Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Umschwung in Spanien.

Wenn nicht mehr jeder "unter die Journalisten gehen" kann, welcher
ehemals "unter die Komödianten" oder in eine Fremdenlegion gegangen wäre,
oder welcher das Zeug hat, als Börsengalopin "Karriere" zu machen; wenn
nicht mehr der politische und literarische Inhalt einer Zeitung sozusagen das
Schaufenster sein kann, hinter welchem das -- reinliche oder schmutzige --
Jnseratengeschäft betrieben wird; wenn einmal die Erkenntnis sich allgemeiner
Bahn gebrochen hat, daß eine gemeinschädliche Thätigkeit nicht deshalb geduldet
werden muß, weil sie sich der Buchdruckerkunst bedient, und wenn man sich
auch nicht mehr scheut, solcher Erkenntnis überall Ausdruck zu geben; wenn
dann die korporativ geeinigten Zeitungseigentümer und Redakteure einerseits
und die Behörden anderseits sich in dem Bemühen, den Stand ehrenhaft und
angesehen zu erhalten, gegenseitig unterstützein dann wird die ungeheure Über¬
produktion und in deren Gefolge die gemeine, kein Mittel verschmähende Kon-
kurrenz aufhören, das Schriftstellerproletariat geringer werden, und es wird
keiner großen Anstrengungen bedürfen, um wirklich vorhandenes Elend zu be¬
seitigen oder zu lindern.




Ver Umschwung in Spanien.

er Umschwung der Dinge, dnrch welchen in Spanien die Konser¬
vative" wieder ans Ruder gekommen sind, hat das Land -- wir
wollen hoffen, für lange Zeit -- vor zwei Übeln bewahrt, vor
dem Rückfall in demokratisch-republikanische Zustände und vor
der Abhängigkeit von Frankreich, dem republikanischen Nachbar¬
staate. Man war auf dem besten Wege zu diesen beiden Übeln, als der König
Alfonso die Gefahr erkannte und auf den Staatsmann zurückgriff, welcher bei
der Restauration des Jahres 1875 die Rolle eines Monk in Zivil gespielt
hatte. Der Ministerpräsident Canovas ist ein kluger, erfahrener und sehr
energischer Politiker, welcher in den ersten Regierungsjahren des jungen
Monarchen das spanische Staatsschiff rin vielem Geschick durch die hochgehenden
Wellen des Parteitreibens steuerte. Er hat etwas Herdes und Rauhes in
seinem Wesen, das sich mit der Hofluft nicht wohl verträgt, ist aber ein
Charakter ohne Ehrbegier und Eigennutz -- in Spanien eine Seltenheit --,
und so bewahrte ihm der König sein Vertrauen auch dann noch, als er ihn
vor dem Andrange der liberalen Elemente entlassen mußte. Vermutlich werden
diese im Hinblick auf das frühere feste Auftreten des jetzigen Premiers sichs


Der Umschwung in Spanien.

Wenn nicht mehr jeder „unter die Journalisten gehen" kann, welcher
ehemals „unter die Komödianten" oder in eine Fremdenlegion gegangen wäre,
oder welcher das Zeug hat, als Börsengalopin „Karriere" zu machen; wenn
nicht mehr der politische und literarische Inhalt einer Zeitung sozusagen das
Schaufenster sein kann, hinter welchem das — reinliche oder schmutzige —
Jnseratengeschäft betrieben wird; wenn einmal die Erkenntnis sich allgemeiner
Bahn gebrochen hat, daß eine gemeinschädliche Thätigkeit nicht deshalb geduldet
werden muß, weil sie sich der Buchdruckerkunst bedient, und wenn man sich
auch nicht mehr scheut, solcher Erkenntnis überall Ausdruck zu geben; wenn
dann die korporativ geeinigten Zeitungseigentümer und Redakteure einerseits
und die Behörden anderseits sich in dem Bemühen, den Stand ehrenhaft und
angesehen zu erhalten, gegenseitig unterstützein dann wird die ungeheure Über¬
produktion und in deren Gefolge die gemeine, kein Mittel verschmähende Kon-
kurrenz aufhören, das Schriftstellerproletariat geringer werden, und es wird
keiner großen Anstrengungen bedürfen, um wirklich vorhandenes Elend zu be¬
seitigen oder zu lindern.




