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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Rußland u"d die armenische Frage.

Ganz anders die Armenier. Sie verlassen die Thäler ihres Geburtslandes
nicht mit dem stillen Wunsche einer dereinstige" Heimkehr, drängen sich um die
Kvuaks der türkischen Würdenträger, nisten sich in alle, den Christen nur
irgendwie zugänglichen Verwaltungszweige ein, buhlen um die Gunst der Großen,
und das alles nur um persönlicher Vorteile willen. Wo immer innerhalb der
weiten Grenzen des türkischen Reiches ihnen solche Vorteile gewährt werden, da
bleiben sie, gründen Niederlassungen, saugen sich fest an dem schwächlichen
Staatskörper, dessen Zersetzungsprozeß der Gewinnsucht und dem Wucher reiche
Ausbeute gewährt. Viele von ihnen kaufen auch wohl mit dem in der Fremde
gewonnenen Gelde Ländereien im Heimatlande, aber sie gehen nie oder selten
dorthin. Ihre Verwalter suchen sich mit den türkischen Behörden gut zu stellen
und in der landesüblichen Weise abzufinden. Ihren ärmern Neligionsgenosscn
gewähren sie weder Schutz noch Vertretung. Die in Konstantinopel lebenden
armenischen Börsenfürsten und höhern Staatsbeamten haben für die Klagen
ans der heimischen Provinz kein Gehör. Es fällt ihnen nicht ein, die Sache
der Bedrückten zu der ihrigen zu machen. Sie fürchten an der Zentralstelle,
bei ihren Brodherrn, ihren Chefs, oder wenn sie Bankiers sind, bei ihren ein¬
flußreichen Schuldnern Mißtrauen zu erwecken. Man kann ihnen dies in ge¬
wissem Sinne nicht verargen. Ein solcher Argwohn allein genügt oft, sie mit
einem Schlage aller Früchte eines langen, mühevollen Lebens zu berauben.
Schon ein großer Besitz und der damit verbundene Einfluß macht sie verdächtig.
Verleumdung, Intrigue und Rachsucht spielen mit hinein. Eine Anklage ist
leicht gestellt. Die Konfiskation der Güter eines verdächtigen Armeniers hat
in der Türkei niemals große Schwierigkeiten bereitet. Früher bildete sie das
beliebte Mittel, in Zeiten finanzieller Erschöpfung den Staatssäckel und damit
auch die Taschen der Minister zu füllen. Das Terrain in Jenikiöi, welches
der Sultan unlängst der österreichischen Regierung zur Errichtung eines Sommer-
Palais der Botschaft geschenkt hat, ist einst einem reichen Armenier abgenommen
worden. Die Ruine des prächtigen Palastes, die eingestürzten Terrassen und
verwilderten Gärten boten ein trauriges Bild der Verwahrlosung inmitten der
glänzenden Villen und herrlichen Anlagen, welche diesen schönsten Teil des
Bosporusufers bedecken.

Die armenischen Spekulanten konnten sich den ungestörten Besitz ihrer
Schätze nur damit sichern, daß sie dieselben vor dem gierigen Blick schlecht be¬
zahlter Beamten möglichst verbargen oder diesen an dem Gewinn einen ent¬
sprechenden Anteil gewährten. Auch heute noch ist solche Vorsicht geboten;
denn die Rechtszustände für die Rajahs sind trotz aller kaiserlichen Halts und
scheinbaren Jnstizrcformen um nichts gebessert. Die am Bosporus residirenden
reichen Armenier unterlassen es daher nicht, einen Teil ihrer Kapitalien in den
Baute" des Auslandes in Sicherheit zu bringen, und kargen nicht mit Geschenken
on einflußreiche Beamte oder an den Großherrn selbst.


Rußland u»d die armenische Frage.

Ganz anders die Armenier. Sie verlassen die Thäler ihres Geburtslandes
nicht mit dem stillen Wunsche einer dereinstige» Heimkehr, drängen sich um die
Kvuaks der türkischen Würdenträger, nisten sich in alle, den Christen nur
irgendwie zugänglichen Verwaltungszweige ein, buhlen um die Gunst der Großen,
und das alles nur um persönlicher Vorteile willen. Wo immer innerhalb der
weiten Grenzen des türkischen Reiches ihnen solche Vorteile gewährt werden, da
bleiben sie, gründen Niederlassungen, saugen sich fest an dem schwächlichen
Staatskörper, dessen Zersetzungsprozeß der Gewinnsucht und dem Wucher reiche
Ausbeute gewährt. Viele von ihnen kaufen auch wohl mit dem in der Fremde
gewonnenen Gelde Ländereien im Heimatlande, aber sie gehen nie oder selten
dorthin. Ihre Verwalter suchen sich mit den türkischen Behörden gut zu stellen
und in der landesüblichen Weise abzufinden. Ihren ärmern Neligionsgenosscn
gewähren sie weder Schutz noch Vertretung. Die in Konstantinopel lebenden
armenischen Börsenfürsten und höhern Staatsbeamten haben für die Klagen
ans der heimischen Provinz kein Gehör. Es fällt ihnen nicht ein, die Sache
der Bedrückten zu der ihrigen zu machen. Sie fürchten an der Zentralstelle,
bei ihren Brodherrn, ihren Chefs, oder wenn sie Bankiers sind, bei ihren ein¬
flußreichen Schuldnern Mißtrauen zu erwecken. Man kann ihnen dies in ge¬
wissem Sinne nicht verargen. Ein solcher Argwohn allein genügt oft, sie mit
einem Schlage aller Früchte eines langen, mühevollen Lebens zu berauben.
Schon ein großer Besitz und der damit verbundene Einfluß macht sie verdächtig.
Verleumdung, Intrigue und Rachsucht spielen mit hinein. Eine Anklage ist
leicht gestellt. Die Konfiskation der Güter eines verdächtigen Armeniers hat
in der Türkei niemals große Schwierigkeiten bereitet. Früher bildete sie das
beliebte Mittel, in Zeiten finanzieller Erschöpfung den Staatssäckel und damit
auch die Taschen der Minister zu füllen. Das Terrain in Jenikiöi, welches
der Sultan unlängst der österreichischen Regierung zur Errichtung eines Sommer-
Palais der Botschaft geschenkt hat, ist einst einem reichen Armenier abgenommen
worden. Die Ruine des prächtigen Palastes, die eingestürzten Terrassen und
verwilderten Gärten boten ein trauriges Bild der Verwahrlosung inmitten der
glänzenden Villen und herrlichen Anlagen, welche diesen schönsten Teil des
Bosporusufers bedecken.

