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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmaler-!.

lebendig zu machen, weil er das individuelle Leben, die Seele der Landschaft
noch nicht entdeckt hat. Neben dem Vorgange, welcher die Hauptstaffage bildet,
spielt sich immer noch ein andrer ab. So wird z. B. auf dem Vordergrunde
des Wiener Bildes Christus von Johannes getauft, zwei ziemlich große Figuren.
In einiger Entfernung predigt der Täufer vor einer Schaar von Männern und
Frauen, uuter welcher man auch einen Landsknecht mit seiner Hellebarde be¬
merkt. Die Gehölze und Wiesen des Mittelgrundes sind von ahmten Hirschen
belebt, und am Flußufer sitzt ein Angler. Vorn tummeln sich ein paar Sala¬
mander an den Wurzeln eines Burnes herum, und etwas weiter hinten sitzt
ein Häschen. Wir finden also hier schon die Vorbilder jener reichen Tier¬
staffage, mit welcher Jan Brueghel seine Landschaften anfüllte. Auf dem
Berliner Bilde, der Ruhe auf der Flucht, sitzt Maria mit dem Kinde im
Vordergründe an einem Feuer, über welchem ein eiserner Topf hängt. Aus
einem Dorfe zur Linken kommt Joseph mit seinem Esel herbei, und unten im
Thal liegt ein andres Dorf, in welchem der Bethlehemitische Kindermord dar¬
gestellt ist. Ans einem Walde tritt ein Hirsch heraus.

Wenn man die Entwicklung der niederländische" Genre- und Landschafts¬
malerei nach kulturhistorischen Gesichtspunkten schildern will, darf man die per¬
sönlichen Verhältnisse der Künstler nicht außer Acht lassen. Es ist bekannt,
daß die frühern Geschichtschreiber der niederländischen Malerei von Karel van
Mander bis ans Desmmps ein dichtes Gewebe von Anekdoten um die Helden
ihrer Darstellung gesponnen haben, und daß sie namentlich in der Erzählung
von Geschichten nicht sparsam gewesen sind, welche von Vollere! jeglicher Art
zu reden wußten. Die dilettantische Geschichtschreibung während der ersten sechs
Jahrzehnte unsers Jahrhunderts hat diese Anekdoten, die angenehmen wie die
nachteiligen, getreulich wiedererzählt und dieselben so fest in das Gedächtnis
unsrer Zeitgenossen eingepflanzt, daß es ungemein schwer hält, den Kunstfreunden
wieder auszureden, daß Quintin Massijs erst aus Liebe ein Maler geworden,
Gerard Don drei Tage an einem Besenstiel gemalt und daß alle Maler, welche
Wirtshansprügeleicn darstellten, selbst Trunkenbolde gewesen seien. In den
meisten Füllen konnten die Anekdoten dnrch archivalische Entdeckungen wider¬
legt werden, und daraus schloß man, daß auch alle andern Fülle, über welche
vorläufig aus den Archiven keine Mitteilungen beigebracht werden konnten, mit
Zweifel aufzunehmen oder definitiv als Mythen zu betrachte"? wären. In einem
bestimmten Falle, der den Genremaler Adrian Brouwer betrifft, haben die
neuesten Forschungen indessen ergeben, daß die alten Überlieferungen über seinen
ungeregelten Lebenswandel und über sein frühzeitiges, damit im Zusammenhange
stehendes Ende durchaus auf Wahrheit beruhen. Dieser Fall mahnt zur Vor¬
sicht, und man wird daher gut thun, die Überlieferung der Geschichtschreiber
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, wenn ihre Wahrscheinlichkeit durch
die Akten der Archive nicht direkt ausgeschlossen ist.


Grenzboten I. 1884. S1
Die niederländische Genre- und Landschaftsmaler-!.

lebendig zu machen, weil er das individuelle Leben, die Seele der Landschaft
noch nicht entdeckt hat. Neben dem Vorgange, welcher die Hauptstaffage bildet,
spielt sich immer noch ein andrer ab. So wird z. B. auf dem Vordergrunde
des Wiener Bildes Christus von Johannes getauft, zwei ziemlich große Figuren.
In einiger Entfernung predigt der Täufer vor einer Schaar von Männern und
Frauen, uuter welcher man auch einen Landsknecht mit seiner Hellebarde be¬
merkt. Die Gehölze und Wiesen des Mittelgrundes sind von ahmten Hirschen
belebt, und am Flußufer sitzt ein Angler. Vorn tummeln sich ein paar Sala¬
mander an den Wurzeln eines Burnes herum, und etwas weiter hinten sitzt
ein Häschen. Wir finden also hier schon die Vorbilder jener reichen Tier¬
staffage, mit welcher Jan Brueghel seine Landschaften anfüllte. Auf dem
Berliner Bilde, der Ruhe auf der Flucht, sitzt Maria mit dem Kinde im
Vordergründe an einem Feuer, über welchem ein eiserner Topf hängt. Aus
einem Dorfe zur Linken kommt Joseph mit seinem Esel herbei, und unten im
Thal liegt ein andres Dorf, in welchem der Bethlehemitische Kindermord dar¬
gestellt ist. Ans einem Walde tritt ein Hirsch heraus.

