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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Praxis der deutschen Feuerversicherungsgcsollschafte".

durch Verschmelzung der schon bestehenden 61 deutschen örtlich beschränkten
Fenerversicherungssozietäten der Provinzen, Landschaften und Gemeinden in eine
allgemeine deutsche Landesfeuerkasse,

Mit Rücksicht auf seinen Charakter, welcher wesentlich von dem andrer
Geschäfte abweicht, erfordert das Versicherungsgeschäft auch eine besondre sach¬
gemäße Gesetzgebung. Alle bis jetzt wegen des Versicherungswesens erlassenen
gesetzlichen Bestimmungen entsprechen weder den Bedürfnissen des Publikums
noch denen der Gesellschaften. Das uns schon seit Jahren in Aussicht gestellte
Rcichsvcrsicherungsgesetz muß alle Verordnungen der Einzelstaaten beseitigen und
in Geschäftsführung und Rechnungslegung, Besteuerung der Gesellschaften,
Agentenwesen, Schadcnregulirung und staatliche Aufsicht Einheit bringen. Das
staatliche Aufsichtsrecht muß streng gewahrt und im wahren Sinne des Wortes
ausgeführt werden. Es darf nicht darauf beschränkt sein, daß irgend ein des
Geschäfts unkundiger Regierungskommissar durch Anwesenheit bei den General¬
versammlungen den spekulativen Beschlüssen derselben die behördliche Sanktion
erteilt. Strenge Kontrole der Geschäftslage durch außerordentliche Durchsicht
der Bücher und Prüfung der Abschlüsse sind allein imstande, das Publikum vor
Verlusten zu schützen. Mehrere Gesellschaften halten die Veröffentlichung ihrer
Bilanzen zurück oder bringen sie so dunkel und verschleiert, daß sie selbst dem
Fachmanne erst nach gründlicher Sezirung der einzelnen Posten und Zahlen
verständlich sind. Sie haben sogar die Versicherungspresse zu dem Ausspruche
veranlaßt, daß sie Grund zu dieser Lichtscheu haben müssen. Die mit Erteilung
der Konzession verbundene Bedingung des staatlichen Aufsichtsrechts, wie solches
bisher geübt wurde, vermochte nicht deu plötzlichen Bankerott von Gesellschaften
zu verhüten,*) sie vermehrte dadurch noch die Verluste des Publikums, weil
dieses die staatliche Aufsicht als staatliche Garantie verstand und daher umso
vertrauensseliger seine Ersparnisse den unsolider Instituten übergab. Auch muß
die Kritik der bei uns arbeitenden Gesellschaften nicht, wie bisher, nur in der
den engsten Kreisen zugehenden Fachpresse, sondern auch von politischen Zeitungen
ausgeübt und dadurch dem Publikum bekannt gemacht werden.

Die Schadenrcgnlirungcn dürfen nicht ohne Zuziehung eines staatlichen
Kommissars erfolgen, welcher einerseits die Gesellschaft vor ungerechtfertigten
Ansprüchen durch die Autorität der ihm zur Seite stehende" Gewalt schützt,
aber auch andrerseits den schuldlos Beschädigtem vor Ausnutzung seiner Notlage
bewahrt. Die Regulirung muß spätestens acht Tage nach dem Brande erfolgen,
sie hat durch einen von der Gesellschaft Bevollmächtigten zu geschehen, dessen
Abmachungen uicht erst der Genehmigung der Gesellschaft bedürfen. Nach
heutigem Gebrauch sind wohl die Erklärungen des Beschädigtem für diesen bindend,



Die "Patrin" machte zehn Tage nach der Geschäftscröffmmg Bankerott, der "Vater
Rhein" hat sein Leben nicht Wer das Säuglingsalter gebracht.
Die Praxis der deutschen Feuerversicherungsgcsollschafte».

durch Verschmelzung der schon bestehenden 61 deutschen örtlich beschränkten
Fenerversicherungssozietäten der Provinzen, Landschaften und Gemeinden in eine
allgemeine deutsche Landesfeuerkasse,

Mit Rücksicht auf seinen Charakter, welcher wesentlich von dem andrer
Geschäfte abweicht, erfordert das Versicherungsgeschäft auch eine besondre sach¬
gemäße Gesetzgebung. Alle bis jetzt wegen des Versicherungswesens erlassenen
gesetzlichen Bestimmungen entsprechen weder den Bedürfnissen des Publikums
noch denen der Gesellschaften. Das uns schon seit Jahren in Aussicht gestellte
Rcichsvcrsicherungsgesetz muß alle Verordnungen der Einzelstaaten beseitigen und
in Geschäftsführung und Rechnungslegung, Besteuerung der Gesellschaften,
Agentenwesen, Schadcnregulirung und staatliche Aufsicht Einheit bringen. Das
staatliche Aufsichtsrecht muß streng gewahrt und im wahren Sinne des Wortes
ausgeführt werden. Es darf nicht darauf beschränkt sein, daß irgend ein des
Geschäfts unkundiger Regierungskommissar durch Anwesenheit bei den General¬
versammlungen den spekulativen Beschlüssen derselben die behördliche Sanktion
erteilt. Strenge Kontrole der Geschäftslage durch außerordentliche Durchsicht
der Bücher und Prüfung der Abschlüsse sind allein imstande, das Publikum vor
Verlusten zu schützen. Mehrere Gesellschaften halten die Veröffentlichung ihrer
Bilanzen zurück oder bringen sie so dunkel und verschleiert, daß sie selbst dem
Fachmanne erst nach gründlicher Sezirung der einzelnen Posten und Zahlen
verständlich sind. Sie haben sogar die Versicherungspresse zu dem Ausspruche
veranlaßt, daß sie Grund zu dieser Lichtscheu haben müssen. Die mit Erteilung
der Konzession verbundene Bedingung des staatlichen Aufsichtsrechts, wie solches
bisher geübt wurde, vermochte nicht deu plötzlichen Bankerott von Gesellschaften
zu verhüten,*) sie vermehrte dadurch noch die Verluste des Publikums, weil
dieses die staatliche Aufsicht als staatliche Garantie verstand und daher umso
vertrauensseliger seine Ersparnisse den unsolider Instituten übergab. Auch muß
die Kritik der bei uns arbeitenden Gesellschaften nicht, wie bisher, nur in der
den engsten Kreisen zugehenden Fachpresse, sondern auch von politischen Zeitungen
ausgeübt und dadurch dem Publikum bekannt gemacht werden.

