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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und kandschaftsmalerei.

Joachim de Patinir ist der erste unter den niederländischen Malern, an
welchen die Geschichtschreiber eine üble Nachrede geknüpft haben, Karel van
Marder erzählt in seinem 1604 in Amsterdam erschienenen Malerbuche i "Die
Lebensweise von Patinir war ungemein roh, und er gab sich so sehr dem Trunke
hin, daß man ihn alle Tage, statt vor der Staffelei, in der Schenke fand, wo
er seinen Verdienst solange verzehrte, bis die Not ihn zwang, wieder den Pinsel
in die Hand zu nehmen." Man hat diese wenig schmeichelhafte Charakteristik
mit dem Hinweis darauf zu entkräften versucht, daß der ehrbare Dürer schwer¬
lich mit einem Trunkenbolde so lebhaft verkehrt haben würde, wie es der Fall
gewesen war, und daß der angesehene Quintin Massijs nach Patinirs Tode als
Vormund seiner Kinder auftrat. Indessen führte Dürer in den Niederlanden
ein so lustiges, von Gastereien erfülltes Leben, daß er schwerlich an einem lu¬
stigen Kumpan Anstoß genommen haben wird, besonders da er ja in Patinir den
Künstler achten konnte. Auch brachte Dürer aus den Niederlanden den Keim
zu einem tötlichen Leiden heim, welches vielleicht auf die veränderte, seiner
Natur wenig zuträgliche Lebensweise zurückzuführen ist. Ebenso werden Pati¬
nirs Beziehungen zu Massijs unter diesem Gesichtspunkte aufzufassen sein, zumal
da des letzteren urkundliche Erwähnung als Vormund der Kinder Patinirs sehr
dafür spricht, daß dieser kein guter Haushalter gewesen ist. Am 5. Oktober
1524 erschienen nämlich Quintin Massijs und zwei andre Maler als Vormünder
der Kinder Patinirs mit seiner Witwe vor dem Magistrat, um das von Patinir
hinterlassene Haus zu verkaufe". Endlich starb Patinir anch in frühem Alter.
Da er 1515 in die Antwerpener Lnkasgilde eintrat, wird er um 1490 gehöre"
fein, und demnach hatte er nur die Mitte der dreißiger Jahre erreicht. Daraus
erklärt sich auch, weshalb die Zahl seiner hinterlassenen Bilder nur eine geringe
ist. Zum Schluß müssen wir, wenn anch mit Widerstreben, einen Punkt be¬
rühren, welcher ebenfalls dafür spricht, daß Patinir ein ausgelassener, zu derben
Späßen aufgelegter Geselle war. Karel van Mander erzählt, daß der erste
niederländische Landschaftsmaler die Gewohnheit hatte, auf seinen Gemälden
einen Mann anzubringen, welcher sich einer Verrichtung widmet, deren Dar¬
stellung eigentlich außerhalb der Domäne der Kunst liegt. Das ist leider keine
Verleumdung, sondern wir finden diesen echt "vlämischen" Zug wirklich ans
einigen Bilder" Patinirs. Selbst auf der Taufe Christi in Wien finden wir
einen solchen Mann, der hinter einem Busche hervorguckt. Wir sehen also, daß
der niederländische Realismus sich schon in seinen Anfänge" gehörig gehen ließ,
und daß mau an solchen Derbheiten in einer Zeit wenig Anstoß nahm, wo
man kein Bedenken trug, beim Empfange von Fürsten ehrbare Jungfrauen, nur
mit einem dünnen Schleier bekleidet, ans Triumphbögen zur Schau zu stelle".

Während wir über Patinirs Leben wenigstens einige dürftige Andentniigen
besitzen, können wir in Betreff des mit ihm verwandten Landschaftsmalers
Herr! met de Bles nicht einmal das Feld seiner Thätigkeit bestimmen. Wir


Die niederländische Genre- und kandschaftsmalerei.

Joachim de Patinir ist der erste unter den niederländischen Malern, an
welchen die Geschichtschreiber eine üble Nachrede geknüpft haben, Karel van
Marder erzählt in seinem 1604 in Amsterdam erschienenen Malerbuche i „Die
Lebensweise von Patinir war ungemein roh, und er gab sich so sehr dem Trunke
hin, daß man ihn alle Tage, statt vor der Staffelei, in der Schenke fand, wo
er seinen Verdienst solange verzehrte, bis die Not ihn zwang, wieder den Pinsel
in die Hand zu nehmen." Man hat diese wenig schmeichelhafte Charakteristik
mit dem Hinweis darauf zu entkräften versucht, daß der ehrbare Dürer schwer¬
lich mit einem Trunkenbolde so lebhaft verkehrt haben würde, wie es der Fall
gewesen war, und daß der angesehene Quintin Massijs nach Patinirs Tode als
Vormund seiner Kinder auftrat. Indessen führte Dürer in den Niederlanden
ein so lustiges, von Gastereien erfülltes Leben, daß er schwerlich an einem lu¬
stigen Kumpan Anstoß genommen haben wird, besonders da er ja in Patinir den
Künstler achten konnte. Auch brachte Dürer aus den Niederlanden den Keim
zu einem tötlichen Leiden heim, welches vielleicht auf die veränderte, seiner
Natur wenig zuträgliche Lebensweise zurückzuführen ist. Ebenso werden Pati¬
nirs Beziehungen zu Massijs unter diesem Gesichtspunkte aufzufassen sein, zumal
da des letzteren urkundliche Erwähnung als Vormund der Kinder Patinirs sehr
dafür spricht, daß dieser kein guter Haushalter gewesen ist. Am 5. Oktober
1524 erschienen nämlich Quintin Massijs und zwei andre Maler als Vormünder
der Kinder Patinirs mit seiner Witwe vor dem Magistrat, um das von Patinir
hinterlassene Haus zu verkaufe». Endlich starb Patinir anch in frühem Alter.
Da er 1515 in die Antwerpener Lnkasgilde eintrat, wird er um 1490 gehöre»
fein, und demnach hatte er nur die Mitte der dreißiger Jahre erreicht. Daraus
erklärt sich auch, weshalb die Zahl seiner hinterlassenen Bilder nur eine geringe
ist. Zum Schluß müssen wir, wenn anch mit Widerstreben, einen Punkt be¬
rühren, welcher ebenfalls dafür spricht, daß Patinir ein ausgelassener, zu derben
Späßen aufgelegter Geselle war. Karel van Mander erzählt, daß der erste
niederländische Landschaftsmaler die Gewohnheit hatte, auf seinen Gemälden
einen Mann anzubringen, welcher sich einer Verrichtung widmet, deren Dar¬
stellung eigentlich außerhalb der Domäne der Kunst liegt. Das ist leider keine
Verleumdung, sondern wir finden diesen echt „vlämischen" Zug wirklich ans
einigen Bilder» Patinirs. Selbst auf der Taufe Christi in Wien finden wir
einen solchen Mann, der hinter einem Busche hervorguckt. Wir sehen also, daß
der niederländische Realismus sich schon in seinen Anfänge» gehörig gehen ließ,
und daß mau an solchen Derbheiten in einer Zeit wenig Anstoß nahm, wo
man kein Bedenken trug, beim Empfange von Fürsten ehrbare Jungfrauen, nur
mit einem dünnen Schleier bekleidet, ans Triumphbögen zur Schau zu stelle».

