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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Nie Praxis der deutschen Feuerversichcrungsgesellschaften.

Welche die Police so verklausulirt, daß er im Schadenfalle rechtlich nichts zu
verlangen hat, sondern ganz von der "Koulanz" der Gesellschaft abhängig ist.
Diejenigen, welche schon das Unglück eines Brandes erlitten haben, dessen Ent¬
stehungsursache entweder unaufgeklärt geblieben oder in der Böswilligkeit von
Gesinde und Nachbarn oder in der Fahrlässigkeit dieser oder der eignen Familien¬
angehörigen nachgewiesen worden ist, ferner die Bewohner unsrer armen, leicht
gebauten Gebirgsstädte und die unsrer östlichen Grenzdistrikte, aber auch die
Besitzer chemischer Fabriken und Warenlager, von Mahl-, Öl- und Schneide¬
mühle", Tuchfabriken und Spinnereien, Färber, Lackirer, Tischler und Möbelfabri¬
kanten und viele andre werden die Wahrheit des hier Gesagten bestätigen. Es ist
jedoch in dergleichen Risiken ein bedeutender Teil des Volksvermögens angelegt,
und zehntausende von Arbeitern und Arbeitgebern gründen auf die Sicherstellung
und Unterhaltung desselben ihre Existenz. Auch nicht der kleinste Teil dieses
Vermögens darf in einem geordneten Staate dem blinden Zufall oder der
Willkür überlassen bleiben. Zu zwingen ist niemand, also auch keine Versiche¬
rungsgesellschaft, zur Annahme eines ihm nicht gutdünkendcn Geschäfts. Durch¬
aus notwendig ist daher die Einrichtung einer großen LandeSfenerversicherung,
welche ohne Ausnahme alle an sie herantretenden Objekte nach einer vorurteils¬
freien, sachgemäßen Tarifirung der Gefahrenklassen annimmt. In der staat¬
lichen Leitung liegt die Gewähr für die Geschäftsführung "ins ira se swäio
dem Publikum gegenüber. In der Ausdehnung ihres geschäftlichen Gebietes, in
welchem alle Objekte der industriellen und landwirtschaftlichen Bezirke mit denen
der großen Städte vereint sind, hat sie die vollkommenste Gefahrenverteilung
und Ausgleichung des eingegangenen Risikos. Infolge dessen bietet sie allen
ihren Versicherten die Garantie, gegen eine billige Prämie, befreit von allen sie
rechtlos machenden Klauseln und Zusätzen, ihren Schaden vollständig ersetzt zu be¬
kommen, ohne Rücksichten auf die Interessen der Aktionäre und die Tantiemen.

Den Vorwurf, dnrch Anwendung ungerechtfertigter Mittel bei der Re-
gulirung von Brandschäden wesentlich die Erzielung eines hohen Gewinnes
zu beabsichtigen, wird von allen Gesellschaften mit Entrüstung abgewiesen. Sie
verlangen für diese Behauptung positive Beweise und erklären sich bereit, zur
Entkräftigung dieses Verdachts alle ihre Schadenregulirnngsakten zur Durch-
sicht vorzulegen. Die vierzehn vereinigten Gesellschaften haben deren jährlich
etwa 30000 Nummern, die Magdeburger hatte in den letzten zehn Jahren
23 651 Brände. Mit Erfüllung dieses, freilich schwer durchführbaren Wunsches
dürfte jedoch den Gesellschaften kein Gefallen erwiesen werden, denn in jenen
Akten findet sich gar mancher Fall vor, der, analog den weiter unten angeführtem,
zum Besten der Gesellschaft lieber verschwiegen bleibt. In keinem Falle bewährt
sich die Wahrheit des Sprichworts vox poxuli vox asi so, wie in der Meinung
des Publikums über die Art und Weise der ihm eventuell bevorstehenden Schaden-
regnlirnng. Nicht nur der weniger einsichtsvolle Teil des Publikums ist dnrch


Nie Praxis der deutschen Feuerversichcrungsgesellschaften.