Die Schadenrcgnlirungcn dürfen nicht ohne Zuziehung eines staatlichen
Kommissars erfolgen, welcher einerseits die Gesellschaft vor ungerechtfertigten
Ansprüchen durch die Autorität der ihm zur Seite stehende» Gewalt schützt,
aber auch andrerseits den schuldlos Beschädigtem vor Ausnutzung seiner Notlage
bewahrt. Die Regulirung muß spätestens acht Tage nach dem Brande erfolgen,
sie hat durch einen von der Gesellschaft Bevollmächtigten zu geschehen, dessen
Abmachungen uicht erst der Genehmigung der Gesellschaft bedürfen. Nach
heutigem Gebrauch sind wohl die Erklärungen des Beschädigtem für diesen bindend,



Die „Patrin" machte zehn Tage nach der Geschäftscröffmmg Bankerott, der „Vater
Rhein" hat sein Leben nicht Wer das Säuglingsalter gebracht.
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[0456] Die Praxis der deutschen Feuerversicherungsgcsollschafte». durch Verschmelzung der schon bestehenden 61 deutschen örtlich beschränkten Fenerversicherungssozietäten der Provinzen, Landschaften und Gemeinden in eine allgemeine deutsche Landesfeuerkasse, Mit Rücksicht auf seinen Charakter, welcher wesentlich von dem andrer Geschäfte abweicht, erfordert das Versicherungsgeschäft auch eine besondre sach¬ gemäße Gesetzgebung. Alle bis jetzt wegen des Versicherungswesens erlassenen gesetzlichen Bestimmungen entsprechen weder den Bedürfnissen des Publikums noch denen der Gesellschaften. Das uns schon seit Jahren in Aussicht gestellte Rcichsvcrsicherungsgesetz muß alle Verordnungen der Einzelstaaten beseitigen und in Geschäftsführung und Rechnungslegung, Besteuerung der Gesellschaften, Agentenwesen, Schadcnregulirung und staatliche Aufsicht Einheit bringen. Das staatliche Aufsichtsrecht muß streng gewahrt und im wahren Sinne des Wortes ausgeführt werden. Es darf nicht darauf beschränkt sein, daß irgend ein des Geschäfts unkundiger Regierungskommissar durch Anwesenheit bei den General¬ versammlungen den spekulativen Beschlüssen derselben die behördliche Sanktion erteilt. Strenge Kontrole der Geschäftslage durch außerordentliche Durchsicht der Bücher und Prüfung der Abschlüsse sind allein imstande, das Publikum vor Verlusten zu schützen. Mehrere Gesellschaften halten die Veröffentlichung ihrer Bilanzen zurück oder bringen sie so dunkel und verschleiert, daß sie selbst dem Fachmanne erst nach gründlicher Sezirung der einzelnen Posten und Zahlen verständlich sind. Sie haben sogar die Versicherungspresse zu dem Ausspruche veranlaßt, daß sie Grund zu dieser Lichtscheu haben müssen. Die mit Erteilung der Konzession verbundene Bedingung des staatlichen Aufsichtsrechts, wie solches bisher geübt wurde, vermochte nicht deu plötzlichen Bankerott von Gesellschaften zu verhüten,*) sie vermehrte dadurch noch die Verluste des Publikums, weil dieses die staatliche Aufsicht als staatliche Garantie verstand und daher umso vertrauensseliger seine Ersparnisse den unsolider Instituten übergab. Auch muß die Kritik der bei uns arbeitenden Gesellschaften nicht, wie bisher, nur in der den engsten Kreisen zugehenden Fachpresse, sondern auch von politischen Zeitungen ausgeübt und dadurch dem Publikum bekannt gemacht werden. Die Schadenrcgnlirungcn dürfen nicht ohne Zuziehung eines staatlichen Kommissars erfolgen, welcher einerseits die Gesellschaft vor ungerechtfertigten Ansprüchen durch die Autorität der ihm zur Seite stehende» Gewalt schützt, aber auch andrerseits den schuldlos Beschädigtem vor Ausnutzung seiner Notlage bewahrt. Die Regulirung muß spätestens acht Tage nach dem Brande erfolgen, sie hat durch einen von der Gesellschaft Bevollmächtigten zu geschehen, dessen Abmachungen uicht erst der Genehmigung der Gesellschaft bedürfen. Nach heutigem Gebrauch sind wohl die Erklärungen des Beschädigtem für diesen bindend, Die „Patrin" machte zehn Tage nach der Geschäftscröffmmg Bankerott, der „Vater Rhein" hat sein Leben nicht Wer das Säuglingsalter gebracht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/456>, abgerufen am 28.09.2024.