Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Staatssprache in "Österreich.

etwa so wie das Ungarns zur deutschslavifcheu Reichshälfte, aber nicht ganz so;
denn Galizien, auf sich selbst angewiesen, könnte nicht bestehen. Und eben jener
phantasievolle fürstliche Redner hat früher entdeckt, daß das übrigens so un¬
bequeme Reich die Verpflichtung habe, Galizien zu erhalten, weil die dortigen
wirtschaftlichen Zustände nicht etwa durch die genugsam bekannte polnische Wirt¬
schaft, sondern durch deu österreichischen Staat verschuldet seien! Er und Gregr
wiesen direkt auf Ungarn hin und ließen durchblicken, daß die polnisch-tschechische
Allianz geschlossen sei, um gemeinschaftlich für ihre beiden Länder das zu er¬
ringen, was Ungarn erreicht hat. Die kleinen Verschiedenheiten in deu staats¬
rechtlichen Beziehungen einerseits Ungarns und andrerseits Böhmens und Ga-
liziens zu Krone und Reich geniren sie selbstverständlich nicht.

Die übrigen Redner möchten, wie gesagt, nicht so offen Farbe bekennen,
und schleppten deswegen alle möglichen Argumente herbei, welche nicht herge¬
hören, zum Teil sich gegenseitig aufheben. Bald wollten sie nicht wissen, was
Staatssprache bedeute -- der alte Herr von Grvcholsti war naiv genug, zu be¬
kennen, er habe nach einer Erklärung dieses Wortes vergeblich in -- Adelungs
Wörterbuch gesucht --, zogen wiederholt die Schweiz und Belgien zum Vergleich
heran, dachten aber wohlweislich nicht an Amerika, und fanden es ganz selbst¬
verständlich, daß in Galizien das Polnische "Landessprache" ist, obgleich der
größte Teil der ländlichen Bevölkerung ruthcnisch spricht. Bald bestritten sie
die Kompetenz des Rcichsrates in der Frage und bezeichneten in demselben Atem
ein Gesetz, wie das verlangte, als Verfassungsänderung; eine solche aber könne
nur vom Reichsrate beschlossen werden. Bald erhoben sie die alten Klagen
über Germanisation, Unterdrückung der slavischen Idiome, und verweigerten doch,
die Hand zur Herstellung eines festen Rechtsbodens zu bieten. Das historische
Recht und die Staatsräson bestanden abwechselnd zu Recht oder waren keiner
Berücksichtigung wert, je nachdem sie zu Gunsten der Slaven oder der Deut¬
schen zu sprechen schienen. Sie führten bittere Klage darüber, daß eine Woche
mit solchen zwecklosen Debatten verloren worden. Der Berichterstatter Sturm
entgegnete darauf, daß dem Hause augenblicklich kein wichtigerer Verhandlungs¬
gegenstand vorliege; er hätte aber der Mehrheit vor allem zu Gemüte führen
können, daß es ja in ihrer Macht gelegen hat, die Vorlage in wenige" Minuten
zu erledigen: sie brauchte nur der Vernunft und der Billigkeit Gehör zu geben.
Die Linke wurde natürlich mit Vorwürfen und Anklagen überschüttet. Sie hat
viel auf dem Kerbholz, aber wenn sie in dieser Sache ein Verschulden trifft, so
ist es, daß sie die Zeit ihrer Macht nicht verständig ausgenutzt, uicht eingesehen
hat, daß ihr doktrinärer Liberalismus die zentrifugalen Elemente großgezogen
hat. Wer ihr jetzt vorwirft, sie Hetze die Bevölkerung der Alpenländer und
Deutschböhmens, der kennt die wirklichen Verhältnisse nicht oder will sie nicht
kennen. Deutsch fühlen von jeher die Kärntner, Steirer, Oberösterreicher, ob ste
übrigens zur liberale" oder zur klerikalen Partei halten mögen, und der Ge-


Die Staatssprache in «Österreich.

