Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

und eingehendste behandelte. Patinir war noch weit davon entfernt, eine Land¬
schaft als ein Ganzes zu sehen, sondern er verfuhr durchaus synthetisch, indem
er einen jeden Gegenstand, nachdem er ihn getreulich kopirt hatte, an den andern
reihte. Die Grundzüge für seine Landschaften, das Flußthal mit den hohen,
zackigen, hart an das Ufer herantretenden Felsen, hatte ihm seine Heimat ge¬
liefert. Aber diese Grundzüge waren ihm noch zu einfach, die Felsen nicht
pittoresk und phantastisch genug. Er griff daher in seine eigne Phantasie und
pfropfte seine Landschaften mit Bäumen, Sträuchern und namentlich mit den
abenteuerlichsten Felsbildungen voll. Da sieht man z.B. ans der "Taufe Christi"
im Wiener Belvedere im Mittelgrunde am Ufer des sich in unzähligen Krüm¬
mungen durch die Gebirgslandschaft Hinzichenden Flusses einen mehrfach ab¬
gestuften Felsen bis in die Wollen hineinragen, welche seine Spitzen verhüllen.
Weiterhin ist ein Felsen am Ufer mit den Trümmern einer alten Burg gekrönt,
welche ersichtlich nach der Natur gemalt ist, da man ihre einzelnen Teile genau
unterscheiden kann, und aus der Mitte des Flusses ragt ein dritter Felsen
empor. Ein ähnlicher, in das Gewölk hineinreichender Felsen nimmt den Mittel¬
grund der "Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" im Berliner Museum ein. Dieser
Felsen ist in der Mitte eingebuchtet, und in diese Höhlung ist ein phantastischer
Rundbau hineingesetzt. Auch hier sieht mau spitze Felsen mit Burgen am Ufer
eines Flusses, der in zahlreichen Windungen dnrch ein bergiges Land dem Meere
zuströmt, welches sich im äußersten Hintergrunde ausdehnt. Hier sind die Details
ebenso eingehend behandelt wie im Vordergründe, wo man jedes Blatt an den
Bäumen, jeden Grashalm auf der Wiese zählen kann. Luftperspcktivc kennt
aber auch Patinir nicht. Er vertieft die Landschaft nicht durch Anordnung
der verschiedenen Pläne hinter einander, also auf horizontaler Basis, sondern
er läßt sie terrassenförmig über einander emporsteigen. Auch hat er kein Gefühl
für die Verschmelzung der Töne des Vordergrundes mit denen des Hinter¬
grundes. Die vordere grüne Hälfte ist von der hintern blauen scharf getrennt,
was dadurch noch auffälliger wird, daß das Laub der Bäume dunkelgrün, fast
schwarzgrün gehalten ist. In dieser dunkleren Haltung des Vordergrundes ist
vielleicht schon der erste Versuch zu dem Streben zu sehen, welches von den
Landschaftsmalern des 17. Jahrhunderts zu hoher Vollkommenheit entwickelt
wurde, nämlich auf diese Weise die Mittel- und Hintergründe zum Zurückweiche"
zu bringen. Die konventionelle Scheidung der grünen und blauen Pläne erhielt
sich als stehender Gebrauch länger als ein Jahrhundert in der niederländischen
Landschaftsmalerei. Erst die großen Holländer des 17. Jahrhunderts brachen
mit demselben, während der Antwerpens Brueghel und seine Schule noch an
ihm festhielten.

In seiner unersättlichen Liebe für Reichtum an Details ist Patinir nicht
damit zufrieden, das landschaftliche Bild so mannichfaltig und wechselvoll aus¬
gestattet zu haben; er füllt die Landschaft auch mit zahlreichen Figuren, um sie


