Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Gedanken über Goethe. oder als laue Meereswelle dem Badenden sich zärtlich anschmiegend (Prometheus)
Aber auf den, Zürchersce am Morgen saugt der von träumerischer Erinnerung,
Die herrliche Ode "Mcchvmets Gesang" begleitet den Lebenslauf eines orien¬ Gedanken über Goethe. oder als laue Meereswelle dem Badenden sich zärtlich anschmiegend (Prometheus)
Aber auf den, Zürchersce am Morgen saugt der von träumerischer Erinnerung,
Die herrliche Ode „Mcchvmets Gesang" begleitet den Lebenslauf eines orien¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155284"/> <fw type="header" place="top"> Gedanken über Goethe.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1657" prev="#ID_1656"> oder als laue Meereswelle dem Badenden sich zärtlich anschmiegend (Prometheus)<lb/> oder als Fläche der unendlichen See, über der der Sturm leise wandelnd naht,<lb/> bis er in furchtbarer Wut die Welle» aufregt und mit dem angsterfüllter Schiffe<lb/> wie mit einem Balle spielt (Seefahrt) n, s, w. Der Dichter, in klingender<lb/> Wehmut durch die Mondnacht wandelnd, ruft das Flüßchen an, seiner Stim¬<lb/> mung zu begegnen:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_11" type="poem"> <l> Wenn du in der Winternacht<lb/> Wütend nberschwillst,<lb/> Oder um die Frühlingspracht<lb/> Junger Knospen quillst.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1658"> Aber auf den, Zürchersce am Morgen saugt der von träumerischer Erinnerung,<lb/> von widersprechenden Gefühlen bewegte junge Dichter aus der herrlichen Welt<lb/> ringsum neues Leben, neuen Mut:</p><lb/> <quote> <lg xml:id="POEMID_12" type="poem"> <l> Aus der Welle blinken<lb/> Tausend schwebende Sterne:<lb/> Weiche Nebel trinken<lb/> Ring'o die türmende Ferne;<lb/> Morgenwind umfliigelt<lb/> Die beschattete Bucht<lb/> Und im See bespiegelt<lb/> Sich die reisende Frucht.</l> </lg> </quote><lb/> <p xml:id="ID_1659" next="#ID_1660"> Die herrliche Ode „Mcchvmets Gesang" begleitet den Lebenslauf eines orien¬<lb/> talische, Stromes, der im hohen Gebirge geboren, dann immer anschwellend,<lb/> dnrch Paradiese und Wüsten zum Ozean fortrollt — ein Bruchstück physika¬<lb/> lischer Geographie in gewaltigen dichterischen Gesichten, ein Wunderwerk der<lb/> Phantasie, zugleich Symbol der wachsenden Bedeutung eines großen Menschen<lb/> oder der Phasen einer weltgeschichtlichen Begebenheit. In der Romanze „Der<lb/> Fischer" dagegen (Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll) sollte „das Gefühl<lb/> des Wassers" überhaupt ausgedrückt werden, „das Anmutige, was uns im<lb/> Sommer lockt zu baden" — wie der Dichter selbst gegen Eckermann äußerte.<lb/> Das Rinnen und Murmeln, das Herankommen und Zurücksinken des feucht-<lb/> verklärten Elementes umschmeichelt die Seele: sie ahnt in den verborgenen<lb/> Tiefen, über denen der Himmel, das eigne Angesicht wicderscheineud schwimmt,<lb/> eine unbekannte Herrlichkeit, Kühlung jeder brennenden Wunde; der dunkle Zug<lb/> darnach wird zur Person, zur Nixe, die nun mit süßer, bestrickender Rede den<lb/> Fischer hinabzieht. An Frau von Stein (19. Januar 1778): „Diese einladende<lb/> Trauer hat was gefährlich Anziehendes, wie das Wasser selbst, und der Ab¬<lb/> glanz der Sterne des Himmels, der aus beiden leuchtet, lockt uns," und in<lb/> „Wahrheit und Dichtung" (19. Buch) von der Schweizerreise: „Beim Anblick<lb/> und Feuchtgefühl des rinnenden, laufenden, stürzenden, in der Flache sich sam-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0401]
Gedanken über Goethe.
oder als laue Meereswelle dem Badenden sich zärtlich anschmiegend (Prometheus)
oder als Fläche der unendlichen See, über der der Sturm leise wandelnd naht,
bis er in furchtbarer Wut die Welle» aufregt und mit dem angsterfüllter Schiffe
wie mit einem Balle spielt (Seefahrt) n, s, w. Der Dichter, in klingender
Wehmut durch die Mondnacht wandelnd, ruft das Flüßchen an, seiner Stim¬
mung zu begegnen:
Wenn du in der Winternacht
Wütend nberschwillst,
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.
Aber auf den, Zürchersce am Morgen saugt der von träumerischer Erinnerung,
von widersprechenden Gefühlen bewegte junge Dichter aus der herrlichen Welt
ringsum neues Leben, neuen Mut:
Aus der Welle blinken
Tausend schwebende Sterne:
Weiche Nebel trinken
Ring'o die türmende Ferne;
Morgenwind umfliigelt
Die beschattete Bucht
Und im See bespiegelt
Sich die reisende Frucht.
Die herrliche Ode „Mcchvmets Gesang" begleitet den Lebenslauf eines orien¬
talische, Stromes, der im hohen Gebirge geboren, dann immer anschwellend,
dnrch Paradiese und Wüsten zum Ozean fortrollt — ein Bruchstück physika¬
lischer Geographie in gewaltigen dichterischen Gesichten, ein Wunderwerk der
Phantasie, zugleich Symbol der wachsenden Bedeutung eines großen Menschen
oder der Phasen einer weltgeschichtlichen Begebenheit. In der Romanze „Der
Fischer" dagegen (Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll) sollte „das Gefühl
des Wassers" überhaupt ausgedrückt werden, „das Anmutige, was uns im
Sommer lockt zu baden" — wie der Dichter selbst gegen Eckermann äußerte.
Das Rinnen und Murmeln, das Herankommen und Zurücksinken des feucht-
verklärten Elementes umschmeichelt die Seele: sie ahnt in den verborgenen
Tiefen, über denen der Himmel, das eigne Angesicht wicderscheineud schwimmt,
eine unbekannte Herrlichkeit, Kühlung jeder brennenden Wunde; der dunkle Zug
darnach wird zur Person, zur Nixe, die nun mit süßer, bestrickender Rede den
Fischer hinabzieht. An Frau von Stein (19. Januar 1778): „Diese einladende
Trauer hat was gefährlich Anziehendes, wie das Wasser selbst, und der Ab¬
glanz der Sterne des Himmels, der aus beiden leuchtet, lockt uns," und in
„Wahrheit und Dichtung" (19. Buch) von der Schweizerreise: „Beim Anblick
und Feuchtgefühl des rinnenden, laufenden, stürzenden, in der Flache sich sam-
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