etwa so wie das Ungarns zur deutschslavifcheu Reichshälfte, aber nicht ganz so;
denn Galizien, auf sich selbst angewiesen, könnte nicht bestehen. Und eben jener
phantasievolle fürstliche Redner hat früher entdeckt, daß das übrigens so un¬
bequeme Reich die Verpflichtung habe, Galizien zu erhalten, weil die dortigen
wirtschaftlichen Zustände nicht etwa durch die genugsam bekannte polnische Wirt¬
schaft, sondern durch deu österreichischen Staat verschuldet seien! Er und Gregr
wiesen direkt auf Ungarn hin und ließen durchblicken, daß die polnisch-tschechische
Allianz geschlossen sei, um gemeinschaftlich für ihre beiden Länder das zu er¬
ringen, was Ungarn erreicht hat. Die kleinen Verschiedenheiten in deu staats¬
rechtlichen Beziehungen einerseits Ungarns und andrerseits Böhmens und Ga-
liziens zu Krone und Reich geniren sie selbstverständlich nicht.

Die übrigen Redner möchten, wie gesagt, nicht so offen Farbe bekennen,
und schleppten deswegen alle möglichen Argumente herbei, welche nicht herge¬
hören, zum Teil sich gegenseitig aufheben. Bald wollten sie nicht wissen, was
Staatssprache bedeute — der alte Herr von Grvcholsti war naiv genug, zu be¬
kennen, er habe nach einer Erklärung dieses Wortes vergeblich in — Adelungs
Wörterbuch gesucht —, zogen wiederholt die Schweiz und Belgien zum Vergleich
heran, dachten aber wohlweislich nicht an Amerika, und fanden es ganz selbst¬
verständlich, daß in Galizien das Polnische „Landessprache" ist, obgleich der
größte Teil der ländlichen Bevölkerung ruthcnisch spricht. Bald bestritten sie
die Kompetenz des Rcichsrates in der Frage und bezeichneten in demselben Atem
ein Gesetz, wie das verlangte, als Verfassungsänderung; eine solche aber könne
nur vom Reichsrate beschlossen werden. Bald erhoben sie die alten Klagen
über Germanisation, Unterdrückung der slavischen Idiome, und verweigerten doch,
die Hand zur Herstellung eines festen Rechtsbodens zu bieten. Das historische
Recht und die Staatsräson bestanden abwechselnd zu Recht oder waren keiner
Berücksichtigung wert, je nachdem sie zu Gunsten der Slaven oder der Deut¬
schen zu sprechen schienen. Sie führten bittere Klage darüber, daß eine Woche
mit solchen zwecklosen Debatten verloren worden. Der Berichterstatter Sturm
entgegnete darauf, daß dem Hause augenblicklich kein wichtigerer Verhandlungs¬
gegenstand vorliege; er hätte aber der Mehrheit vor allem zu Gemüte führen
können, daß es ja in ihrer Macht gelegen hat, die Vorlage in wenige» Minuten
zu erledigen: sie brauchte nur der Vernunft und der Billigkeit Gehör zu geben.
