch die medizi¬
nische Fakultät einen lebhaftem Zuspruch erfahren. Im Sommersemester 1882
studirten 5280, dann 5539, im Sommersemcster 1883 sogar 6172 Mediziner,
d. h. 11--11,5 ans 100 000 Einwohner. Die Bedarfsfrage stellt sich infolge
dessen so, daß während in den letzten zehn Jahren auf die 13144 Ärzte im
deutschen Reiche (im Jahre 1879) durchschnittlich 3360 Studenten der Me¬
dizin kamen, d. h. aus 100 Ärzte 25 Studirende (nach Abzug der Aus¬
länder), in der Zeit von 1881/82 diese Zahl auf 35 gestiegen ist. Da es indes
fraglich ist, inwieweit die vorhandene Zahl von Ärzten dem Bedürfnis ent¬
spricht, so brauchen Besorgnisse wegen Überfüllung bis jetzt kaum gehegt zu
werden.

Die stärkste Zunahme der studirenden Jugend weist die philosophische Fa¬
kultät auf, denn die Zahl ihrer Mitglieder stieg von 2336 auf 8930, oder von
8 Studenten unter 100000 Einwohnern auf 20. Sie umfaßt gegenwärtig
40 Prozent aller Studirenden, während sie vor fünfzig Jahren nur 20 Prozent
derselben einschloß. Wie man weiß, birgt diese Fakultät sehr heterogene Wissens¬
zweige, deren Zunahme keine gleichmäßige war. Der Stand des Jahres 1841
-- weiter zurückzugehen gestatten die Quellen nicht -- zeigt 68,2 Pro¬
zent Philosophen, Philologen, Historiker, Naturwissenschafter und Mathematiker,
10,5 Prozent Kamemlistcn und Landwirte, 6,3 Prozent Forstwirte, 10 Prozent
Pharmazeuten und 5 Prozent Technologen. Im Jahre 1881 dagegen ist die
erste Gruppe mit 84,4 Prozent vertreten; auf die Kameralisten und Landwirte
fallen 5,9, auf die Forstwirte 1,9, auf die Pharmazeuten 7,4, auf die Techno¬
logen 0,14 Prozent. Die gewaltige Steigerung der Frequenz der philosophischen
Fakultät ist also auf. die Hauptfächer derselben zurückzuführen. Bei weiterer
Trennung dieser in die beiden Gruppen der Philosophen, Philologen und Historiker
einerseits, sowie der Naturwissenschafter, Mathematiker und Geographen andrer¬
seits fällt der Löwenanteil der Zunahme auf die letztere. Setzt man die durch¬
schnittliche Zahl der Studirenden in den Semestern 1836 bis 1845 gleich 100,
so wuchs bis 1881/1882 die Zahl der Philologen und Historiker auf 275, die
der Naturwissenschafter und Mathematiker auf 1007, die der Studenten in den
übrigen Fächern auf 151, die aller Mitglieder der philosophischen Fakultät auf
305. Die enorme Bedeutung, welche die Naturwissenschaften in der modernen
Kulturentwicklung gewonnen haben, erhellt hieraus,zur Genüge. Namentlich
solche, die sich einst dem Lehrfache widmen wollen, sind in diese Fakultät ein¬
getreten, und eben deswegen beklagt man gerade bei diesem in neuerer Zeit
eine gewisse Überfüllung.


Die deutsche Universitäts - Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren.

sorge ist jetzt eine größere als vor Jahrzehnten. Dazu kommt, daß der Ruf
unsrer Gelehrten gerade unter den Medizinern eine wachsende Zahl von Aus¬
ländern anlockt, die nach Absolvirung ihrer Studien in Deutschland in die
Heimat zurückkehren. Gegenwärtig stammen 7 Prozent aller Mediziner aus
dem Auslande. Während der letzte» Semester hat übrigens auch die medizi¬
nische Fakultät einen lebhaftem Zuspruch erfahren. Im Sommersemester 1882
studirten 5280, dann 5539, im Sommersemcster 1883 sogar 6172 Mediziner,
d. h. 11—11,5 ans 100 000 Einwohner. Die Bedarfsfrage stellt sich infolge
dessen so, daß während in den letzten zehn Jahren auf die 13144 Ärzte im
deutschen Reiche (im Jahre 1879) durchschnittlich 3360 Studenten der Me¬
dizin kamen, d. h. aus 100 Ärzte 25 Studirende (nach Abzug der Aus¬
länder), in der Zeit von 1881/82 diese Zahl auf 35 gestiegen ist. Da es indes
fraglich ist, inwieweit die vorhandene Zahl von Ärzten dem Bedürfnis ent¬
spricht, so brauchen Besorgnisse wegen Überfüllung bis jetzt kaum gehegt zu
werden.

