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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick --

und so kommt Von ihm eine sanfte Beruhigung über die stürmende Seele, über
das in Sehnsucht vergehende Herz:


Mir ist es, denk ich nur an dich,
Als in den Mond zu sehn,
Ein stiller Friede kommt auf mich,
Weiß nicht, lvie mir geschehn -- (Jcigers Abendlied)

daher ihm auch der Anruf "heilig" zusteht: "wo du, Heilger Mond, auf den
Wipfeln meiner Bäume dämmerst" (Stella) --


Dich ehr ich, heiliges Licht,
Reiner, hoher Gefühle Freund! (Triumph der Empfindsamkeit)

Zwei lyrische Gedichte sind ganz eigens an den Mond gerichtet; in dem ersten,
"An Luna," verschmilzt die Mondhelle mit zärtlicher, ja wollüstiger Liebes¬
phantasie: der schwimmende Nebel, der Silberschauer um das Antlitz des
Mondes, Lunas leiser Lauf, der die Nachtvögel und die Geister der Abgeschie¬
denen aus ihren Höhlen weckt, der weite Blick, mit dem der Mond über alle
Fernen sieht und durch das Fenstergitter bis zu den unverhüllten Gliedern des
geliebten Mädchens in die Kammer dringt -- diese ganze Malerei ist mit
leichter Kunst in lyrischen Sang und Klang verwandelt. Fehlt es gleichwohl
diesem frühen Jugendliebe noch an tieferer Resonanz, so ist das zweite, "An
den Mond" (vom Jahre 1778, nachher wesentlich umgestaltet und erhöht), ganz
eine weiche, dunkle Musik der Seele: die Mondnacht hat des Dichters Gemüt
bis in seine Tiefen gelöst, sodaß Vergangenheit und Umgebung, Worm und Weh
des Lebens, Verlornes Glück und stille Entsagung, alle Eindrücke früherer Tage,
alle Bilder der gegenwärtigen Stunde in eine wehmütige Stimmung zusammen¬
fließen, die dann in schmelzendem Zauber der Melodie und des Rhythmus
ausströmt.

Goethes Phantasie war eine zu echte und wirkliche, als daß sie sich in
der anschauungslosen Unendlichkeit des astronomischen Himmels oder wie Klopstock
unter den altjüdischen Cherubim und Seraphim hätte ergehen können -- nur
einmal, im Prolog zum "Faust," läßt er die drei Erzengel singen, den ersten
von der Sonne, den andern von dem Umschwung der Erde, den dritten von
Sturm, Ungewitter und sanften Lüften -- aber zu den freundlichen Sternen
über unsern Häuptern blickt er gern auf, redet sie an und verfolgt den Weg,
den sie langsam wandeln. An den Herzog (24. Dezember 1775): "Der
herrliche Morgenstern, den ich mir von nun an zum Wappen nehme,
steht hoch am Himmel." Er nahm ihn sich zum Wappen, denn er war um
jene Zeit immer frühe auf und erwartete im Freien die allbelebende Sonne.


Gedanken über Goethe.

Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick —

und so kommt Von ihm eine sanfte Beruhigung über die stürmende Seele, über
das in Sehnsucht vergehende Herz:


Mir ist es, denk ich nur an dich,
Als in den Mond zu sehn,
Ein stiller Friede kommt auf mich,
Weiß nicht, lvie mir geschehn — (Jcigers Abendlied)

daher ihm auch der Anruf „heilig" zusteht: „wo du, Heilger Mond, auf den
Wipfeln meiner Bäume dämmerst" (Stella) —


Dich ehr ich, heiliges Licht,
Reiner, hoher Gefühle Freund! (Triumph der Empfindsamkeit)

Zwei lyrische Gedichte sind ganz eigens an den Mond gerichtet; in dem ersten,
„An Luna," verschmilzt die Mondhelle mit zärtlicher, ja wollüstiger Liebes¬
phantasie: der schwimmende Nebel, der Silberschauer um das Antlitz des
Mondes, Lunas leiser Lauf, der die Nachtvögel und die Geister der Abgeschie¬
denen aus ihren Höhlen weckt, der weite Blick, mit dem der Mond über alle
Fernen sieht und durch das Fenstergitter bis zu den unverhüllten Gliedern des
geliebten Mädchens in die Kammer dringt — diese ganze Malerei ist mit
leichter Kunst in lyrischen Sang und Klang verwandelt. Fehlt es gleichwohl
diesem frühen Jugendliebe noch an tieferer Resonanz, so ist das zweite, „An
den Mond" (vom Jahre 1778, nachher wesentlich umgestaltet und erhöht), ganz
eine weiche, dunkle Musik der Seele: die Mondnacht hat des Dichters Gemüt
bis in seine Tiefen gelöst, sodaß Vergangenheit und Umgebung, Worm und Weh
des Lebens, Verlornes Glück und stille Entsagung, alle Eindrücke früherer Tage,
alle Bilder der gegenwärtigen Stunde in eine wehmütige Stimmung zusammen¬
fließen, die dann in schmelzendem Zauber der Melodie und des Rhythmus
ausströmt.