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

und eingehendste behandelte. Patinir war noch weit davon entfernt, eine Land¬
schaft als ein Ganzes zu sehen, sondern er verfuhr durchaus synthetisch, indem
er einen jeden Gegenstand, nachdem er ihn getreulich kopirt hatte, an den andern
reihte. Die Grundzüge für seine Landschaften, das Flußthal mit den hohen,
zackigen, hart an das Ufer herantretenden Felsen, hatte ihm seine Heimat ge¬
liefert. Aber diese Grundzüge waren ihm noch zu einfach, die Felsen nicht
pittoresk und phantastisch genug. Er griff daher in seine eigne Phantasie und
pfropfte seine Landschaften mit Bäumen, Sträuchern und namentlich mit den
abenteuerlichsten Felsbildungen voll. Da sieht man z.B. ans der „Taufe Christi"
im Wiener Belvedere im Mittelgrunde am Ufer des sich in unzähligen Krüm¬
mungen durch die Gebirgslandschaft Hinzichenden Flusses einen mehrfach ab¬
gestuften Felsen bis in die Wollen hineinragen, welche seine Spitzen verhüllen.
Weiterhin ist ein Felsen am Ufer mit den Trümmern einer alten Burg gekrönt,
welche ersichtlich nach der Natur gemalt ist, da man ihre einzelnen Teile genau
unterscheiden kann, und aus der Mitte des Flusses ragt ein dritter Felsen
empor. Ein ähnlicher, in das Gewölk hineinreichender Felsen nimmt den Mittel¬
grund der „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" im Berliner Museum ein. Dieser
Felsen ist in der Mitte eingebuchtet, und in diese Höhlung ist ein phantastischer
Rundbau hineingesetzt. Auch hier sieht mau spitze Felsen mit Burgen am Ufer
eines Flusses, der in zahlreichen Windungen dnrch ein bergiges Land dem Meere
zuströmt, welches sich im äußersten Hintergrunde ausdehnt. Hier sind die Details
ebenso eingehend behandelt wie im Vordergründe, wo man jedes Blatt an den
Bäumen, jeden Grashalm auf der Wiese zählen kann. Luftperspcktivc kennt
aber auch Patinir nicht. Er vertieft die Landschaft nicht durch Anordnung
der verschiedenen Pläne hinter einander, also auf horizontaler Basis, sondern
er läßt sie terrassenförmig über einander emporsteigen. Auch hat er kein Gefühl
für die Verschmelzung der Töne des Vordergrundes mit denen des Hinter¬
grundes. Die vordere grüne Hälfte ist von der hintern blauen scharf getrennt,
was dadurch noch auffälliger wird, daß das Laub der Bäume dunkelgrün, fast
schwarzgrün gehalten ist. In dieser dunkleren Haltung des Vordergrundes ist
vielleicht schon der erste Versuch zu dem Streben zu sehen, welches von den
Landschaftsmalern des 17. Jahrhunderts zu hoher Vollkommenheit entwickelt
wurde, nämlich auf diese Weise die Mittel- und Hintergründe zum Zurückweiche»
zu bringen. Die konventionelle Scheidung der grünen und blauen Pläne erhielt
sich als stehender Gebrauch länger als ein Jahrhundert in der niederländischen
Landschaftsmalerei. Erst die großen Holländer des 17. Jahrhunderts brachen
mit demselben, während der Antwerpens Brueghel und seine Schule noch an
ihm festhielten.

In seiner unersättlichen Liebe für Reichtum an Details ist Patinir nicht
damit zufrieden, das landschaftliche Bild so mannichfaltig und wechselvoll aus¬
gestattet zu haben; er füllt die Landschaft auch mit zahlreichen Figuren, um sie


