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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der Umschwung in Spanien.

zweimal überlegen, ehe sie versuchen, durch Aufstände das Heft wieder in die
Hand zu bekommen, und wagen sie einen Aufstand, so ist vielleicht kein spanischer
Politiker geeigneter dazu, ihn zu vereiteln, als Canovas. Auch die übrigen
Mitglieder des neuen Kabinets flößen Vertrauen ein, und es ist einheitlicher
zusammengesetzt als das frühere. Der Kriegsminister Qnesada ist ein strammer
Soldat, der Marineminister Polo ein tüchtiger Seemann, der Leiter der aus¬
wärtigen Angelegenheiten, Elduayen, der schon milder dem König Amadeo mit
einem Portefeuille betraut und zuletzt Gouverneur von Madrid war, erfreut sich
gleichfalls eiues guten Namens in seinem Fache, und dasselbe gilt von seinen
Kollegen Cosgayon (Finanzen), Silvela (Justiz), Valdoscra (Kolonien) und Pidal
(Unterricht und öffentliche Arbeiten). Alle diese Herren sind streng monarchisch
gesinnt. Robledo, der Minister des Innern, hat sich zwar 1868 am Sturze
der Königin Jsabelln beteiligt, gehört aber, seitdem er sich von der Partei
Sagastas losgesagt hat, zu den eifrigsten Anhängern Don Alfonsos.

Auf den ersten Blick sieht es aus, als ob dieses Zurückgreifen ans die
Konservativen etwas von der Natur einer Reaktion an sich hätte. Englische
Blätter haben es einen gelinden Staatsstreich nach Art dessen genannt, was
1835 bei der Entlassung der Whigs durch König William stattfand. Wir finden
in diesen Vorgängen mehr Ähnlichkeit mit der Berufung Bismarcks zur obersten
Leitung der Staatsgeschäfte, als die Ministerien der "neuen Ära" sich unfähig
gezeigt hatten, den gefährlichen Forderungen der Liberalen mit Erfolg entgegen¬
zutreten und die reformatorischen Ideen des Königs zu verwirkliche". Der
Vergleich mit dem Verfahren König Williams trifft weniger zu. Damals ge¬
boten zwar die englischen Liberalen wie jetzt die spanischen in der Gesetzgebung
über eine Mehrheit, welche Zeichen des Zerfalls kundgab. Aber das Verfahren
des englischen Souveräns war ein vorzeitiges; denn der Umschwung zu den
Tories fand erst 1841, also sechs Jahre später, statt. Auch ist Spanien nicht
Wohl mit England zu vergleichen, und der Herrscher des ersteren hat viele gute
Gründe, der Linken zu mißtrauen, auch wenn die verschiednen, sich aneinander
reibenden Bruchteile derselben sich für die Dauer vereinigen könnten, und zwar
">ehe so sehr, weil einige sich Republikaner nennen, als weil viele sich demo¬
kratischer Anschauungen und Forderungen als Deckmantels zur Verhüllung eines
Parteigeistes bedienen, der stets bereit ist, sich zu illoyalen Handeln zu ent¬
wickeln. Die englischen Liberalen von 183S dachten der Krone gegenüber ganz
ebenso loyal wie ihre konservativen Gegner; von den spanische" Fortschrittlern
"nsrer Tage läßt sich "icht das gleiche behaupte". Selbst die sogenannte
dynastische Linke würde, obwohl sie der Monarchie mit den Lippen zu huldigen
gewöhnt ist. den König sehr bald in eine Null verwandelt haben, wenn sie am
Ruder geblieben wäre. Dieses Element politischer Unzuverlässigkeit ist kein
Wunders ist vielmehr sehr erklärlich und begreiflich in einem Lande, wo seit der
Thronbesteigung Jsabellas der Zweiten das staatliche Leben fast nichts als ein


Der Umschwung in Spanien.

zweimal überlegen, ehe sie versuchen, durch Aufstände das Heft wieder in die
Hand zu bekommen, und wagen sie einen Aufstand, so ist vielleicht kein spanischer
Politiker geeigneter dazu, ihn zu vereiteln, als Canovas. Auch die übrigen
Mitglieder des neuen Kabinets flößen Vertrauen ein, und es ist einheitlicher
zusammengesetzt als das frühere. Der Kriegsminister Qnesada ist ein strammer
Soldat, der Marineminister Polo ein tüchtiger Seemann, der Leiter der aus¬
wärtigen Angelegenheiten, Elduayen, der schon milder dem König Amadeo mit
einem Portefeuille betraut und zuletzt Gouverneur von Madrid war, erfreut sich
gleichfalls eiues guten Namens in seinem Fache, und dasselbe gilt von seinen
Kollegen Cosgayon (Finanzen), Silvela (Justiz), Valdoscra (Kolonien) und Pidal
(Unterricht und öffentliche Arbeiten). Alle diese Herren sind streng monarchisch
gesinnt. Robledo, der Minister des Innern, hat sich zwar 1868 am Sturze
der Königin Jsabelln beteiligt, gehört aber, seitdem er sich von der Partei
Sagastas losgesagt hat, zu den eifrigsten Anhängern Don Alfonsos.