Goethes Phantasie war eine zu echte und wirkliche, als daß sie sich in
der anschauungslosen Unendlichkeit des astronomischen Himmels oder wie Klopstock
unter den altjüdischen Cherubim und Seraphim hätte ergehen können — nur
einmal, im Prolog zum „Faust," läßt er die drei Erzengel singen, den ersten
von der Sonne, den andern von dem Umschwung der Erde, den dritten von
Sturm, Ungewitter und sanften Lüften — aber zu den freundlichen Sternen
über unsern Häuptern blickt er gern auf, redet sie an und verfolgt den Weg,
den sie langsam wandeln. An den Herzog (24. Dezember 1775): „Der
herrliche Morgenstern, den ich mir von nun an zum Wappen nehme,
steht hoch am Himmel." Er nahm ihn sich zum Wappen, denn er war um
jene Zeit immer frühe auf und erwartete im Freien die allbelebende Sonne.


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[0353] Gedanken über Goethe. Wie des Freundes Auge mild Über mein Geschick — und so kommt Von ihm eine sanfte Beruhigung über die stürmende Seele, über das in Sehnsucht vergehende Herz: Mir ist es, denk ich nur an dich, Als in den Mond zu sehn, Ein stiller Friede kommt auf mich, Weiß nicht, lvie mir geschehn — (Jcigers Abendlied) daher ihm auch der Anruf „heilig" zusteht: „wo du, Heilger Mond, auf den Wipfeln meiner Bäume dämmerst" (Stella) — Dich ehr ich, heiliges Licht, Reiner, hoher Gefühle Freund! (Triumph der Empfindsamkeit) Zwei lyrische Gedichte sind ganz eigens an den Mond gerichtet; in dem ersten, „An Luna," verschmilzt die Mondhelle mit zärtlicher, ja wollüstiger Liebes¬ phantasie: der schwimmende Nebel, der Silberschauer um das Antlitz des Mondes, Lunas leiser Lauf, der die Nachtvögel und die Geister der Abgeschie¬ denen aus ihren Höhlen weckt, der weite Blick, mit dem der Mond über alle Fernen sieht und durch das Fenstergitter bis zu den unverhüllten Gliedern des geliebten Mädchens in die Kammer dringt — diese ganze Malerei ist mit leichter Kunst in lyrischen Sang und Klang verwandelt. Fehlt es gleichwohl diesem frühen Jugendliebe noch an tieferer Resonanz, so ist das zweite, „An den Mond" (vom Jahre 1778, nachher wesentlich umgestaltet und erhöht), ganz eine weiche, dunkle Musik der Seele: die Mondnacht hat des Dichters Gemüt bis in seine Tiefen gelöst, sodaß Vergangenheit und Umgebung, Worm und Weh des Lebens, Verlornes Glück und stille Entsagung, alle Eindrücke früherer Tage, alle Bilder der gegenwärtigen Stunde in eine wehmütige Stimmung zusammen¬ fließen, die dann in schmelzendem Zauber der Melodie und des Rhythmus ausströmt. Goethes Phantasie war eine zu echte und wirkliche, als daß sie sich in der anschauungslosen Unendlichkeit des astronomischen Himmels oder wie Klopstock unter den altjüdischen Cherubim und Seraphim hätte ergehen können — nur einmal, im Prolog zum „Faust," läßt er die drei Erzengel singen, den ersten von der Sonne, den andern von dem Umschwung der Erde, den dritten von Sturm, Ungewitter und sanften Lüften — aber zu den freundlichen Sternen über unsern Häuptern blickt er gern auf, redet sie an und verfolgt den Weg, den sie langsam wandeln. An den Herzog (24. Dezember 1775): „Der herrliche Morgenstern, den ich mir von nun an zum Wappen nehme, steht hoch am Himmel." Er nahm ihn sich zum Wappen, denn er war um jene Zeit immer frühe auf und erwartete im Freien die allbelebende Sonne.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/353>, abgerufen am 24.08.2024.