Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.Gedanken über Goethe. einfachern, größern Welt." Diese Eigenschaft des Mondlichtes, die im Raum zer¬ Der Mond erhebt sein strahlend Angesicht, bewährte sich auch an jenem Abend, als Hermann lind Dorothea unter dem Herrlich glänzte der Mond, der volle, vom Himmel herunter, In andern Momenten erscheint das Licht des Mondes als ein der bewegten Der Mond von einem Wvlkeuhügel bald als silberner Nebclglanz, der auf Wiesen, am Saume des Waldes dämmert Ach könnt ich doch auf Bergeshöhn bald als reiner, ruhiger Herrscherblick: Wie dem Licht, das Leben der Nächte, der die Dinge in ihren harten, verworrenen Umrissen so klar sondert, so milde Breitest über mein Gefild Gedanken über Goethe. einfachern, größern Welt." Diese Eigenschaft des Mondlichtes, die im Raum zer¬ Der Mond erhebt sein strahlend Angesicht, bewährte sich auch an jenem Abend, als Hermann lind Dorothea unter dem Herrlich glänzte der Mond, der volle, vom Himmel herunter, In andern Momenten erscheint das Licht des Mondes als ein der bewegten Der Mond von einem Wvlkeuhügel bald als silberner Nebclglanz, der auf Wiesen, am Saume des Waldes dämmert Ach könnt ich doch auf Bergeshöhn bald als reiner, ruhiger Herrscherblick: Wie dem Licht, das Leben der Nächte, der die Dinge in ihren harten, verworrenen Umrissen so klar sondert, so milde Breitest über mein Gefild <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0352" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155235"/> <fw type="header" place="top"> Gedanken über Goethe.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1457" prev="#ID_1456"> einfachern, größern Welt." Diese Eigenschaft des Mondlichtes, die im Raum zer¬<lb/> streuten Dinge zu großen Massen zu sammeln, die auch Schiller empfunden hatte:</p><lb/> <quote> Der Mond erhebt sein strahlend Angesicht,<lb/> Die Welt zerschmilzt in ruhig große Massen —</quote><lb/> <p xml:id="ID_1458"> bewährte sich auch an jenem Abend, als Hermann lind Dorothea unter dem<lb/> Birnbaum rasteten:</p><lb/> <quote> Herrlich glänzte der Mond, der volle, vom Himmel herunter,<lb/> Nacht wurf, völlig bedeckt der letzte Schimmer der Sonne;<lb/> Und so lagen vor ihnen in Massen gegen einander<lb/> Lichter, hell wie der Tag, und Schatten dunkeler Nächte.</quote><lb/> <p xml:id="ID_1459"> In andern Momenten erscheint das Licht des Mondes als ein der bewegten<lb/> Seele verwandtes, gleichgestimmtes Element, wie die sichtbar gewordene,<lb/> träumerische Empfindung selbst. Es wird bald als das traurige, verschleierte<lb/> angeschaut, wie ein verweintes Menschencmgesicht:</p><lb/> <quote> Der Mond von einem Wvlkeuhügel<lb/> Sah kläglich aus dem Duft hervor — (Willkommen und Abschied)<lb/> Dann über Büchern nud Papier,<lb/> Trübselgcr Freund, erschienst du mir — (Faust)</quote><lb/> <p xml:id="ID_1460"> bald als silberner Nebclglanz, der auf Wiesen, am Saume des Waldes dämmert<lb/> und vor dem Blicke des Einsamen in Geister der Vergangenheit sich ver¬<lb/> wandelt:</p><lb/> <quote> Ach könnt ich doch auf Bergeshöhn<lb/> In deinem lieben Lichte gehn,<lb/> Um Bergcshöhle mit Geistern schweben,<lb/> Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,<lb/> Von allen Wisseusauälm entladen<lb/> In deinem Thau gesund mich baden — (Faust)<lb/> Und steigt vor meinem Blick der reine Mond<lb/> Besänftigend herüber, schweben mir<lb/> Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch<lb/> Der Vorwelt silberne Gestalten auf<lb/> Und lindern der Betrachtung strenge Lust — (Edda.)</quote><lb/> <p xml:id="ID_1461"> bald als reiner, ruhiger Herrscherblick:</p><lb/> <quote> Wie dem Licht, das Leben der Nächte,<lb/> Über der Erde ruhet und waltet, — (Iphigenie)</quote><lb/> <p xml:id="ID_1462"> der die Dinge in ihren harten, verworrenen Umrissen so klar sondert, so milde<lb/> vereinigt, wie das kühlere Urteil des besonnenen Freundes unsre Schicksale<lb/> und Leidenschaften entwirrt und erkennt:</p><lb/> <quote> Breitest über mein Gefild<lb/> Lindernd deinen Blick,</quote><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0352]
Gedanken über Goethe.
einfachern, größern Welt." Diese Eigenschaft des Mondlichtes, die im Raum zer¬
streuten Dinge zu großen Massen zu sammeln, die auch Schiller empfunden hatte:
Der Mond erhebt sein strahlend Angesicht,
Die Welt zerschmilzt in ruhig große Massen —
bewährte sich auch an jenem Abend, als Hermann lind Dorothea unter dem
Birnbaum rasteten:
Herrlich glänzte der Mond, der volle, vom Himmel herunter,
Nacht wurf, völlig bedeckt der letzte Schimmer der Sonne;
Und so lagen vor ihnen in Massen gegen einander
Lichter, hell wie der Tag, und Schatten dunkeler Nächte.
In andern Momenten erscheint das Licht des Mondes als ein der bewegten
Seele verwandtes, gleichgestimmtes Element, wie die sichtbar gewordene,
träumerische Empfindung selbst. Es wird bald als das traurige, verschleierte
angeschaut, wie ein verweintes Menschencmgesicht:
Der Mond von einem Wvlkeuhügel
Sah kläglich aus dem Duft hervor — (Willkommen und Abschied)
Dann über Büchern nud Papier,
Trübselgcr Freund, erschienst du mir — (Faust)
bald als silberner Nebclglanz, der auf Wiesen, am Saume des Waldes dämmert
und vor dem Blicke des Einsamen in Geister der Vergangenheit sich ver¬
wandelt:
Ach könnt ich doch auf Bergeshöhn
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergcshöhle mit Geistern schweben,
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,
Von allen Wisseusauälm entladen
In deinem Thau gesund mich baden — (Faust)
Und steigt vor meinem Blick der reine Mond
Besänftigend herüber, schweben mir
Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch
Der Vorwelt silberne Gestalten auf
Und lindern der Betrachtung strenge Lust — (Edda.)
bald als reiner, ruhiger Herrscherblick:
Wie dem Licht, das Leben der Nächte,
Über der Erde ruhet und waltet, — (Iphigenie)
der die Dinge in ihren harten, verworrenen Umrissen so klar sondert, so milde
vereinigt, wie das kühlere Urteil des besonnenen Freundes unsre Schicksale
und Leidenschaften entwirrt und erkennt:
Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
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