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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Gedanken ub" Goethe.

Aber abseits wer ists?
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche znsannncn,
Das Gras steht wieder ans,
Die Öde verschlingt ihn.

Die Erde trägt Wälder und Berge, ihre Oberfläche liegt stumm und er¬
starrt vor nus da, aber im Zuge ihrer Umrisse, in der Lagerung ihrer Schichte"?
offenbart sie uns dennoch die ungeheure Geschichte, durch die sie geworden.
"Wir sind auf die hohen Gipfel gestiegen, schreibt der Dichter am 7. Sep¬
tember 1780 seiner Freundin, und in die Tiefen der Erde eingekrochen und
möchten gar zu gern der großen formenden Hand nächste Spuren entdecken."
Auf derselben Reise küßt er die Wand der Hcrmannstcincr Höhle, in die er
früher de" Namen der Geliebten eingegraben -- sodaß "der Porphyr, setzt er
hinzu, seineu ganzen Erdgeruch aufatmete, um mir, auf seine Art wenigstens,
zu antworten." "Es ist ein erhabnes, wundervolles Schauspiel, heißt es in dem
Briefe vom 12. April 1782, wenn ich nun über Berge und Felder reite, da
mir die Entstehung und Bildung der Oberfläche unsrer Erde und die Nahrung,
welche Menschen draus ziehen, zu gleicher Zeit deutlich und anschaulich wird.
Erlaube, wenn ich zurückkomme, daß ich dich nach meiner Art auf den Gipfel
des Felsens führe und dir die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeige."
Er habe Freundschaft mit der Erde geschlossen, sagt er von sich aus und
wünscht, die Geliebte möge dies Gefühl mit ihm teilen (12. September 1780):
"Sie müssen noch eine Erdfreundin werden, es ist gar zu schön -- Sie haben
sich ja schon mir zu Gefallen über mehreres gefreut." In jeder Jahreszeit,
bei jedem Wetter streift er durch das Thüringer Waldgebirge, im dichten Dunkel
der Fichten hängt er seinen Träumen nach, durchwühlt "der Erde Mark mit
Ahnungsdrang" und schlürft seine Nahrung "ans dumpfem Moos und triefendem
Gestein." An Frau v. Stein, aus Ilmenau (22. Juli 1776): "Hoch auf einem
weitrings sehenden Berge. Im Regen sitz ich hinter einen" Schirm von Tanneu-
reiseu. Die Thäler dampfen alle an den Fichtcnwäudcn herauf." An Herder
vou demselben Orte zu derselben Zeit: "Ich führe mein Leben in Klüften, Höhlen,
Wäldern, in Teichen, unter Wasserfällen, bei den Unterirdischen, und weide mich
aus in Gottes Welt." Wiederum aus Ilmenau (September 1780): "Auf dem
höchsten Berg des Reviers -- hab ich mich gebettet, um dem Wüste des Städtchens,
den Klagen, den Verlangen, der unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen
auszuweichen," und im Oktober 1784: "wenn wir schön Wetter beHallen sollten,
da will ich meine Freunde, die Berge, noch recht durchsiunen und durchsuchen,
damit ich im Glauben gestärkt werde."

Gewaltiger als Brocken und Gickclhahn sind die Eispaläste des Berner
Oberlandes und die Gletscher des Chamonix-Thales, und auch über diese enthält
die Schweizerreise von 1779 flüchtige Aufzeichnungen voll dichterischer Erhaben-


Gedanken ub« Goethe.

Aber abseits wer ists?
Hinter ihm schlagen
Die Sträuche znsannncn,
Das Gras steht wieder ans,
Die Öde verschlingt ihn.

Die Erde trägt Wälder und Berge, ihre Oberfläche liegt stumm und er¬
starrt vor nus da, aber im Zuge ihrer Umrisse, in der Lagerung ihrer Schichte«?
offenbart sie uns dennoch die ungeheure Geschichte, durch die sie geworden.
„Wir sind auf die hohen Gipfel gestiegen, schreibt der Dichter am 7. Sep¬
tember 1780 seiner Freundin, und in die Tiefen der Erde eingekrochen und
möchten gar zu gern der großen formenden Hand nächste Spuren entdecken."
Auf derselben Reise küßt er die Wand der Hcrmannstcincr Höhle, in die er
früher de» Namen der Geliebten eingegraben — sodaß „der Porphyr, setzt er
hinzu, seineu ganzen Erdgeruch aufatmete, um mir, auf seine Art wenigstens,
zu antworten." „Es ist ein erhabnes, wundervolles Schauspiel, heißt es in dem
Briefe vom 12. April 1782, wenn ich nun über Berge und Felder reite, da
mir die Entstehung und Bildung der Oberfläche unsrer Erde und die Nahrung,
welche Menschen draus ziehen, zu gleicher Zeit deutlich und anschaulich wird.
Erlaube, wenn ich zurückkomme, daß ich dich nach meiner Art auf den Gipfel
des Felsens führe und dir die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeige."
Er habe Freundschaft mit der Erde geschlossen, sagt er von sich aus und
wünscht, die Geliebte möge dies Gefühl mit ihm teilen (12. September 1780):
„Sie müssen noch eine Erdfreundin werden, es ist gar zu schön — Sie haben
sich ja schon mir zu Gefallen über mehreres gefreut." In jeder Jahreszeit,
bei jedem Wetter streift er durch das Thüringer Waldgebirge, im dichten Dunkel
der Fichten hängt er seinen Träumen nach, durchwühlt „der Erde Mark mit
Ahnungsdrang" und schlürft seine Nahrung „ans dumpfem Moos und triefendem
Gestein." An Frau v. Stein, aus Ilmenau (22. Juli 1776): „Hoch auf einem
weitrings sehenden Berge. Im Regen sitz ich hinter einen» Schirm von Tanneu-
reiseu. Die Thäler dampfen alle an den Fichtcnwäudcn herauf." An Herder
vou demselben Orte zu derselben Zeit: „Ich führe mein Leben in Klüften, Höhlen,
Wäldern, in Teichen, unter Wasserfällen, bei den Unterirdischen, und weide mich
aus in Gottes Welt." Wiederum aus Ilmenau (September 1780): „Auf dem
höchsten Berg des Reviers — hab ich mich gebettet, um dem Wüste des Städtchens,
den Klagen, den Verlangen, der unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen
auszuweichen," und im Oktober 1784: „wenn wir schön Wetter beHallen sollten,
da will ich meine Freunde, die Berge, noch recht durchsiunen und durchsuchen,
damit ich im Glauben gestärkt werde."