Ver Umschwung in Spanien.

er Umschwung der Dinge, dnrch welchen in Spanien die Konser¬
vative» wieder ans Ruder gekommen sind, hat das Land — wir
wollen hoffen, für lange Zeit — vor zwei Übeln bewahrt, vor
dem Rückfall in demokratisch-republikanische Zustände und vor
der Abhängigkeit von Frankreich, dem republikanischen Nachbar¬
staate. Man war auf dem besten Wege zu diesen beiden Übeln, als der König
Alfonso die Gefahr erkannte und auf den Staatsmann zurückgriff, welcher bei
der Restauration des Jahres 1875 die Rolle eines Monk in Zivil gespielt
hatte. Der Ministerpräsident Canovas ist ein kluger, erfahrener und sehr
energischer Politiker, welcher in den ersten Regierungsjahren des jungen
Monarchen das spanische Staatsschiff rin vielem Geschick durch die hochgehenden
Wellen des Parteitreibens steuerte. Er hat etwas Herdes und Rauhes in
seinem Wesen, das sich mit der Hofluft nicht wohl verträgt, ist aber ein
Charakter ohne Ehrbegier und Eigennutz — in Spanien eine Seltenheit —,
und so bewahrte ihm der König sein Vertrauen auch dann noch, als er ihn
vor dem Andrange der liberalen Elemente entlassen mußte. Vermutlich werden
diese im Hinblick auf das frühere feste Auftreten des jetzigen Premiers sichs


