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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die Praxis der deutschen Feuorversicherimzsgesellschafton.

Diese Überschusse, welche in den Abrechnungen unter den Titeln "Reserve-
fonds," "Sparfonds," "Kapitalreserve" u, ni. in. erscheinen, machen bei einzelnen
Gesellschaften das zwei- bis fünfundeinhalbfache des eingezahlten Aktienkapitals
aus. Nicht aus den Zinsen des riskirten Kapitals der Aktionäre kommen
die Dividenden, wohl aber ermöglichten die seit Dezennien dem Publikum zu
viel abgenommenen Prämien den Aktionären neben reicher Verzinsung des An¬
lagekapitals noch dessen Verdopplung und Verfüuffachung.

Gesetzt, die Verwaltungskosten der Aachen-Münchener wären die denkbar
billigsten -- obgleich sie beim Wegfall der hohen Tantiemen und Provisionen
und bei Vereinfachung des Vorstandes sich noch wesentlich geringer gestalten
würden --, so würden durch allgemeine Reduzirung der Verwaltungskosten ans daS
Niveau der Aachen-Münchener bei den obigen 36 640 Millionen Versicherungs¬
summe 16 615 200 M. gespart werden, an Zinsen und Dividenden könnten
9143149 M. in Wegfall kommen; das macht in Summa 25 758 349 M,
eine Ersparnis, welche eine Durchschnittsprämie von 1,46 Promille oder eine
Prämienverminderung von 30 Prozent gestatten würde.

Der Entrüstungsschrei der Gesellschaften in ihren auf das Reskript des
Fürsten Bismcirck erlassenen Repliken und in der ihnen ergebenen Presse ist
aber auch ungerechtfertigt dem nichts weniger als kollegialischer Verfahren gegen¬
über, welches sie gegen sich auf dem Felde der Konkurrenz treiben. Dieses
Verfahren führt zu Schlüssen, die zu der Geschäftsführung der meisten Anstalten
kein Vertrauen erwecken können. Ein Abjagen der Geschäfte -- "ausspannen"
ist der isrwirms tövdiüLus im Assekuranzjargon -- durch Vorspiegelung von
Thatsachen, welche die Solvenz und Koulanz des Konkurrenten verdächtigen
sollen, und dnrch Unterbieten der Prämien ist das alltägliche Verfahren der
Organe der Gesellschaften, ihrer Acquisitionsbeamten und Agenten, Das Ma¬
növer des Acquirirens bewegt sich nur selten in den Formen des geschäftlichen
Anstandes oder der Kollegialität; oft greift es zu den niedrigen Mitteln der
Verleumdung und Bestechung, Eine vom Glück durch gute Abschlüsse minder
begünstigte Gesellschaft wird ihren Kunden durch versteckte Redensarten, durch
vielsagendes Achselzucken und durch Zusendungen anonymer Flugschriften als
wenigstens nicht mehr zweifellos sicher hingestellt. Wir erinnern uns noch des
widerlichen Gebcchrens der Schwestern während der Agonie der "Berlin-Köl¬
nischen," um soviel als möglich von dem Geschäfte der noch Lebenden zu erben,
sowie des auffälligen Treibens einiger Gesellschaften bei der Teilung des Kunden¬
kreises des in Liquidation gegangenen "Adlers." Falscher Vorspiegelungen
wegen muß mancher Versicherte noch auf Jahre hinaus doppelte Prämien zahlen,
denn er ließ sich bewegen, trotz seiner noch nicht abgelaufenen Poliee einen
neuen Versicherungsvertrag bei einer andern Gesellschaft zu schließen. Treulose
Beamte und wortbrüchige Agenten im Besitze der Abschriften der Versichernngs-
und Ablcinfsregister der Konkurrenz sind gesuchte Personen, Der Vorfall, der


Die Praxis der deutschen Feuorversicherimzsgesellschafton.

Diese Überschusse, welche in den Abrechnungen unter den Titeln „Reserve-
fonds," „Sparfonds," „Kapitalreserve" u, ni. in. erscheinen, machen bei einzelnen
Gesellschaften das zwei- bis fünfundeinhalbfache des eingezahlten Aktienkapitals
aus. Nicht aus den Zinsen des riskirten Kapitals der Aktionäre kommen
die Dividenden, wohl aber ermöglichten die seit Dezennien dem Publikum zu
viel abgenommenen Prämien den Aktionären neben reicher Verzinsung des An¬
lagekapitals noch dessen Verdopplung und Verfüuffachung.

Gesetzt, die Verwaltungskosten der Aachen-Münchener wären die denkbar
billigsten — obgleich sie beim Wegfall der hohen Tantiemen und Provisionen
und bei Vereinfachung des Vorstandes sich noch wesentlich geringer gestalten
würden —, so würden durch allgemeine Reduzirung der Verwaltungskosten ans daS
Niveau der Aachen-Münchener bei den obigen 36 640 Millionen Versicherungs¬
summe 16 615 200 M. gespart werden, an Zinsen und Dividenden könnten
9143149 M. in Wegfall kommen; das macht in Summa 25 758 349 M,
eine Ersparnis, welche eine Durchschnittsprämie von 1,46 Promille oder eine
Prämienverminderung von 30 Prozent gestatten würde.

Der Entrüstungsschrei der Gesellschaften in ihren auf das Reskript des
Fürsten Bismcirck erlassenen Repliken und in der ihnen ergebenen Presse ist
aber auch ungerechtfertigt dem nichts weniger als kollegialischer Verfahren gegen¬
über, welches sie gegen sich auf dem Felde der Konkurrenz treiben. Dieses
Verfahren führt zu Schlüssen, die zu der Geschäftsführung der meisten Anstalten
kein Vertrauen erwecken können. Ein Abjagen der Geschäfte — „ausspannen"
ist der isrwirms tövdiüLus im Assekuranzjargon — durch Vorspiegelung von
Thatsachen, welche die Solvenz und Koulanz des Konkurrenten verdächtigen
sollen, und dnrch Unterbieten der Prämien ist das alltägliche Verfahren der
Organe der Gesellschaften, ihrer Acquisitionsbeamten und Agenten, Das Ma¬
növer des Acquirirens bewegt sich nur selten in den Formen des geschäftlichen
Anstandes oder der Kollegialität; oft greift es zu den niedrigen Mitteln der
Verleumdung und Bestechung, Eine vom Glück durch gute Abschlüsse minder
begünstigte Gesellschaft wird ihren Kunden durch versteckte Redensarten, durch
vielsagendes Achselzucken und durch Zusendungen anonymer Flugschriften als
wenigstens nicht mehr zweifellos sicher hingestellt. Wir erinnern uns noch des
widerlichen Gebcchrens der Schwestern während der Agonie der „Berlin-Köl¬
nischen," um soviel als möglich von dem Geschäfte der noch Lebenden zu erben,
sowie des auffälligen Treibens einiger Gesellschaften bei der Teilung des Kunden¬
kreises des in Liquidation gegangenen „Adlers." Falscher Vorspiegelungen
wegen muß mancher Versicherte noch auf Jahre hinaus doppelte Prämien zahlen,
denn er ließ sich bewegen, trotz seiner noch nicht abgelaufenen Poliee einen
neuen Versicherungsvertrag bei einer andern Gesellschaft zu schließen. Treulose
Beamte und wortbrüchige Agenten im Besitze der Abschriften der Versichernngs-
und Ablcinfsregister der Konkurrenz sind gesuchte Personen, Der Vorfall, der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/454>, abgerufen am 28.09.2024.