Auf den ersten Blick sieht es aus, als ob dieses Zurückgreifen ans die
Konservativen etwas von der Natur einer Reaktion an sich hätte. Englische
Blätter haben es einen gelinden Staatsstreich nach Art dessen genannt, was
1835 bei der Entlassung der Whigs durch König William stattfand. Wir finden
in diesen Vorgängen mehr Ähnlichkeit mit der Berufung Bismarcks zur obersten
Leitung der Staatsgeschäfte, als die Ministerien der „neuen Ära" sich unfähig
gezeigt hatten, den gefährlichen Forderungen der Liberalen mit Erfolg entgegen¬
zutreten und die reformatorischen Ideen des Königs zu verwirkliche». Der
Vergleich mit dem Verfahren König Williams trifft weniger zu. Damals ge¬
boten zwar die englischen Liberalen wie jetzt die spanischen in der Gesetzgebung
über eine Mehrheit, welche Zeichen des Zerfalls kundgab. Aber das Verfahren
des englischen Souveräns war ein vorzeitiges; denn der Umschwung zu den
Tories fand erst 1841, also sechs Jahre später, statt. Auch ist Spanien nicht
Wohl mit England zu vergleichen, und der Herrscher des ersteren hat viele gute
Gründe, der Linken zu mißtrauen, auch wenn die verschiednen, sich aneinander
reibenden Bruchteile derselben sich für die Dauer vereinigen könnten, und zwar
">ehe so sehr, weil einige sich Republikaner nennen, als weil viele sich demo¬
kratischer Anschauungen und Forderungen als Deckmantels zur Verhüllung eines
Parteigeistes bedienen, der stets bereit ist, sich zu illoyalen Handeln zu ent¬
wickeln. Die englischen Liberalen von 183S dachten der Krone gegenüber ganz
ebenso loyal wie ihre konservativen Gegner; von den spanische» Fortschrittlern
»nsrer Tage läßt sich »icht das gleiche behaupte». Selbst die sogenannte
dynastische Linke würde, obwohl sie der Monarchie mit den Lippen zu huldigen
gewöhnt ist. den König sehr bald in eine Null verwandelt haben, wenn sie am
Ruder geblieben wäre. Dieses Element politischer Unzuverlässigkeit ist kein
Wunders ist vielmehr sehr erklärlich und begreiflich in einem Lande, wo seit der
Thronbesteigung Jsabellas der Zweiten das staatliche Leben fast nichts als ein


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[0313] Der Umschwung in Spanien. zweimal überlegen, ehe sie versuchen, durch Aufstände das Heft wieder in die Hand zu bekommen, und wagen sie einen Aufstand, so ist vielleicht kein spanischer Politiker geeigneter dazu, ihn zu vereiteln, als Canovas. Auch die übrigen Mitglieder des neuen Kabinets flößen Vertrauen ein, und es ist einheitlicher zusammengesetzt als das frühere. Der Kriegsminister Qnesada ist ein strammer Soldat, der Marineminister Polo ein tüchtiger Seemann, der Leiter der aus¬ wärtigen Angelegenheiten, Elduayen, der schon milder dem König Amadeo mit einem Portefeuille betraut und zuletzt Gouverneur von Madrid war, erfreut sich gleichfalls eiues guten Namens in seinem Fache, und dasselbe gilt von seinen Kollegen Cosgayon (Finanzen), Silvela (Justiz), Valdoscra (Kolonien) und Pidal (Unterricht und öffentliche Arbeiten). Alle diese Herren sind streng monarchisch gesinnt. Robledo, der Minister des Innern, hat sich zwar 1868 am Sturze der Königin Jsabelln beteiligt, gehört aber, seitdem er sich von der Partei Sagastas losgesagt hat, zu den eifrigsten Anhängern Don Alfonsos. Auf den ersten Blick sieht es aus, als ob dieses Zurückgreifen ans die Konservativen etwas von der Natur einer Reaktion an sich hätte. Englische Blätter haben es einen gelinden Staatsstreich nach Art dessen genannt, was 1835 bei der Entlassung der Whigs durch König William stattfand. Wir finden in diesen Vorgängen mehr Ähnlichkeit mit der Berufung Bismarcks zur obersten Leitung der Staatsgeschäfte, als die Ministerien der „neuen Ära" sich unfähig gezeigt hatten, den gefährlichen Forderungen der Liberalen mit Erfolg entgegen¬ zutreten und die reformatorischen Ideen des Königs zu verwirkliche». Der Vergleich mit dem Verfahren König Williams trifft weniger zu. Damals ge¬ boten zwar die englischen Liberalen wie jetzt die spanischen in der Gesetzgebung über eine Mehrheit, welche Zeichen des Zerfalls kundgab. Aber das Verfahren des englischen Souveräns war ein vorzeitiges; denn der Umschwung zu den Tories fand erst 1841, also sechs Jahre später, statt. Auch ist Spanien nicht Wohl mit England zu vergleichen, und der Herrscher des ersteren hat viele gute Gründe, der Linken zu mißtrauen, auch wenn die verschiednen, sich aneinander reibenden Bruchteile derselben sich für die Dauer vereinigen könnten, und zwar ">ehe so sehr, weil einige sich Republikaner nennen, als weil viele sich demo¬ kratischer Anschauungen und Forderungen als Deckmantels zur Verhüllung eines Parteigeistes bedienen, der stets bereit ist, sich zu illoyalen Handeln zu ent¬ wickeln. Die englischen Liberalen von 183S dachten der Krone gegenüber ganz ebenso loyal wie ihre konservativen Gegner; von den spanische» Fortschrittlern »nsrer Tage läßt sich »icht das gleiche behaupte». Selbst die sogenannte dynastische Linke würde, obwohl sie der Monarchie mit den Lippen zu huldigen gewöhnt ist. den König sehr bald in eine Null verwandelt haben, wenn sie am Ruder geblieben wäre. Dieses Element politischer Unzuverlässigkeit ist kein Wunders ist vielmehr sehr erklärlich und begreiflich in einem Lande, wo seit der Thronbesteigung Jsabellas der Zweiten das staatliche Leben fast nichts als ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/313>, abgerufen am 24.07.2024.