Die stärkste Zunahme der studirenden Jugend weist die philosophische Fa¬
kultät auf, denn die Zahl ihrer Mitglieder stieg von 2336 auf 8930, oder von
8 Studenten unter 100000 Einwohnern auf 20. Sie umfaßt gegenwärtig
40 Prozent aller Studirenden, während sie vor fünfzig Jahren nur 20 Prozent
derselben einschloß. Wie man weiß, birgt diese Fakultät sehr heterogene Wissens¬
zweige, deren Zunahme keine gleichmäßige war. Der Stand des Jahres 1841
— weiter zurückzugehen gestatten die Quellen nicht — zeigt 68,2 Pro¬
zent Philosophen, Philologen, Historiker, Naturwissenschafter und Mathematiker,
10,5 Prozent Kamemlistcn und Landwirte, 6,3 Prozent Forstwirte, 10 Prozent
Pharmazeuten und 5 Prozent Technologen. Im Jahre 1881 dagegen ist die
erste Gruppe mit 84,4 Prozent vertreten; auf die Kameralisten und Landwirte
fallen 5,9, auf die Forstwirte 1,9, auf die Pharmazeuten 7,4, auf die Techno¬
logen 0,14 Prozent. Die gewaltige Steigerung der Frequenz der philosophischen
Fakultät ist also auf. die Hauptfächer derselben zurückzuführen. Bei weiterer
Trennung dieser in die beiden Gruppen der Philosophen, Philologen und Historiker
einerseits, sowie der Naturwissenschafter, Mathematiker und Geographen andrer¬
seits fällt der Löwenanteil der Zunahme auf die letztere. Setzt man die durch¬
schnittliche Zahl der Studirenden in den Semestern 1836 bis 1845 gleich 100,
so wuchs bis 1881/1882 die Zahl der Philologen und Historiker auf 275, die
der Naturwissenschafter und Mathematiker auf 1007, die der Studenten in den
übrigen Fächern auf 151, die aller Mitglieder der philosophischen Fakultät auf
305. Die enorme Bedeutung, welche die Naturwissenschaften in der modernen
Kulturentwicklung gewonnen haben, erhellt hieraus,zur Genüge. Namentlich
solche, die sich einst dem Lehrfache widmen wollen, sind in diese Fakultät ein¬
getreten, und eben deswegen beklagt man gerade bei diesem in neuerer Zeit
eine gewisse Überfüllung.


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[0462] Die deutsche Universitäts - Entwicklung in den letzten fünfzig Jahren. sorge ist jetzt eine größere als vor Jahrzehnten. Dazu kommt, daß der Ruf unsrer Gelehrten gerade unter den Medizinern eine wachsende Zahl von Aus¬ ländern anlockt, die nach Absolvirung ihrer Studien in Deutschland in die Heimat zurückkehren. Gegenwärtig stammen 7 Prozent aller Mediziner aus dem Auslande. Während der letzte» Semester hat übrigens auch die medizi¬ nische Fakultät einen lebhaftem Zuspruch erfahren. Im Sommersemester 1882 studirten 5280, dann 5539, im Sommersemcster 1883 sogar 6172 Mediziner, d. h. 11—11,5 ans 100 000 Einwohner. Die Bedarfsfrage stellt sich infolge dessen so, daß während in den letzten zehn Jahren auf die 13144 Ärzte im deutschen Reiche (im Jahre 1879) durchschnittlich 3360 Studenten der Me¬ dizin kamen, d. h. aus 100 Ärzte 25 Studirende (nach Abzug der Aus¬ länder), in der Zeit von 1881/82 diese Zahl auf 35 gestiegen ist. Da es indes fraglich ist, inwieweit die vorhandene Zahl von Ärzten dem Bedürfnis ent¬ spricht, so brauchen Besorgnisse wegen Überfüllung bis jetzt kaum gehegt zu werden. Die stärkste Zunahme der studirenden Jugend weist die philosophische Fa¬ kultät auf, denn die Zahl ihrer Mitglieder stieg von 2336 auf 8930, oder von 8 Studenten unter 100000 Einwohnern auf 20. Sie umfaßt gegenwärtig 40 Prozent aller Studirenden, während sie vor fünfzig Jahren nur 20 Prozent derselben einschloß. Wie man weiß, birgt diese Fakultät sehr heterogene Wissens¬ zweige, deren Zunahme keine gleichmäßige war. Der Stand des Jahres 1841 — weiter zurückzugehen gestatten die Quellen nicht — zeigt 68,2 Pro¬ zent Philosophen, Philologen, Historiker, Naturwissenschafter und Mathematiker, 10,5 Prozent Kamemlistcn und Landwirte, 6,3 Prozent Forstwirte, 10 Prozent Pharmazeuten und 5 Prozent Technologen. Im Jahre 1881 dagegen ist die erste Gruppe mit 84,4 Prozent vertreten; auf die Kameralisten und Landwirte fallen 5,9, auf die Forstwirte 1,9, auf die Pharmazeuten 7,4, auf die Techno¬ logen 0,14 Prozent. Die gewaltige Steigerung der Frequenz der philosophischen Fakultät ist also auf. die Hauptfächer derselben zurückzuführen. Bei weiterer Trennung dieser in die beiden Gruppen der Philosophen, Philologen und Historiker einerseits, sowie der Naturwissenschafter, Mathematiker und Geographen andrer¬ seits fällt der Löwenanteil der Zunahme auf die letztere. Setzt man die durch¬ schnittliche Zahl der Studirenden in den Semestern 1836 bis 1845 gleich 100, so wuchs bis 1881/1882 die Zahl der Philologen und Historiker auf 275, die der Naturwissenschafter und Mathematiker auf 1007, die der Studenten in den übrigen Fächern auf 151, die aller Mitglieder der philosophischen Fakultät auf 305. Die enorme Bedeutung, welche die Naturwissenschaften in der modernen Kulturentwicklung gewonnen haben, erhellt hieraus,zur Genüge. Namentlich solche, die sich einst dem Lehrfache widmen wollen, sind in diese Fakultät ein¬ getreten, und eben deswegen beklagt man gerade bei diesem in neuerer Zeit eine gewisse Überfüllung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/462>, abgerufen am 28.09.2024.