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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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bei Behandlung der dortigen Völkerschaften, sollte sich zu Unterhandlungen mit
dem Mahdi nach Chartum begeben, um den Streit zwischen diesem und Ägypten
auf friedlichem Wege beizulegen. Derselbe erklärte sich hierzu bereit und reiste
ab. Dies erfolgte in der dritten Woche des Januar, und nach den letzten
Nachrichten war der General in Berber eingetroffen, von wo er in etwa
drei Tagen in Chartum sein konnte, wenn ihn die Scharen des Propheten,
welche sich der Stadt bereits bis anf wenige Meilen genähert hatten, nicht
aufhielten oder niedermachten. In der Zwischenzeit sollte Baker Pascha, nach¬
dem er sich mit Zubcihr Pascha in Sürlin vereinigt, von dem benachbarten
Hafenplatze Trinkitat aus die von den Insurgenten eingeschlossenen und fast
bereits ausgehungerten Festungen Tokar und Sinkat (ersteres nicht ganz ö,
letzteres ungefähr 10 deutsche Meilen von der Küste des Roten Meeres gelegen,
jedes mit etwa 500 Mann besetzt) entsetzen.

Sowohl die Mission Gordvns als das Unternehmen Bakers hatte von
vornherein wenig Aussicht auf Gelingen. Es gehörte ein starker Glaube dazu,
wenn Gladstone hoffte, ein englischer General werde imstande sein, mit Geld
und guten Worten einen Fanatiker zum Stillstande zu bewegen, der sich für
einen gottgesandten Befreier der Gläubigen von der Herrschaft der Giaurs und
Knfirs hielt, der von einem großen Siege berauscht war, und der an der Spitze
von fünfzigtausend und mehr wilden Kriegern stand, welche gleich ihm sieges¬
trunkene Schwärmer waren. Es war offenbar Verblendung, anzunehmen, der
Mahdi und seine Anhänger würden sich irgendwelcher Beschränkung ihrer An¬
sprüche fügen, nachdem das mächtige England durch seine Bevollmächtigten in
Kairo mittelbar anerkannt hatte, der Sudan sei unwiderbringlich verloren. Auch
die Niederlage Bakers war vorauszusagen. Wir brauchen nicht erst anf genauere
Nachrichten über dieselbe zu warten und die Urteile militärischer Fachmänner
über die Katastrophe zu hören. Schon jetzt wissen wir mit voller Bestimmtheit,
daß man die englischen Offiziere zur Erfüllung ihrer Aufgabe, zur Bekämpfung
der gewaltige" Scharen des Propheten gleichsam mit hölzernen Schwertern
abgesandt hat. Sie wurden von einer Regierung mit zwei Seelen, einer ägyp¬
tischen und einer englischen, abgeschickt, und die Streitmacht, die man ihnen
zur Verfügung stellte, als sie dem wütenden Fanatismus der sudanischen Wüstcu-
stümmc gegenübertreten sollten, bestand aus einem Haufen kairenischcr Konstabler
und in den Bazaren und Kaffeeschenken zusammengelesener Neger und Fellahiu,
die schlecht geübt und spärlich mit den Bedürfnisse,, für einen Feldzug aus¬
gestattet waren, und zu denen nur eine kleine Anzahl wirklicher Soldaten kamen.
Kein Wunder also, daß sich das furchtbare Schauspiel von El Obeid hier im
östlichen Sudan annähernd wiederholt hat. Noch im vorigen November hätten
6000 angloindische Truppen alle Garnisonen im Sudan retten können, ja ein
angesehener englischer Militär behauptet, daß Baker gesiegt haben würde, wenn
ihm auch nur eine Batterie englischer Artillerie mitgegeben worden wäre. Mit


bei Behandlung der dortigen Völkerschaften, sollte sich zu Unterhandlungen mit
dem Mahdi nach Chartum begeben, um den Streit zwischen diesem und Ägypten
auf friedlichem Wege beizulegen. Derselbe erklärte sich hierzu bereit und reiste
ab. Dies erfolgte in der dritten Woche des Januar, und nach den letzten
Nachrichten war der General in Berber eingetroffen, von wo er in etwa
drei Tagen in Chartum sein konnte, wenn ihn die Scharen des Propheten,
welche sich der Stadt bereits bis anf wenige Meilen genähert hatten, nicht
aufhielten oder niedermachten. In der Zwischenzeit sollte Baker Pascha, nach¬
dem er sich mit Zubcihr Pascha in Sürlin vereinigt, von dem benachbarten
Hafenplatze Trinkitat aus die von den Insurgenten eingeschlossenen und fast
bereits ausgehungerten Festungen Tokar und Sinkat (ersteres nicht ganz ö,
letzteres ungefähr 10 deutsche Meilen von der Küste des Roten Meeres gelegen,
jedes mit etwa 500 Mann besetzt) entsetzen.

Sowohl die Mission Gordvns als das Unternehmen Bakers hatte von
vornherein wenig Aussicht auf Gelingen. Es gehörte ein starker Glaube dazu,
wenn Gladstone hoffte, ein englischer General werde imstande sein, mit Geld
und guten Worten einen Fanatiker zum Stillstande zu bewegen, der sich für
einen gottgesandten Befreier der Gläubigen von der Herrschaft der Giaurs und
Knfirs hielt, der von einem großen Siege berauscht war, und der an der Spitze
von fünfzigtausend und mehr wilden Kriegern stand, welche gleich ihm sieges¬
trunkene Schwärmer waren. Es war offenbar Verblendung, anzunehmen, der
Mahdi und seine Anhänger würden sich irgendwelcher Beschränkung ihrer An¬
sprüche fügen, nachdem das mächtige England durch seine Bevollmächtigten in
Kairo mittelbar anerkannt hatte, der Sudan sei unwiderbringlich verloren. Auch
die Niederlage Bakers war vorauszusagen. Wir brauchen nicht erst anf genauere
Nachrichten über dieselbe zu warten und die Urteile militärischer Fachmänner
über die Katastrophe zu hören. Schon jetzt wissen wir mit voller Bestimmtheit,
daß man die englischen Offiziere zur Erfüllung ihrer Aufgabe, zur Bekämpfung
der gewaltige» Scharen des Propheten gleichsam mit hölzernen Schwertern
abgesandt hat. Sie wurden von einer Regierung mit zwei Seelen, einer ägyp¬
tischen und einer englischen, abgeschickt, und die Streitmacht, die man ihnen
zur Verfügung stellte, als sie dem wütenden Fanatismus der sudanischen Wüstcu-
stümmc gegenübertreten sollten, bestand aus einem Haufen kairenischcr Konstabler
und in den Bazaren und Kaffeeschenken zusammengelesener Neger und Fellahiu,
die schlecht geübt und spärlich mit den Bedürfnisse,, für einen Feldzug aus¬
gestattet waren, und zu denen nur eine kleine Anzahl wirklicher Soldaten kamen.
Kein Wunder also, daß sich das furchtbare Schauspiel von El Obeid hier im
östlichen Sudan annähernd wiederholt hat. Noch im vorigen November hätten
6000 angloindische Truppen alle Garnisonen im Sudan retten können, ja ein
angesehener englischer Militär behauptet, daß Baker gesiegt haben würde, wenn
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/381>, abgerufen am 04.07.2024.