Die Linke wurde natürlich mit Vorwürfen und Anklagen überschüttet. Sie hat
viel auf dem Kerbholz, aber wenn sie in dieser Sache ein Verschulden trifft, so
ist es, daß sie die Zeit ihrer Macht nicht verständig ausgenutzt, uicht eingesehen
hat, daß ihr doktrinärer Liberalismus die zentrifugalen Elemente großgezogen
hat. Wer ihr jetzt vorwirft, sie Hetze die Bevölkerung der Alpenländer und
Deutschböhmens, der kennt die wirklichen Verhältnisse nicht oder will sie nicht
kennen. Deutsch fühlen von jeher die Kärntner, Steirer, Oberösterreicher, ob ste
übrigens zur liberale» oder zur klerikalen Partei halten mögen, und der Ge-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155217"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Staatssprache in «Österreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1378" prev="#ID_1377"> etwa so wie das Ungarns zur deutschslavifcheu Reichshälfte, aber nicht ganz so;<lb/>
denn Galizien, auf sich selbst angewiesen, könnte nicht bestehen. Und eben jener<lb/>
phantasievolle fürstliche Redner hat früher entdeckt, daß das übrigens so un¬<lb/>
bequeme Reich die Verpflichtung habe, Galizien zu erhalten, weil die dortigen<lb/>
wirtschaftlichen Zustände nicht etwa durch die genugsam bekannte polnische Wirt¬<lb/>
schaft, sondern durch deu österreichischen Staat verschuldet seien! Er und Gregr<lb/>
wiesen direkt auf Ungarn hin und ließen durchblicken, daß die polnisch-tschechische<lb/>
Allianz geschlossen sei, um gemeinschaftlich für ihre beiden Länder das zu er¬<lb/>
ringen, was Ungarn erreicht hat. Die kleinen Verschiedenheiten in deu staats¬<lb/>
rechtlichen Beziehungen einerseits Ungarns und andrerseits Böhmens und Ga-<lb/>
liziens zu Krone und Reich geniren sie selbstverständlich nicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1379" next="#ID_1380"> Die übrigen Redner möchten, wie gesagt, nicht so offen Farbe bekennen,<lb/>
und schleppten deswegen alle möglichen Argumente herbei, welche nicht herge¬<lb/>
hören, zum Teil sich gegenseitig aufheben. Bald wollten sie nicht wissen, was<lb/>
Staatssprache bedeute &#x2014; der alte Herr von Grvcholsti war naiv genug, zu be¬<lb/>
kennen, er habe nach einer Erklärung dieses Wortes vergeblich in &#x2014; Adelungs<lb/>
Wörterbuch gesucht &#x2014;, zogen wiederholt die Schweiz und Belgien zum Vergleich<lb/>
heran, dachten aber wohlweislich nicht an Amerika, und fanden es ganz selbst¬<lb/>
verständlich, daß in Galizien das Polnische &#x201E;Landessprache" ist, obgleich der<lb/>
größte Teil der ländlichen Bevölkerung ruthcnisch spricht. Bald bestritten sie<lb/>
die Kompetenz des Rcichsrates in der Frage und bezeichneten in demselben Atem<lb/>
ein Gesetz, wie das verlangte, als Verfassungsänderung; eine solche aber könne<lb/>
nur vom Reichsrate beschlossen werden. Bald erhoben sie die alten Klagen<lb/>
über Germanisation, Unterdrückung der slavischen Idiome, und verweigerten doch,<lb/>
die Hand zur Herstellung eines festen Rechtsbodens zu bieten. Das historische<lb/>
Recht und die Staatsräson bestanden abwechselnd zu Recht oder waren keiner<lb/>
Berücksichtigung wert, je nachdem sie zu Gunsten der Slaven oder der Deut¬<lb/>
schen zu sprechen schienen. Sie führten bittere Klage darüber, daß eine Woche<lb/>
mit solchen zwecklosen Debatten verloren worden. Der Berichterstatter Sturm<lb/>
entgegnete darauf, daß dem Hause augenblicklich kein wichtigerer Verhandlungs¬<lb/>
gegenstand vorliege; er hätte aber der Mehrheit vor allem zu Gemüte führen<lb/>
können, daß es ja in ihrer Macht gelegen hat, die Vorlage in wenige» Minuten<lb/>
zu erledigen: sie brauchte nur der Vernunft und der Billigkeit Gehör zu geben.<lb/>
Die Linke wurde natürlich mit Vorwürfen und Anklagen überschüttet. Sie hat<lb/>
viel auf dem Kerbholz, aber wenn sie in dieser Sache ein Verschulden trifft, so<lb/>
