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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Gedanken über Goethe.

Wie die Sonne, der der Dichter in der ersten Weimarer Zeit einen fast
begeisterten Kultus widmete,*) ist auch der Mond, das andre große Himmels¬
licht, in seinen Gedichten und Bekenntnissen Gegenstand schwärmerischer Verehrung.
Schon in einem Jugendliebe "Die schöne Nacht" heißt es:


Wandle mit verhülltem Schritte
Durch den öden finstern Wald:
Luna bricht durch Busch und Eichen,
Zephyr meldet ihren Lauf
Und die Birken streuu mit Neigen
Ihr den süszten Weihrauch auf.

An Frau vou Stein schreibt er 1777:


Tanche mich in die Sonue früh,
Bad ad im Monde des Tages Mils --

und an die Gräfin Auguste Stolberg vom Juli desselben Jahres:


"Alles geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz,
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz --

so sang ich neulich, als ich tief in einer herrlichen Mondnacht ans dem Flusse
stieg, der vor meinem Garten dnrch die Wiesen fließt." An Finn v. Stein,
16. Okt. 1780: "der Mond ist unendlich schon, ich bin durch die neuen Wege
gelaufen, da sieht die Nacht himmlisch drein. Die Elfen sangen" u. s. w. Bei
der Harzreise im Winter hatte er den heißen Wunsch nach dem Vollmond,
und er dankt den Göttern, die sein Gebet erhörten; Friederike und Lili be>
suchte er beide zur Zeit des Vollmondes, wie er nicht unterläßt anzumerken,'
aus Rom schreibt er 2. Februar 1737: "und so haben Sonne und Mond,
eben wie der Menschengeist, hier ein ganz anderes Geschäft als andrer
Orten, hier wo ihrem Blick ungeheure und doch gebildete Massen entgegen¬
stehn"; sein Abschied von der geweihten Stätte, wo er so lange geweilt hatte,
ward besonders feierlich durch deu Mond, der am Himmel stand und der ja
auch dem verbannten, in die Wildniß ausgestoßenen Dichter Ovid in der letzten
Nacht in Rom geleuchtet hatte: "ein Zauber, der sich dadurch über die unge¬
heure Stadt verbreitet, so oft empfunden, ward nnn aufs eindringlichste fühlbar.
Die großen Lichtmassen, klar wie von einem milden Tage beleuchtet, mit
ihren Gegensätzen von tiefen Schatten, durch Reflexe manchmal erhellt, zur
Ahnung des Einzelnen, setzen uns in einen Zustand wie von einer andern,



*) Ja noch im höchsten Alter sagte er zu Eckermann (Band g): "Die Sonne ist eine
Offenbarung des Höchsten und zwar die mächtigste, die uns Erdenkiuderu wahrzunehmen
vergönnt ist. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein
wir leben, weben und sind, und alle Pflanzen und Tiere mit uns."
Gedanken über Goethe.

Wie die Sonne, der der Dichter in der ersten Weimarer Zeit einen fast
begeisterten Kultus widmete,*) ist auch der Mond, das andre große Himmels¬
licht, in seinen Gedichten und Bekenntnissen Gegenstand schwärmerischer Verehrung.
Schon in einem Jugendliebe „Die schöne Nacht" heißt es:


Wandle mit verhülltem Schritte
Durch den öden finstern Wald:
Luna bricht durch Busch und Eichen,
Zephyr meldet ihren Lauf
Und die Birken streuu mit Neigen
Ihr den süszten Weihrauch auf.

An Frau vou Stein schreibt er 1777:


Tanche mich in die Sonue früh,
Bad ad im Monde des Tages Mils —

und an die Gräfin Auguste Stolberg vom Juli desselben Jahres:


„Alles geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz,
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz —

so sang ich neulich, als ich tief in einer herrlichen Mondnacht ans dem Flusse
stieg, der vor meinem Garten dnrch die Wiesen fließt." An Finn v. Stein,
16. Okt. 1780: „der Mond ist unendlich schon, ich bin durch die neuen Wege
gelaufen, da sieht die Nacht himmlisch drein. Die Elfen sangen" u. s. w. Bei
der Harzreise im Winter hatte er den heißen Wunsch nach dem Vollmond,
und er dankt den Göttern, die sein Gebet erhörten; Friederike und Lili be>
suchte er beide zur Zeit des Vollmondes, wie er nicht unterläßt anzumerken,'
aus Rom schreibt er 2. Februar 1737: „und so haben Sonne und Mond,
eben wie der Menschengeist, hier ein ganz anderes Geschäft als andrer
Orten, hier wo ihrem Blick ungeheure und doch gebildete Massen entgegen¬
stehn"; sein Abschied von der geweihten Stätte, wo er so lange geweilt hatte,
ward besonders feierlich durch deu Mond, der am Himmel stand und der ja
auch dem verbannten, in die Wildniß ausgestoßenen Dichter Ovid in der letzten
Nacht in Rom geleuchtet hatte: „ein Zauber, der sich dadurch über die unge¬
heure Stadt verbreitet, so oft empfunden, ward nnn aufs eindringlichste fühlbar.
Die großen Lichtmassen, klar wie von einem milden Tage beleuchtet, mit
ihren Gegensätzen von tiefen Schatten, durch Reflexe manchmal erhellt, zur
Ahnung des Einzelnen, setzen uns in einen Zustand wie von einer andern,



*) Ja noch im höchsten Alter sagte er zu Eckermann (Band g): „Die Sonne ist eine
Offenbarung des Höchsten und zwar die mächtigste, die uns Erdenkiuderu wahrzunehmen
vergönnt ist. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein
wir leben, weben und sind, und alle Pflanzen und Tiere mit uns."
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[0351] Gedanken über Goethe. Wie die Sonne, der der Dichter in der ersten Weimarer Zeit einen fast begeisterten Kultus widmete,*) ist auch der Mond, das andre große Himmels¬ licht, in seinen Gedichten und Bekenntnissen Gegenstand schwärmerischer Verehrung. Schon in einem Jugendliebe „Die schöne Nacht" heißt es: Wandle mit verhülltem Schritte Durch den öden finstern Wald: Luna bricht durch Busch und Eichen, Zephyr meldet ihren Lauf Und die Birken streuu mit Neigen Ihr den süszten Weihrauch auf. An Frau vou Stein schreibt er 1777: Tanche mich in die Sonue früh, Bad ad im Monde des Tages Mils — und an die Gräfin Auguste Stolberg vom Juli desselben Jahres: „Alles geben die Götter, die unendlichen, Ihren Lieblingen ganz, Alle Freuden, die unendlichen, Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz — so sang ich neulich, als ich tief in einer herrlichen Mondnacht ans dem Flusse stieg, der vor meinem Garten dnrch die Wiesen fließt." An Finn v. Stein, 16. Okt. 1780: „der Mond ist unendlich schon, ich bin durch die neuen Wege gelaufen, da sieht die Nacht himmlisch drein. Die Elfen sangen" u. s. w. Bei der Harzreise im Winter hatte er den heißen Wunsch nach dem Vollmond, und er dankt den Göttern, die sein Gebet erhörten; Friederike und Lili be> suchte er beide zur Zeit des Vollmondes, wie er nicht unterläßt anzumerken,' aus Rom schreibt er 2. Februar 1737: „und so haben Sonne und Mond, eben wie der Menschengeist, hier ein ganz anderes Geschäft als andrer Orten, hier wo ihrem Blick ungeheure und doch gebildete Massen entgegen¬ stehn"; sein Abschied von der geweihten Stätte, wo er so lange geweilt hatte, ward besonders feierlich durch deu Mond, der am Himmel stand und der ja auch dem verbannten, in die Wildniß ausgestoßenen Dichter Ovid in der letzten Nacht in Rom geleuchtet hatte: „ein Zauber, der sich dadurch über die unge¬ heure Stadt verbreitet, so oft empfunden, ward nnn aufs eindringlichste fühlbar. Die großen Lichtmassen, klar wie von einem milden Tage beleuchtet, mit ihren Gegensätzen von tiefen Schatten, durch Reflexe manchmal erhellt, zur Ahnung des Einzelnen, setzen uns in einen Zustand wie von einer andern, *) Ja noch im höchsten Alter sagte er zu Eckermann (Band g): „Die Sonne ist eine Offenbarung des Höchsten und zwar die mächtigste, die uns Erdenkiuderu wahrzunehmen vergönnt ist. Ich anbete in ihr das Licht und die zeugende Kraft Gottes, wodurch allein wir leben, weben und sind, und alle Pflanzen und Tiere mit uns."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/351>, abgerufen am 28.09.2024.