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0410" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155293"/>
          <fw type="header" place="top"> Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1682" prev="#ID_1681"> und eingehendste behandelte. Patinir war noch weit davon entfernt, eine Land¬<lb/>
schaft als ein Ganzes zu sehen, sondern er verfuhr durchaus synthetisch, indem<lb/>
er einen jeden Gegenstand, nachdem er ihn getreulich kopirt hatte, an den andern<lb/>
reihte. Die Grundzüge für seine Landschaften, das Flußthal mit den hohen,<lb/>
zackigen, hart an das Ufer herantretenden Felsen, hatte ihm seine Heimat ge¬<lb/>
liefert. Aber diese Grundzüge waren ihm noch zu einfach, die Felsen nicht<lb/>
pittoresk und phantastisch genug. Er griff daher in seine eigne Phantasie und<lb/>
pfropfte seine Landschaften mit Bäumen, Sträuchern und namentlich mit den<lb/>
abenteuerlichsten Felsbildungen voll. Da sieht man z.B. ans der &#x201E;Taufe Christi"<lb/>
im Wiener Belvedere im Mittelgrunde am Ufer des sich in unzähligen Krüm¬<lb/>
mungen durch die Gebirgslandschaft Hinzichenden Flusses einen mehrfach ab¬<lb/>
gestuften Felsen bis in die Wollen hineinragen, welche seine Spitzen verhüllen.<lb/>
Weiterhin ist ein Felsen am Ufer mit den Trümmern einer alten Burg gekrönt,<lb/>
welche ersichtlich nach der Natur gemalt ist, da man ihre einzelnen Teile genau<lb/>
unterscheiden kann, und aus der Mitte des Flusses ragt ein dritter Felsen<lb/>
empor. Ein ähnlicher, in das Gewölk hineinreichender Felsen nimmt den Mittel¬<lb/>
grund der &#x201E;Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" im Berliner Museum ein. Dieser<lb/>
Felsen ist in der Mitte eingebuchtet, und in diese Höhlung ist ein phantastischer<lb/>
Rundbau hineingesetzt. Auch hier sieht mau spitze Felsen mit Burgen am Ufer<lb/>
eines Flusses, der in zahlreichen Windungen dnrch ein bergiges Land dem Meere<lb/>
zuströmt, welches sich im äußersten Hintergrunde ausdehnt. Hier sind die Details<lb/>
ebenso eingehend behandelt wie im Vordergründe, wo man jedes Blatt an den<lb/>
Bäumen, jeden Grashalm auf der Wiese zählen kann. Luftperspcktivc kennt<lb/>
aber auch Patinir nicht. Er vertieft die Landschaft nicht durch Anordnung<lb/>
der verschiedenen Pläne hinter einander, also auf horizontaler Basis, sondern<lb/>
er läßt sie terrassenförmig über einander emporsteigen. Auch hat er kein Gefühl<lb/>
für die Verschmelzung der Töne des Vordergrundes mit denen des Hinter¬<lb/>
grundes. Die vordere grüne Hälfte ist von der hintern blauen scharf getrennt,<lb/>
was dadurch noch auffälliger wird, daß das Laub der Bäume dunkelgrün, fast<lb/>
schwarzgrün gehalten ist. In dieser dunkleren Haltung des Vordergrundes ist<lb/>
vielleicht schon der erste Versuch zu dem Streben zu sehen, welches von den<lb/>
Landschaftsmalern des 17. Jahrhunderts zu hoher Vollkommenheit entwickelt<lb/>
wurde, nämlich auf diese Weise die Mittel- und Hintergründe zum Zurückweiche»<lb/>
zu bringen. Die konventionelle Scheidung der grünen und blauen Pläne erhielt<lb/>
sich als stehender Gebrauch länger als ein Jahrhundert in der niederländischen<lb/>
Landschaftsmalerei. Erst die großen Holländer des 17. Jahrhunderts brachen<lb/>
mit demselben, während der Antwerpens Brueghel und seine Schule noch an<lb/>
ihm festhielten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1683" next="#ID_1684"> In seiner unersättlichen Liebe für Reichtum an Details ist Patinir nicht<lb/>
damit zufrieden, das landschaftliche Bild so mannichfaltig und wechselvoll aus¬<lb/>
gestattet zu haben; er füllt die Landschaft auch mit zahlreichen Figuren, um sie</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0410] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. und eingehendste behandelte. Patinir war noch weit davon entfernt, eine Land¬ schaft als ein Ganzes zu sehen, sondern er verfuhr durchaus synthetisch, indem er einen jeden Gegenstand, nachdem er ihn getreulich kopirt hatte, an den andern reihte. Die Grundzüge für seine Landschaften, das Flußthal mit den hohen, zackigen, hart an das Ufer herantretenden Felsen, hatte ihm seine Heimat ge¬ liefert. Aber diese Grundzüge waren ihm noch zu einfach, die Felsen nicht pittoresk und phantastisch genug. Er griff daher in seine eigne Phantasie und pfropfte seine Landschaften mit Bäumen, Sträuchern und namentlich mit den abenteuerlichsten Felsbildungen voll. Da sieht man z.B. ans der „Taufe Christi" im Wiener Belvedere im Mittelgrunde am Ufer des sich in unzähligen Krüm¬ mungen durch die Gebirgslandschaft Hinzichenden Flusses einen mehrfach ab¬ gestuften Felsen bis in die Wollen hineinragen, welche seine Spitzen verhüllen. Weiterhin ist ein Felsen am Ufer mit den Trümmern einer alten Burg gekrönt, welche ersichtlich nach der Natur gemalt ist, da man ihre einzelnen Teile genau unterscheiden kann, und aus der Mitte des Flusses ragt ein dritter Felsen empor. Ein ähnlicher, in das Gewölk hineinreichender Felsen nimmt den Mittel¬ grund der „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" im Berliner Museum ein. Dieser Felsen ist in der Mitte eingebuchtet, und in diese Höhlung ist ein phantastischer Rundbau hineingesetzt. Auch hier sieht mau spitze Felsen mit Burgen am Ufer eines Flusses, der in zahlreichen Windungen dnrch ein bergiges Land dem Meere zuströmt, welches sich im äußersten Hintergrunde ausdehnt. Hier sind die Details ebenso eingehend behandelt wie im Vordergründe, wo man jedes Blatt an den Bäumen, jeden Grashalm auf der Wiese zählen kann. Luftperspcktivc kennt aber auch Patinir nicht. Er vertieft die Landschaft nicht durch Anordnung der verschiedenen Pläne hinter einander, also auf horizontaler Basis, sondern er läßt sie terrassenförmig über einander emporsteigen. Auch hat er kein Gefühl für die Verschmelzung der Töne des Vordergrundes mit denen des Hinter¬ grundes. Die vordere grüne Hälfte ist von der hintern blauen scharf getrennt, was dadurch noch auffälliger wird, daß das Laub der Bäume dunkelgrün, fast schwarzgrün gehalten ist. In dieser dunkleren Haltung des Vordergrundes ist vielleicht schon der erste Versuch zu dem Streben zu sehen, welches von den Landschaftsmalern des 17. Jahrhunderts zu hoher Vollkommenheit entwickelt wurde, nämlich auf diese Weise die Mittel- und Hintergründe zum Zurückweiche» zu bringen. Die konventionelle Scheidung der grünen und blauen Pläne erhielt sich als stehender Gebrauch länger als ein Jahrhundert in der niederländischen Landschaftsmalerei. Erst die großen Holländer des 17. Jahrhunderts brachen mit demselben, während der Antwerpens Brueghel und seine Schule noch an ihm festhielten. In seiner unersättlichen Liebe für Reichtum an Details ist Patinir nicht damit zufrieden, das landschaftliche Bild so mannichfaltig und wechselvoll aus¬ gestattet zu haben; er füllt die Landschaft auch mit zahlreichen Figuren, um sie

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/410
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/410>, abgerufen am 24.07.2024.