ist es, daß sie die Zeit ihrer Macht nicht verständig ausgenutzt, uicht eingesehen<lb/>
hat, daß ihr doktrinärer Liberalismus die zentrifugalen Elemente großgezogen<lb/>
hat. Wer ihr jetzt vorwirft, sie Hetze die Bevölkerung der Alpenländer und<lb/>
Deutschböhmens, der kennt die wirklichen Verhältnisse nicht oder will sie nicht<lb/>
kennen. Deutsch fühlen von jeher die Kärntner, Steirer, Oberösterreicher, ob ste<lb/>
übrigens zur liberale» oder zur klerikalen Partei halten mögen, und der Ge-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] Die Staatssprache in «Österreich. etwa so wie das Ungarns zur deutschslavifcheu Reichshälfte, aber nicht ganz so; denn Galizien, auf sich selbst angewiesen, könnte nicht bestehen. Und eben jener phantasievolle fürstliche Redner hat früher entdeckt, daß das übrigens so un¬ bequeme Reich die Verpflichtung habe, Galizien zu erhalten, weil die dortigen wirtschaftlichen Zustände nicht etwa durch die genugsam bekannte polnische Wirt¬ schaft, sondern durch deu österreichischen Staat verschuldet seien! Er und Gregr wiesen direkt auf Ungarn hin und ließen durchblicken, daß die polnisch-tschechische Allianz geschlossen sei, um gemeinschaftlich für ihre beiden Länder das zu er¬ ringen, was Ungarn erreicht hat. Die kleinen Verschiedenheiten in deu staats¬ rechtlichen Beziehungen einerseits Ungarns und andrerseits Böhmens und Ga- liziens zu Krone und Reich geniren sie selbstverständlich nicht. Die übrigen Redner möchten, wie gesagt, nicht so offen Farbe bekennen, und schleppten deswegen alle möglichen Argumente herbei, welche nicht herge¬ hören, zum Teil sich gegenseitig aufheben. Bald wollten sie nicht wissen, was Staatssprache bedeute — der alte Herr von Grvcholsti war naiv genug, zu be¬ kennen, er habe nach einer Erklärung dieses Wortes vergeblich in — Adelungs Wörterbuch gesucht —, zogen wiederholt die Schweiz und Belgien zum Vergleich heran, dachten aber wohlweislich nicht an Amerika, und fanden es ganz selbst¬ verständlich, daß in Galizien das Polnische „Landessprache" ist, obgleich der größte Teil der ländlichen Bevölkerung ruthcnisch spricht. Bald bestritten sie die Kompetenz des Rcichsrates in der Frage und bezeichneten in demselben Atem ein Gesetz, wie das verlangte, als Verfassungsänderung; eine solche aber könne nur vom Reichsrate beschlossen werden. Bald erhoben sie die alten Klagen über Germanisation, Unterdrückung der slavischen Idiome, und verweigerten doch, die Hand zur Herstellung eines festen Rechtsbodens zu bieten. Das historische Recht und die Staatsräson bestanden abwechselnd zu Recht oder waren keiner Berücksichtigung wert, je nachdem sie zu Gunsten der Slaven oder der Deut¬ schen zu sprechen schienen. Sie führten bittere Klage darüber, daß eine Woche mit solchen zwecklosen Debatten verloren worden. Der Berichterstatter Sturm entgegnete darauf, daß dem Hause augenblicklich kein wichtigerer Verhandlungs¬ gegenstand vorliege; er hätte aber der Mehrheit vor allem zu Gemüte führen können, daß es ja in ihrer Macht gelegen hat, die Vorlage in wenige» Minuten zu erledigen: sie brauchte nur der Vernunft und der Billigkeit Gehör zu geben. Die Linke wurde natürlich mit Vorwürfen und Anklagen überschüttet. Sie hat viel auf dem Kerbholz, aber wenn sie in dieser Sache ein Verschulden trifft, so ist es, daß sie die Zeit ihrer Macht nicht verständig ausgenutzt, uicht eingesehen hat, daß ihr doktrinärer Liberalismus die zentrifugalen Elemente großgezogen hat. Wer ihr jetzt vorwirft, sie Hetze die Bevölkerung der Alpenländer und Deutschböhmens, der kennt die wirklichen Verhältnisse nicht oder will sie nicht kennen. Deutsch fühlen von jeher die Kärntner, Steirer, Oberösterreicher, ob ste übrigens zur liberale» oder zur klerikalen Partei halten mögen, und der Ge-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/334>, abgerufen am 28.09.2024.