Während wir über Patinirs Leben wenigstens einige dürftige Andentniigen
besitzen, können wir in Betreff des mit ihm verwandten Landschaftsmalers
Herr! met de Bles nicht einmal das Feld seiner Thätigkeit bestimmen. Wir


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[0412] Die niederländische Genre- und kandschaftsmalerei. Joachim de Patinir ist der erste unter den niederländischen Malern, an welchen die Geschichtschreiber eine üble Nachrede geknüpft haben, Karel van Marder erzählt in seinem 1604 in Amsterdam erschienenen Malerbuche i „Die Lebensweise von Patinir war ungemein roh, und er gab sich so sehr dem Trunke hin, daß man ihn alle Tage, statt vor der Staffelei, in der Schenke fand, wo er seinen Verdienst solange verzehrte, bis die Not ihn zwang, wieder den Pinsel in die Hand zu nehmen." Man hat diese wenig schmeichelhafte Charakteristik mit dem Hinweis darauf zu entkräften versucht, daß der ehrbare Dürer schwer¬ lich mit einem Trunkenbolde so lebhaft verkehrt haben würde, wie es der Fall gewesen war, und daß der angesehene Quintin Massijs nach Patinirs Tode als Vormund seiner Kinder auftrat. Indessen führte Dürer in den Niederlanden ein so lustiges, von Gastereien erfülltes Leben, daß er schwerlich an einem lu¬ stigen Kumpan Anstoß genommen haben wird, besonders da er ja in Patinir den Künstler achten konnte. Auch brachte Dürer aus den Niederlanden den Keim zu einem tötlichen Leiden heim, welches vielleicht auf die veränderte, seiner Natur wenig zuträgliche Lebensweise zurückzuführen ist. Ebenso werden Pati¬ nirs Beziehungen zu Massijs unter diesem Gesichtspunkte aufzufassen sein, zumal da des letzteren urkundliche Erwähnung als Vormund der Kinder Patinirs sehr dafür spricht, daß dieser kein guter Haushalter gewesen ist. Am 5. Oktober 1524 erschienen nämlich Quintin Massijs und zwei andre Maler als Vormünder der Kinder Patinirs mit seiner Witwe vor dem Magistrat, um das von Patinir hinterlassene Haus zu verkaufe». Endlich starb Patinir anch in frühem Alter. Da er 1515 in die Antwerpener Lnkasgilde eintrat, wird er um 1490 gehöre» fein, und demnach hatte er nur die Mitte der dreißiger Jahre erreicht. Daraus erklärt sich auch, weshalb die Zahl seiner hinterlassenen Bilder nur eine geringe ist. Zum Schluß müssen wir, wenn anch mit Widerstreben, einen Punkt be¬ rühren, welcher ebenfalls dafür spricht, daß Patinir ein ausgelassener, zu derben Späßen aufgelegter Geselle war. Karel van Mander erzählt, daß der erste niederländische Landschaftsmaler die Gewohnheit hatte, auf seinen Gemälden einen Mann anzubringen, welcher sich einer Verrichtung widmet, deren Dar¬ stellung eigentlich außerhalb der Domäne der Kunst liegt. Das ist leider keine Verleumdung, sondern wir finden diesen echt „vlämischen" Zug wirklich ans einigen Bilder» Patinirs. Selbst auf der Taufe Christi in Wien finden wir einen solchen Mann, der hinter einem Busche hervorguckt. Wir sehen also, daß der niederländische Realismus sich schon in seinen Anfänge» gehörig gehen ließ, und daß mau an solchen Derbheiten in einer Zeit wenig Anstoß nahm, wo man kein Bedenken trug, beim Empfange von Fürsten ehrbare Jungfrauen, nur mit einem dünnen Schleier bekleidet, ans Triumphbögen zur Schau zu stelle». Während wir über Patinirs Leben wenigstens einige dürftige Andentniigen besitzen, können wir in Betreff des mit ihm verwandten Landschaftsmalers Herr! met de Bles nicht einmal das Feld seiner Thätigkeit bestimmen. Wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/412>, abgerufen am 24.07.2024.