Die armenischen Spekulanten konnten sich den ungestörten Besitz ihrer
Schätze nur damit sichern, daß sie dieselben vor dem gierigen Blick schlecht be¬
zahlter Beamten möglichst verbargen oder diesen an dem Gewinn einen ent¬
sprechenden Anteil gewährten. Auch heute noch ist solche Vorsicht geboten;
denn die Rechtszustände für die Rajahs sind trotz aller kaiserlichen Halts und
scheinbaren Jnstizrcformen um nichts gebessert. Die am Bosporus residirenden
reichen Armenier unterlassen es daher nicht, einen Teil ihrer Kapitalien in den
Baute» des Auslandes in Sicherheit zu bringen, und kargen nicht mit Geschenken
on einflußreiche Beamte oder an den Großherrn selbst.


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[0445] Rußland u»d die armenische Frage. Ganz anders die Armenier. Sie verlassen die Thäler ihres Geburtslandes nicht mit dem stillen Wunsche einer dereinstige» Heimkehr, drängen sich um die Kvuaks der türkischen Würdenträger, nisten sich in alle, den Christen nur irgendwie zugänglichen Verwaltungszweige ein, buhlen um die Gunst der Großen, und das alles nur um persönlicher Vorteile willen. Wo immer innerhalb der weiten Grenzen des türkischen Reiches ihnen solche Vorteile gewährt werden, da bleiben sie, gründen Niederlassungen, saugen sich fest an dem schwächlichen Staatskörper, dessen Zersetzungsprozeß der Gewinnsucht und dem Wucher reiche Ausbeute gewährt. Viele von ihnen kaufen auch wohl mit dem in der Fremde gewonnenen Gelde Ländereien im Heimatlande, aber sie gehen nie oder selten dorthin. Ihre Verwalter suchen sich mit den türkischen Behörden gut zu stellen und in der landesüblichen Weise abzufinden. Ihren ärmern Neligionsgenosscn gewähren sie weder Schutz noch Vertretung. Die in Konstantinopel lebenden armenischen Börsenfürsten und höhern Staatsbeamten haben für die Klagen ans der heimischen Provinz kein Gehör. Es fällt ihnen nicht ein, die Sache der Bedrückten zu der ihrigen zu machen. Sie fürchten an der Zentralstelle, bei ihren Brodherrn, ihren Chefs, oder wenn sie Bankiers sind, bei ihren ein¬ flußreichen Schuldnern Mißtrauen zu erwecken. Man kann ihnen dies in ge¬ wissem Sinne nicht verargen. Ein solcher Argwohn allein genügt oft, sie mit einem Schlage aller Früchte eines langen, mühevollen Lebens zu berauben. Schon ein großer Besitz und der damit verbundene Einfluß macht sie verdächtig. Verleumdung, Intrigue und Rachsucht spielen mit hinein. Eine Anklage ist leicht gestellt. Die Konfiskation der Güter eines verdächtigen Armeniers hat in der Türkei niemals große Schwierigkeiten bereitet. Früher bildete sie das beliebte Mittel, in Zeiten finanzieller Erschöpfung den Staatssäckel und damit auch die Taschen der Minister zu füllen. Das Terrain in Jenikiöi, welches der Sultan unlängst der österreichischen Regierung zur Errichtung eines Sommer- Palais der Botschaft geschenkt hat, ist einst einem reichen Armenier abgenommen worden. Die Ruine des prächtigen Palastes, die eingestürzten Terrassen und verwilderten Gärten boten ein trauriges Bild der Verwahrlosung inmitten der glänzenden Villen und herrlichen Anlagen, welche diesen schönsten Teil des Bosporusufers bedecken. Die armenischen Spekulanten konnten sich den ungestörten Besitz ihrer Schätze nur damit sichern, daß sie dieselben vor dem gierigen Blick schlecht be¬ zahlter Beamten möglichst verbargen oder diesen an dem Gewinn einen ent¬ sprechenden Anteil gewährten. Auch heute noch ist solche Vorsicht geboten; denn die Rechtszustände für die Rajahs sind trotz aller kaiserlichen Halts und scheinbaren Jnstizrcformen um nichts gebessert. Die am Bosporus residirenden reichen Armenier unterlassen es daher nicht, einen Teil ihrer Kapitalien in den Baute» des Auslandes in Sicherheit zu bringen, und kargen nicht mit Geschenken on einflußreiche Beamte oder an den Großherrn selbst.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/445>, abgerufen am 25.07.2024.