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155195"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Umschwung in Spanien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1251"> Wenn nicht mehr jeder &#x201E;unter die Journalisten gehen" kann, welcher<lb/>
ehemals &#x201E;unter die Komödianten" oder in eine Fremdenlegion gegangen wäre,<lb/>
oder welcher das Zeug hat, als Börsengalopin &#x201E;Karriere" zu machen; wenn<lb/>
nicht mehr der politische und literarische Inhalt einer Zeitung sozusagen das<lb/>
Schaufenster sein kann, hinter welchem das &#x2014; reinliche oder schmutzige &#x2014;<lb/>
Jnseratengeschäft betrieben wird; wenn einmal die Erkenntnis sich allgemeiner<lb/>
Bahn gebrochen hat, daß eine gemeinschädliche Thätigkeit nicht deshalb geduldet<lb/>
werden muß, weil sie sich der Buchdruckerkunst bedient, und wenn man sich<lb/>
auch nicht mehr scheut, solcher Erkenntnis überall Ausdruck zu geben; wenn<lb/>
dann die korporativ geeinigten Zeitungseigentümer und Redakteure einerseits<lb/>
und die Behörden anderseits sich in dem Bemühen, den Stand ehrenhaft und<lb/>
angesehen zu erhalten, gegenseitig unterstützein dann wird die ungeheure Über¬<lb/>
produktion und in deren Gefolge die gemeine, kein Mittel verschmähende Kon-<lb/>
kurrenz aufhören, das Schriftstellerproletariat geringer werden, und es wird<lb/>
keiner großen Anstrengungen bedürfen, um wirklich vorhandenes Elend zu be¬<lb/>
seitigen oder zu lindern.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ver Umschwung in Spanien.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1252" next="#ID_1253"> er Umschwung der Dinge, dnrch welchen in Spanien die Konser¬<lb/>
vative» wieder ans Ruder gekommen sind, hat das Land &#x2014; wir<lb/>
wollen hoffen, für lange Zeit &#x2014; vor zwei Übeln bewahrt, vor<lb/>
dem Rückfall in demokratisch-republikanische Zustände und vor<lb/>
der Abhängigkeit von Frankreich, dem republikanischen Nachbar¬<lb/>
staate. Man war auf dem besten Wege zu diesen beiden Übeln, als der König<lb/>
Alfonso die Gefahr erkannte und auf den Staatsmann zurückgriff, welcher bei<lb/>
der Restauration des Jahres 1875 die Rolle eines Monk in Zivil gespielt<lb/>
hatte. Der Ministerpräsident Canovas ist ein kluger, erfahrener und sehr<lb/>
energischer Politiker, welcher in den ersten Regierungsjahren des jungen<lb/>
Monarchen das spanische Staatsschiff rin vielem Geschick durch die hochgehenden<lb/>
Wellen des Parteitreibens steuerte. Er hat etwas Herdes und Rauhes in<lb/>
seinem Wesen, das sich mit der Hofluft nicht wohl verträgt, ist aber ein<lb/>
Charakter ohne Ehrbegier und Eigennutz &#x2014; in Spanien eine Seltenheit &#x2014;,<lb/>
und so bewahrte ihm der König sein Vertrauen auch dann noch, als er ihn<lb/>
vor dem Andrange der liberalen Elemente entlassen mußte. Vermutlich werden<lb/>
diese im Hinblick auf das frühere feste Auftreten des jetzigen Premiers sichs</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0312] Der Umschwung in Spanien. Wenn nicht mehr jeder „unter die Journalisten gehen" kann, welcher ehemals „unter die Komödianten" oder in eine Fremdenlegion gegangen wäre, oder welcher das Zeug hat, als Börsengalopin „Karriere" zu machen; wenn nicht mehr der politische und literarische Inhalt einer Zeitung sozusagen das Schaufenster sein kann, hinter welchem das — reinliche oder schmutzige — Jnseratengeschäft betrieben wird; wenn einmal die Erkenntnis sich allgemeiner Bahn gebrochen hat, daß eine gemeinschädliche Thätigkeit nicht deshalb geduldet werden muß, weil sie sich der Buchdruckerkunst bedient, und wenn man sich auch nicht mehr scheut, solcher Erkenntnis überall Ausdruck zu geben; wenn dann die korporativ geeinigten Zeitungseigentümer und Redakteure einerseits und die Behörden anderseits sich in dem Bemühen, den Stand ehrenhaft und angesehen zu erhalten, gegenseitig unterstützein dann wird die ungeheure Über¬ produktion und in deren Gefolge die gemeine, kein Mittel verschmähende Kon- kurrenz aufhören, das Schriftstellerproletariat geringer werden, und es wird keiner großen Anstrengungen bedürfen, um wirklich vorhandenes Elend zu be¬ seitigen oder zu lindern. Ver Umschwung in Spanien. er Umschwung der Dinge, dnrch welchen in Spanien die Konser¬ vative» wieder ans Ruder gekommen sind, hat das Land — wir wollen hoffen, für lange Zeit — vor zwei Übeln bewahrt, vor dem Rückfall in demokratisch-republikanische Zustände und vor der Abhängigkeit von Frankreich, dem republikanischen Nachbar¬ staate. Man war auf dem besten Wege zu diesen beiden Übeln, als der König Alfonso die Gefahr erkannte und auf den Staatsmann zurückgriff, welcher bei der Restauration des Jahres 1875 die Rolle eines Monk in Zivil gespielt hatte. Der Ministerpräsident Canovas ist ein kluger, erfahrener und sehr energischer Politiker, welcher in den ersten Regierungsjahren des jungen Monarchen das spanische Staatsschiff rin vielem Geschick durch die hochgehenden Wellen des Parteitreibens steuerte. Er hat etwas Herdes und Rauhes in seinem Wesen, das sich mit der Hofluft nicht wohl verträgt, ist aber ein Charakter ohne Ehrbegier und Eigennutz — in Spanien eine Seltenheit —, und so bewahrte ihm der König sein Vertrauen auch dann noch, als er ihn vor dem Andrange der liberalen Elemente entlassen mußte. Vermutlich werden diese im Hinblick auf das frühere feste Auftreten des jetzigen Premiers sichs

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/312
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/312>, abgerufen am 24.07.2024.