Gewaltiger als Brocken und Gickclhahn sind die Eispaläste des Berner
Oberlandes und die Gletscher des Chamonix-Thales, und auch über diese enthält
die Schweizerreise von 1779 flüchtige Aufzeichnungen voll dichterischer Erhaben-


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[0398] Gedanken ub« Goethe. Aber abseits wer ists? Hinter ihm schlagen Die Sträuche znsannncn, Das Gras steht wieder ans, Die Öde verschlingt ihn. Die Erde trägt Wälder und Berge, ihre Oberfläche liegt stumm und er¬ starrt vor nus da, aber im Zuge ihrer Umrisse, in der Lagerung ihrer Schichte«? offenbart sie uns dennoch die ungeheure Geschichte, durch die sie geworden. „Wir sind auf die hohen Gipfel gestiegen, schreibt der Dichter am 7. Sep¬ tember 1780 seiner Freundin, und in die Tiefen der Erde eingekrochen und möchten gar zu gern der großen formenden Hand nächste Spuren entdecken." Auf derselben Reise küßt er die Wand der Hcrmannstcincr Höhle, in die er früher de» Namen der Geliebten eingegraben — sodaß „der Porphyr, setzt er hinzu, seineu ganzen Erdgeruch aufatmete, um mir, auf seine Art wenigstens, zu antworten." „Es ist ein erhabnes, wundervolles Schauspiel, heißt es in dem Briefe vom 12. April 1782, wenn ich nun über Berge und Felder reite, da mir die Entstehung und Bildung der Oberfläche unsrer Erde und die Nahrung, welche Menschen draus ziehen, zu gleicher Zeit deutlich und anschaulich wird. Erlaube, wenn ich zurückkomme, daß ich dich nach meiner Art auf den Gipfel des Felsens führe und dir die Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit zeige." Er habe Freundschaft mit der Erde geschlossen, sagt er von sich aus und wünscht, die Geliebte möge dies Gefühl mit ihm teilen (12. September 1780): „Sie müssen noch eine Erdfreundin werden, es ist gar zu schön — Sie haben sich ja schon mir zu Gefallen über mehreres gefreut." In jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter streift er durch das Thüringer Waldgebirge, im dichten Dunkel der Fichten hängt er seinen Träumen nach, durchwühlt „der Erde Mark mit Ahnungsdrang" und schlürft seine Nahrung „ans dumpfem Moos und triefendem Gestein." An Frau v. Stein, aus Ilmenau (22. Juli 1776): „Hoch auf einem weitrings sehenden Berge. Im Regen sitz ich hinter einen» Schirm von Tanneu- reiseu. Die Thäler dampfen alle an den Fichtcnwäudcn herauf." An Herder vou demselben Orte zu derselben Zeit: „Ich führe mein Leben in Klüften, Höhlen, Wäldern, in Teichen, unter Wasserfällen, bei den Unterirdischen, und weide mich aus in Gottes Welt." Wiederum aus Ilmenau (September 1780): „Auf dem höchsten Berg des Reviers — hab ich mich gebettet, um dem Wüste des Städtchens, den Klagen, den Verlangen, der unverbesserlichen Verworrenheit der Menschen auszuweichen," und im Oktober 1784: „wenn wir schön Wetter beHallen sollten, da will ich meine Freunde, die Berge, noch recht durchsiunen und durchsuchen, damit ich im Glauben gestärkt werde." Gewaltiger als Brocken und Gickclhahn sind die Eispaläste des Berner Oberlandes und die Gletscher des Chamonix-Thales, und auch über diese enthält die Schweizerreise von 1779 flüchtige Aufzeichnungen voll dichterischer Erhaben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/398>, abgerufen am 22.07.2024.