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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Umschwung in Spanien.

Wechsel zwischen kurzlebigen Erfolgen von Palastintriguen und Militärementen
mit politischer Färbung und selbstsüchtigen Tendenzen der Führer gewesen ist.
Jeder spanische General ist von persönlichem Ehrgeiz erfüllt und strebt darnach,
dadurch, daß er sich für einige Zeit zum Agenten oder zum Herrn seines Souveräns
macht, Vorteile zu erringen. Prim, dessen Befähigung und Thatkraft unbestritten
war, machte durch Jmportirung eines Königs aus dem Hause Savoyen die
Republik zur Möglichkeit in Spanien. Wo aber der Grund und Boden auf
solche Weise unterwühlt ist, wo tolle politische Träume und unehrliche Selbst¬
sucht als Haupttriebfedern in der staatlichen Maschinerie wirken, darf es nicht
Erstaunen erwecken, daß Alfonso der Zwölfte sich endlich zu dem Entschlüsse
bewogen fand, feine Geschicke und dasjenige seiner Dynastie den Freunden seiner
Jugend, der konservativen Partei, anzuvertrauen, deren Interessen eng mit den
seinigen verknüpft sind.

Hierbei ist Wohl zu beachten, daß die Konservativen Spaniens nur geringe
Ähnlichkeit mit denen Frankreichs haben. Diesseits der Pyrenäen besteht die
Hauptmasse der konservativen Partei aus Royalisten und Bonapartisten, sowie
ans Klerikalen, die sich der einen oder der andern dynastischen Fraktion an¬
geschlossen haben. Spanien dagegen hat das Glück gehabt, seit einem halben
Jahrhundert, d. h. seit der Thronbesteigung der Königin Christine, seine poli¬
tischen Freiheiten unter dem Schutze eines legitimen und eingeborenen Königs¬
geschlechtes sich entwickeln zu sehen. In Frankreich wurde der Liberalismus
seit 1830 ebenfalls von einem Könige aus dem Hause Bourbon gefördert, aber
Ludwig Philipp vertrat eine jüngere und weniger direkte Linie desselben, die
nach der Vertreibung des legitime", aber unbeliebten Königs durch Wahl auf
den Thron gelangt war. Damals machten es die Franzosen wie die Engländer
nach dem Tode der Königin Anna. Sie suchten am Stammbäume der Königs¬
familie nach einem Seitenerben, wogegen in Spanien Jsabella die Zweite (für
welche eine Zeit lang deren Mutter, Christine, als Regentin eintrat) direkt die
ältere Linie des Königshauses repräsentirte, und der einzige EinWurf gegen
ihre Thronbesteigung bestand in der Behauptung, daß die Bourbonen das
salische Gesetz mitgebracht hätten, nach welchem eine Frau nicht regieren dürfe.
Die Mehrzahl der Spanier verwarf diesen Verstoß gegen die Geschichte des
Landes; denn Jsabella die Katholische gehört zu deu Gestalten derselben, auf
welche es am stolzesten ist. Überdies verband sich mit Don Karlos in der
Vorstellung jener Mehrzahl das Bild eines bigotten und despotischen Fürsten,
und während der langjährigen Unmündigkeit der jungen Königin hatte der
Konstitutionalismus Zeit, Wurzel im Lande zu schlagen. So steht der Kon¬
servatismus in Spanien einerseits den Karlisten und andrerseits den Parteien
gegenüber, welche die Krone aller Rechte zu berauben bemüht sind.

Ferner kommt in Betracht, daß ein konservatives Ministerium in Madrid
keineswegs die Bedeutung einer unbeschränkten Herrschaft der Konservativen in


Der Umschwung in Spanien.

Wechsel zwischen kurzlebigen Erfolgen von Palastintriguen und Militärementen
mit politischer Färbung und selbstsüchtigen Tendenzen der Führer gewesen ist.
Jeder spanische General ist von persönlichem Ehrgeiz erfüllt und strebt darnach,
dadurch, daß er sich für einige Zeit zum Agenten oder zum Herrn seines Souveräns
macht, Vorteile zu erringen. Prim, dessen Befähigung und Thatkraft unbestritten
war, machte durch Jmportirung eines Königs aus dem Hause Savoyen die
Republik zur Möglichkeit in Spanien. Wo aber der Grund und Boden auf
solche Weise unterwühlt ist, wo tolle politische Träume und unehrliche Selbst¬
sucht als Haupttriebfedern in der staatlichen Maschinerie wirken, darf es nicht
Erstaunen erwecken, daß Alfonso der Zwölfte sich endlich zu dem Entschlüsse
bewogen fand, feine Geschicke und dasjenige seiner Dynastie den Freunden seiner
Jugend, der konservativen Partei, anzuvertrauen, deren Interessen eng mit den
seinigen verknüpft sind.