Welche die Police so verklausulirt, daß er im Schadenfalle rechtlich nichts zu
verlangen hat, sondern ganz von der „Koulanz" der Gesellschaft abhängig ist.
Diejenigen, welche schon das Unglück eines Brandes erlitten haben, dessen Ent¬
stehungsursache entweder unaufgeklärt geblieben oder in der Böswilligkeit von
Gesinde und Nachbarn oder in der Fahrlässigkeit dieser oder der eignen Familien¬
angehörigen nachgewiesen worden ist, ferner die Bewohner unsrer armen, leicht
gebauten Gebirgsstädte und die unsrer östlichen Grenzdistrikte, aber auch die
Besitzer chemischer Fabriken und Warenlager, von Mahl-, Öl- und Schneide¬
mühle», Tuchfabriken und Spinnereien, Färber, Lackirer, Tischler und Möbelfabri¬
kanten und viele andre werden die Wahrheit des hier Gesagten bestätigen. Es ist
jedoch in dergleichen Risiken ein bedeutender Teil des Volksvermögens angelegt,
und zehntausende von Arbeitern und Arbeitgebern gründen auf die Sicherstellung
und Unterhaltung desselben ihre Existenz. Auch nicht der kleinste Teil dieses
Vermögens darf in einem geordneten Staate dem blinden Zufall oder der
Willkür überlassen bleiben. Zu zwingen ist niemand, also auch keine Versiche¬
rungsgesellschaft, zur Annahme eines ihm nicht gutdünkendcn Geschäfts. Durch¬
aus notwendig ist daher die Einrichtung einer großen LandeSfenerversicherung,
welche ohne Ausnahme alle an sie herantretenden Objekte nach einer vorurteils¬
freien, sachgemäßen Tarifirung der Gefahrenklassen annimmt. In der staat¬
lichen Leitung liegt die Gewähr für die Geschäftsführung «ins ira se swäio
dem Publikum gegenüber. In der Ausdehnung ihres geschäftlichen Gebietes, in
welchem alle Objekte der industriellen und landwirtschaftlichen Bezirke mit denen
der großen Städte vereint sind, hat sie die vollkommenste Gefahrenverteilung
und Ausgleichung des eingegangenen Risikos. Infolge dessen bietet sie allen
ihren Versicherten die Garantie, gegen eine billige Prämie, befreit von allen sie
rechtlos machenden Klauseln und Zusätzen, ihren Schaden vollständig ersetzt zu be¬
kommen, ohne Rücksichten auf die Interessen der Aktionäre und die Tantiemen.

Den Vorwurf, dnrch Anwendung ungerechtfertigter Mittel bei der Re-
gulirung von Brandschäden wesentlich die Erzielung eines hohen Gewinnes
zu beabsichtigen, wird von allen Gesellschaften mit Entrüstung abgewiesen. Sie
verlangen für diese Behauptung positive Beweise und erklären sich bereit, zur
Entkräftigung dieses Verdachts alle ihre Schadenregulirnngsakten zur Durch-
sicht vorzulegen. Die vierzehn vereinigten Gesellschaften haben deren jährlich
etwa 30000 Nummern, die Magdeburger hatte in den letzten zehn Jahren
23 651 Brände. Mit Erfüllung dieses, freilich schwer durchführbaren Wunsches
dürfte jedoch den Gesellschaften kein Gefallen erwiesen werden, denn in jenen
Akten findet sich gar mancher Fall vor, der, analog den weiter unten angeführtem,
zum Besten der Gesellschaft lieber verschwiegen bleibt. In keinem Falle bewährt
sich die Wahrheit des Sprichworts vox poxuli vox asi so, wie in der Meinung
des Publikums über die Art und Weise der ihm eventuell bevorstehenden Schaden-
regnlirnng. Nicht nur der weniger einsichtsvolle Teil des Publikums ist dnrch


