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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Praxis der deutschen Leuerversicherungsgesellschaften.

die des mit der Schadenermittelung betrauten Gesellschaftsbeamten sind es jedoch
nicht für seine Auftraggeberin, Die Folgen dieses Verfahrens sind stets nach¬
teilig für den Versicherten. Die Auszahlung des festgestellten Schadens muß
innerhalb acht Tagen nach erfolgter Schlußverhandlung geschehen. Der Agent
der Gesellschaft darf von dieser nicht nur als Geschäftszuschlepper betrachtet
werden, sondern muß als deren Bevollmächtigter dem Publikum gegenüber¬
stehen. Für alle durch den Agenten eingegangenen auf das einzelne Geschäft
Bezug habenden Verbindlichkeiten muß die Gesellschaft verantwortlich bleiben.
Eine für das ganze Versicherungsgeschäft heilsame Purifikation des Agenten¬
standes würden die Folge dieser Verordnung sein.

Für eine sachgemäße Besteuerung werden die Gesellschaften durch ihre
Organe selbst Plaidiren; hier genüge es, auf die Ungerechtigkeit, welche in dem
jetzigen Modus liegt, hinzuweisen.

Die Aufhebung der jetzt in den Policen ihr Unwesen treibenden rigoroser
Versicherungsbedingungen, deren Durchführung den Versicherten rechtlos macheu
und der "Koulanz" der Gesellschaften überliefern, und die Einführung eines
allgemeinen Versicherungsrechts, welches im ganzen Reiche gilt und die Rechte
und Pflichten beider Kontrahenten genau präzisirt, sowie die einheitliche Regelung
der Verordnungen in Bezug auf Errichtung neuer und Zulassung auswärtiger
Gesellschaften gehören zu dem Gesetze über die Geschäftsführung. Die Prämien
müssen auf Grund der Erfahrungen der jetzt bestehenden Gesellschaften und
Sozietäten nach Maßgabe der Bauart und Lage des Ristkos, der Art des in
ihm betriebenen Gewerbes und der Verhältnisse seiner Provinz oder seiner
Landschaft tarifirt werden. Eine Abweichung von den normirten Prämien
darf nicht gestattet sein. Die fortschreitende Statistik giebt uns die Mittel,
auch für die besonders feuergefährlichen Gewerbe den richtigen Prämieusatz zu
finden, und hiermit die Möglichkeit, dem in diesen Unternehmungen angelegten
Volksvermögen die Versicherung zugänglich zu machen. Bis jetzt haben sie sie
dort nur unter unbilligen, erschwerenden Umständen, wenn sie ihnen nicht gänzlich
verweigert wird. Der Segen der Versicherung darf auch nicht den kleinen "nicht
lohnenden" Objekten entzogen werden. 10 000 Mark in zehn kleinen Ver¬
sicherungen machen allerdings den Gesellschaften und Agenten mehr Mühe und
Arbeit als ein einziges Objekt von 10 000 Mark; für den Volkswirt hat aber
die Erhaltung des Bestandes beider Kategorien dieselbe Bedeutung. Da eine
allgemeine Annahmepflicht aller an sie herantretenden Risiken den Gesellschaften
uicht aufgenötigt werden kann, so find die jetzt in Deutschland zerstrent
und auf beschränkte Geschäftsgebiete angewiesenen Sozietäten zu einer all¬
gemeinen deutschen Landesfeuerkasse mit obligatorischer Versichcrungsannahme
aller sich ihr anbietenden versicherungsfähigcn Objekte zu vereinigen. Durch
diese Umformung der Sozietäten in eine große, ganz Deutschland umfassende
Landesfeuerkasse wird der bisherige Hemmschuh an der segensreichen Entwicklung


Die Praxis der deutschen Leuerversicherungsgesellschaften.

die des mit der Schadenermittelung betrauten Gesellschaftsbeamten sind es jedoch
nicht für seine Auftraggeberin, Die Folgen dieses Verfahrens sind stets nach¬
teilig für den Versicherten. Die Auszahlung des festgestellten Schadens muß
innerhalb acht Tagen nach erfolgter Schlußverhandlung geschehen. Der Agent
der Gesellschaft darf von dieser nicht nur als Geschäftszuschlepper betrachtet
werden, sondern muß als deren Bevollmächtigter dem Publikum gegenüber¬
stehen. Für alle durch den Agenten eingegangenen auf das einzelne Geschäft
Bezug habenden Verbindlichkeiten muß die Gesellschaft verantwortlich bleiben.
Eine für das ganze Versicherungsgeschäft heilsame Purifikation des Agenten¬
standes würden die Folge dieser Verordnung sein.

Für eine sachgemäße Besteuerung werden die Gesellschaften durch ihre
Organe selbst Plaidiren; hier genüge es, auf die Ungerechtigkeit, welche in dem
jetzigen Modus liegt, hinzuweisen.

Die Aufhebung der jetzt in den Policen ihr Unwesen treibenden rigoroser
Versicherungsbedingungen, deren Durchführung den Versicherten rechtlos macheu
und der „Koulanz" der Gesellschaften überliefern, und die Einführung eines
allgemeinen Versicherungsrechts, welches im ganzen Reiche gilt und die Rechte
und Pflichten beider Kontrahenten genau präzisirt, sowie die einheitliche Regelung
der Verordnungen in Bezug auf Errichtung neuer und Zulassung auswärtiger
Gesellschaften gehören zu dem Gesetze über die Geschäftsführung. Die Prämien
müssen auf Grund der Erfahrungen der jetzt bestehenden Gesellschaften und
Sozietäten nach Maßgabe der Bauart und Lage des Ristkos, der Art des in
ihm betriebenen Gewerbes und der Verhältnisse seiner Provinz oder seiner
Landschaft tarifirt werden. Eine Abweichung von den normirten Prämien
darf nicht gestattet sein. Die fortschreitende Statistik giebt uns die Mittel,
auch für die besonders feuergefährlichen Gewerbe den richtigen Prämieusatz zu
finden, und hiermit die Möglichkeit, dem in diesen Unternehmungen angelegten
Volksvermögen die Versicherung zugänglich zu machen. Bis jetzt haben sie sie
dort nur unter unbilligen, erschwerenden Umständen, wenn sie ihnen nicht gänzlich
verweigert wird. Der Segen der Versicherung darf auch nicht den kleinen „nicht
lohnenden" Objekten entzogen werden. 10 000 Mark in zehn kleinen Ver¬
sicherungen machen allerdings den Gesellschaften und Agenten mehr Mühe und
Arbeit als ein einziges Objekt von 10 000 Mark; für den Volkswirt hat aber
die Erhaltung des Bestandes beider Kategorien dieselbe Bedeutung. Da eine
allgemeine Annahmepflicht aller an sie herantretenden Risiken den Gesellschaften
uicht aufgenötigt werden kann, so find die jetzt in Deutschland zerstrent
und auf beschränkte Geschäftsgebiete angewiesenen Sozietäten zu einer all¬
gemeinen deutschen Landesfeuerkasse mit obligatorischer Versichcrungsannahme
aller sich ihr anbietenden versicherungsfähigcn Objekte zu vereinigen. Durch
diese Umformung der Sozietäten in eine große, ganz Deutschland umfassende
Landesfeuerkasse wird der bisherige Hemmschuh an der segensreichen Entwicklung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/457>, abgerufen am 02.10.2024.