Wenn man die Entwicklung der niederländische» Genre- und Landschafts¬
malerei nach kulturhistorischen Gesichtspunkten schildern will, darf man die per¬
sönlichen Verhältnisse der Künstler nicht außer Acht lassen. Es ist bekannt,
daß die frühern Geschichtschreiber der niederländischen Malerei von Karel van
Mander bis ans Desmmps ein dichtes Gewebe von Anekdoten um die Helden
ihrer Darstellung gesponnen haben, und daß sie namentlich in der Erzählung
von Geschichten nicht sparsam gewesen sind, welche von Vollere! jeglicher Art
zu reden wußten. Die dilettantische Geschichtschreibung während der ersten sechs
Jahrzehnte unsers Jahrhunderts hat diese Anekdoten, die angenehmen wie die
nachteiligen, getreulich wiedererzählt und dieselben so fest in das Gedächtnis
unsrer Zeitgenossen eingepflanzt, daß es ungemein schwer hält, den Kunstfreunden
wieder auszureden, daß Quintin Massijs erst aus Liebe ein Maler geworden,
Gerard Don drei Tage an einem Besenstiel gemalt und daß alle Maler, welche
Wirtshansprügeleicn darstellten, selbst Trunkenbolde gewesen seien. In den
meisten Füllen konnten die Anekdoten dnrch archivalische Entdeckungen wider¬
legt werden, und daraus schloß man, daß auch alle andern Fülle, über welche
vorläufig aus den Archiven keine Mitteilungen beigebracht werden konnten, mit
Zweifel aufzunehmen oder definitiv als Mythen zu betrachte»? wären. In einem
bestimmten Falle, der den Genremaler Adrian Brouwer betrifft, haben die
neuesten Forschungen indessen ergeben, daß die alten Überlieferungen über seinen
ungeregelten Lebenswandel und über sein frühzeitiges, damit im Zusammenhange
stehendes Ende durchaus auf Wahrheit beruhen. Dieser Fall mahnt zur Vor¬
sicht, und man wird daher gut thun, die Überlieferung der Geschichtschreiber
nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, wenn ihre Wahrscheinlichkeit durch
die Akten der Archive nicht direkt ausgeschlossen ist.


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[0411] Die niederländische Genre- und Landschaftsmaler-!. lebendig zu machen, weil er das individuelle Leben, die Seele der Landschaft noch nicht entdeckt hat. Neben dem Vorgange, welcher die Hauptstaffage bildet, spielt sich immer noch ein andrer ab. So wird z. B. auf dem Vordergrunde des Wiener Bildes Christus von Johannes getauft, zwei ziemlich große Figuren. In einiger Entfernung predigt der Täufer vor einer Schaar von Männern und Frauen, uuter welcher man auch einen Landsknecht mit seiner Hellebarde be¬ merkt. Die Gehölze und Wiesen des Mittelgrundes sind von ahmten Hirschen belebt, und am Flußufer sitzt ein Angler. Vorn tummeln sich ein paar Sala¬ mander an den Wurzeln eines Burnes herum, und etwas weiter hinten sitzt ein Häschen. Wir finden also hier schon die Vorbilder jener reichen Tier¬ staffage, mit welcher Jan Brueghel seine Landschaften anfüllte. Auf dem Berliner Bilde, der Ruhe auf der Flucht, sitzt Maria mit dem Kinde im Vordergründe an einem Feuer, über welchem ein eiserner Topf hängt. Aus einem Dorfe zur Linken kommt Joseph mit seinem Esel herbei, und unten im Thal liegt ein andres Dorf, in welchem der Bethlehemitische Kindermord dar¬ gestellt ist. Ans einem Walde tritt ein Hirsch heraus. Wenn man die Entwicklung der niederländische» Genre- und Landschafts¬ malerei nach kulturhistorischen Gesichtspunkten schildern will, darf man die per¬ sönlichen Verhältnisse der Künstler nicht außer Acht lassen. Es ist bekannt, daß die frühern Geschichtschreiber der niederländischen Malerei von Karel van Mander bis ans Desmmps ein dichtes Gewebe von Anekdoten um die Helden ihrer Darstellung gesponnen haben, und daß sie namentlich in der Erzählung von Geschichten nicht sparsam gewesen sind, welche von Vollere! jeglicher Art zu reden wußten. Die dilettantische Geschichtschreibung während der ersten sechs Jahrzehnte unsers Jahrhunderts hat diese Anekdoten, die angenehmen wie die nachteiligen, getreulich wiedererzählt und dieselben so fest in das Gedächtnis unsrer Zeitgenossen eingepflanzt, daß es ungemein schwer hält, den Kunstfreunden wieder auszureden, daß Quintin Massijs erst aus Liebe ein Maler geworden, Gerard Don drei Tage an einem Besenstiel gemalt und daß alle Maler, welche Wirtshansprügeleicn darstellten, selbst Trunkenbolde gewesen seien. In den meisten Füllen konnten die Anekdoten dnrch archivalische Entdeckungen wider¬ legt werden, und daraus schloß man, daß auch alle andern Fülle, über welche vorläufig aus den Archiven keine Mitteilungen beigebracht werden konnten, mit Zweifel aufzunehmen oder definitiv als Mythen zu betrachte»? wären. In einem bestimmten Falle, der den Genremaler Adrian Brouwer betrifft, haben die neuesten Forschungen indessen ergeben, daß die alten Überlieferungen über seinen ungeregelten Lebenswandel und über sein frühzeitiges, damit im Zusammenhange stehendes Ende durchaus auf Wahrheit beruhen. Dieser Fall mahnt zur Vor¬ sicht, und man wird daher gut thun, die Überlieferung der Geschichtschreiber nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, wenn ihre Wahrscheinlichkeit durch die Akten der Archive nicht direkt ausgeschlossen ist. Grenzboten I. 1884. S1

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/411>, abgerufen am 24.07.2024.