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[0341] Nie Praxis der deutschen Feuerversichcrungsgesellschaften. Welche die Police so verklausulirt, daß er im Schadenfalle rechtlich nichts zu verlangen hat, sondern ganz von der „Koulanz" der Gesellschaft abhängig ist. Diejenigen, welche schon das Unglück eines Brandes erlitten haben, dessen Ent¬ stehungsursache entweder unaufgeklärt geblieben oder in der Böswilligkeit von Gesinde und Nachbarn oder in der Fahrlässigkeit dieser oder der eignen Familien¬ angehörigen nachgewiesen worden ist, ferner die Bewohner unsrer armen, leicht gebauten Gebirgsstädte und die unsrer östlichen Grenzdistrikte, aber auch die Besitzer chemischer Fabriken und Warenlager, von Mahl-, Öl- und Schneide¬ mühle», Tuchfabriken und Spinnereien, Färber, Lackirer, Tischler und Möbelfabri¬ kanten und viele andre werden die Wahrheit des hier Gesagten bestätigen. Es ist jedoch in dergleichen Risiken ein bedeutender Teil des Volksvermögens angelegt, und zehntausende von Arbeitern und Arbeitgebern gründen auf die Sicherstellung und Unterhaltung desselben ihre Existenz. Auch nicht der kleinste Teil dieses Vermögens darf in einem geordneten Staate dem blinden Zufall oder der Willkür überlassen bleiben. Zu zwingen ist niemand, also auch keine Versiche¬ rungsgesellschaft, zur Annahme eines ihm nicht gutdünkendcn Geschäfts. Durch¬ aus notwendig ist daher die Einrichtung einer großen LandeSfenerversicherung, welche ohne Ausnahme alle an sie herantretenden Objekte nach einer vorurteils¬ freien, sachgemäßen Tarifirung der Gefahrenklassen annimmt. In der staat¬ lichen Leitung liegt die Gewähr für die Geschäftsführung «ins ira se swäio dem Publikum gegenüber. In der Ausdehnung ihres geschäftlichen Gebietes, in welchem alle Objekte der industriellen und landwirtschaftlichen Bezirke mit denen der großen Städte vereint sind, hat sie die vollkommenste Gefahrenverteilung und Ausgleichung des eingegangenen Risikos. Infolge dessen bietet sie allen ihren Versicherten die Garantie, gegen eine billige Prämie, befreit von allen sie rechtlos machenden Klauseln und Zusätzen, ihren Schaden vollständig ersetzt zu be¬ kommen, ohne Rücksichten auf die Interessen der Aktionäre und die Tantiemen. Den Vorwurf, dnrch Anwendung ungerechtfertigter Mittel bei der Re- gulirung von Brandschäden wesentlich die Erzielung eines hohen Gewinnes zu beabsichtigen, wird von allen Gesellschaften mit Entrüstung abgewiesen. Sie verlangen für diese Behauptung positive Beweise und erklären sich bereit, zur Entkräftigung dieses Verdachts alle ihre Schadenregulirnngsakten zur Durch- sicht vorzulegen. Die vierzehn vereinigten Gesellschaften haben deren jährlich etwa 30000 Nummern, die Magdeburger hatte in den letzten zehn Jahren 23 651 Brände. Mit Erfüllung dieses, freilich schwer durchführbaren Wunsches dürfte jedoch den Gesellschaften kein Gefallen erwiesen werden, denn in jenen Akten findet sich gar mancher Fall vor, der, analog den weiter unten angeführtem, zum Besten der Gesellschaft lieber verschwiegen bleibt. In keinem Falle bewährt sich die Wahrheit des Sprichworts vox poxuli vox asi so, wie in der Meinung des Publikums über die Art und Weise der ihm eventuell bevorstehenden Schaden- regnlirnng. Nicht nur der weniger einsichtsvolle Teil des Publikums ist dnrch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/341>, abgerufen am 28.09.2024.