Hierbei ist Wohl zu beachten, daß die Konservativen Spaniens nur geringe
Ähnlichkeit mit denen Frankreichs haben. Diesseits der Pyrenäen besteht die
Hauptmasse der konservativen Partei aus Royalisten und Bonapartisten, sowie
ans Klerikalen, die sich der einen oder der andern dynastischen Fraktion an¬
geschlossen haben. Spanien dagegen hat das Glück gehabt, seit einem halben
Jahrhundert, d. h. seit der Thronbesteigung der Königin Christine, seine poli¬
tischen Freiheiten unter dem Schutze eines legitimen und eingeborenen Königs¬
geschlechtes sich entwickeln zu sehen. In Frankreich wurde der Liberalismus
seit 1830 ebenfalls von einem Könige aus dem Hause Bourbon gefördert, aber
Ludwig Philipp vertrat eine jüngere und weniger direkte Linie desselben, die
nach der Vertreibung des legitime», aber unbeliebten Königs durch Wahl auf
den Thron gelangt war. Damals machten es die Franzosen wie die Engländer
nach dem Tode der Königin Anna. Sie suchten am Stammbäume der Königs¬
familie nach einem Seitenerben, wogegen in Spanien Jsabella die Zweite (für
welche eine Zeit lang deren Mutter, Christine, als Regentin eintrat) direkt die
ältere Linie des Königshauses repräsentirte, und der einzige EinWurf gegen
ihre Thronbesteigung bestand in der Behauptung, daß die Bourbonen das
salische Gesetz mitgebracht hätten, nach welchem eine Frau nicht regieren dürfe.
Die Mehrzahl der Spanier verwarf diesen Verstoß gegen die Geschichte des
Landes; denn Jsabella die Katholische gehört zu deu Gestalten derselben, auf
welche es am stolzesten ist. Überdies verband sich mit Don Karlos in der
Vorstellung jener Mehrzahl das Bild eines bigotten und despotischen Fürsten,
und während der langjährigen Unmündigkeit der jungen Königin hatte der
Konstitutionalismus Zeit, Wurzel im Lande zu schlagen. So steht der Kon¬
servatismus in Spanien einerseits den Karlisten und andrerseits den Parteien
gegenüber, welche die Krone aller Rechte zu berauben bemüht sind.

Ferner kommt in Betracht, daß ein konservatives Ministerium in Madrid
keineswegs die Bedeutung einer unbeschränkten Herrschaft der Konservativen in


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[0314] Der Umschwung in Spanien. Wechsel zwischen kurzlebigen Erfolgen von Palastintriguen und Militärementen mit politischer Färbung und selbstsüchtigen Tendenzen der Führer gewesen ist. Jeder spanische General ist von persönlichem Ehrgeiz erfüllt und strebt darnach, dadurch, daß er sich für einige Zeit zum Agenten oder zum Herrn seines Souveräns macht, Vorteile zu erringen. Prim, dessen Befähigung und Thatkraft unbestritten war, machte durch Jmportirung eines Königs aus dem Hause Savoyen die Republik zur Möglichkeit in Spanien. Wo aber der Grund und Boden auf solche Weise unterwühlt ist, wo tolle politische Träume und unehrliche Selbst¬ sucht als Haupttriebfedern in der staatlichen Maschinerie wirken, darf es nicht Erstaunen erwecken, daß Alfonso der Zwölfte sich endlich zu dem Entschlüsse bewogen fand, feine Geschicke und dasjenige seiner Dynastie den Freunden seiner Jugend, der konservativen Partei, anzuvertrauen, deren Interessen eng mit den seinigen verknüpft sind. Hierbei ist Wohl zu beachten, daß die Konservativen Spaniens nur geringe Ähnlichkeit mit denen Frankreichs haben. Diesseits der Pyrenäen besteht die Hauptmasse der konservativen Partei aus Royalisten und Bonapartisten, sowie ans Klerikalen, die sich der einen oder der andern dynastischen Fraktion an¬ geschlossen haben. Spanien dagegen hat das Glück gehabt, seit einem halben Jahrhundert, d. h. seit der Thronbesteigung der Königin Christine, seine poli¬ tischen Freiheiten unter dem Schutze eines legitimen und eingeborenen Königs¬ geschlechtes sich entwickeln zu sehen. In Frankreich wurde der Liberalismus seit 1830 ebenfalls von einem Könige aus dem Hause Bourbon gefördert, aber Ludwig Philipp vertrat eine jüngere und weniger direkte Linie desselben, die nach der Vertreibung des legitime», aber unbeliebten Königs durch Wahl auf den Thron gelangt war. Damals machten es die Franzosen wie die Engländer nach dem Tode der Königin Anna. Sie suchten am Stammbäume der Königs¬ familie nach einem Seitenerben, wogegen in Spanien Jsabella die Zweite (für welche eine Zeit lang deren Mutter, Christine, als Regentin eintrat) direkt die ältere Linie des Königshauses repräsentirte, und der einzige EinWurf gegen ihre Thronbesteigung bestand in der Behauptung, daß die Bourbonen das salische Gesetz mitgebracht hätten, nach welchem eine Frau nicht regieren dürfe. Die Mehrzahl der Spanier verwarf diesen Verstoß gegen die Geschichte des Landes; denn Jsabella die Katholische gehört zu deu Gestalten derselben, auf welche es am stolzesten ist. Überdies verband sich mit Don Karlos in der Vorstellung jener Mehrzahl das Bild eines bigotten und despotischen Fürsten, und während der langjährigen Unmündigkeit der jungen Königin hatte der Konstitutionalismus Zeit, Wurzel im Lande zu schlagen. So steht der Kon¬ servatismus in Spanien einerseits den Karlisten und andrerseits den Parteien gegenüber, welche die Krone aller Rechte zu berauben bemüht sind. Ferner kommt in Betracht, daß ein konservatives Ministerium in Madrid keineswegs die Bedeutung einer unbeschränkten Herrschaft der Konservativen in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/314>, abgerufen am 24.07.2024.