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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Aus dem neuen Griechenland.

1840 stieg diese Zahl auf 3000. 1876 auf 6000 und im vorigen Jahre bis
auf 10 400, und wenn man die unter der türkischen Flagge stehenden und
Griechen angehörenden zahlreichen Handelsschiffe mit jenen zusammenfaßt, so sieht
man, daß Griechenland im Seehandel einen bedeutenden Platz einnimmt. Schon das
Altertum zeigt uns den Hellenen als erprobten Seefahrer, den die vielgestal¬
tigen Küsten feines Vaterlandes begünstigen; jetzt aber, da die Hauptprodukte
desselben, Wein, Oliven, Korinthen ?c., welche jährlich viele Millionen Drachmen
dem Lande zufließen lassen, fast ausschließlich im Auslande verbraucht werden,
ist ein ausgebreiteter Seehandel fast zur Naturnotwendigkeit geworden.

Die Industrie dagegen, in welcher sich die Vorfahren ausgezeichnet haben,
hat leider allzuwenig oder gar nicht die Aufmerksamkeit der jeweiligen Re¬
gierungen auf sich gezogen, und so mußten auch hier wiederum die Privatleute
ihr Bestes thun und auf die Gefahr hin, alles zu verlieren, oder zum mindesten
ohne Aussicht auf Gewinn ihr Vermögen aufs Spiel setzen und Fabriken den
Bedürfnissen des Landes entsprechend errichten.

In letzter Zeit hat man eingesehen, von welchem Nutzen die Unterstützung
der Industrie für das Land werden kann, und die von dem vortrefflichen kauf¬
männischen und industriellen Verein Athens und von denen der anderen Städte
der Regierung gemachten Vorschläge haben eine günstige Aufnahme gefunden,
welche uns auf eine erfreulichere industrielle Zukunft Griechenlands hoffen läßt,
umsomehr als das griechische Volk unleugbare Geschicklichkeit auch auf diesem
Gebiete besitzt.

Die Finanzen Griechenlands befinden sich, wie bekannt, in keinem
blühenden Zustande. Nach den vor zwei Monaten von dem Finanzministerium
veröffentlichten Berichten sind die Gesamtschulden des Staates auf 472 Mil¬
lionen Drachmen gestiegen. Ein Teil dieser Schulden datirt aus der Zeit
des Freiheitskampses, wo das aufgestandene Land, um den Krieg gegen den
verhaßten Feind weiterführen zu können, sich gezwungen sah, Schulden unter
den ungünstigsten Bedingungen zu machen. Später hat es diese Schulden an¬
erkannt und einen großen Teil davon bezahlt, was das vorher wankende Ver¬
trauen der Fremden wieder herbeigezogen und aufgerichtet hat. Andre dieser
Anleihen wurden für das Verkehrswesen im Innern des Landes verwendet,
die meisten jedoch waren veranlaßt durch äußere Beziehungen, welche dem jungen
Staate Ausrüstungen und Vorbereitungen auferlegten, damit er seinen moralischen
Einfluß auf die auswärtigen Griechen nicht verliere. Wiederholte Aufstände
des unter türkischem Joche seufzenden vielgemarterten Kreta, und spätere Un¬
ruhen in Thessalien und Epirus haben natürlicherweise einen großen Einfluß
auf den benachbarten und verwandten Staat ausgeübt und ihm keine Möglich¬
keit geboten, seine schlechten Finanzen zu verbessern. Hätte er aber etwa ver¬
gessen dürfen, daß seine Unabhängigkeit einst durch das in Strömen dahingeflossene
Blut aller seiner Kinder, auch jener noch von ihm getrennten, erkauft wurde,


Aus dem neuen Griechenland.

1840 stieg diese Zahl auf 3000. 1876 auf 6000 und im vorigen Jahre bis
auf 10 400, und wenn man die unter der türkischen Flagge stehenden und
Griechen angehörenden zahlreichen Handelsschiffe mit jenen zusammenfaßt, so sieht
man, daß Griechenland im Seehandel einen bedeutenden Platz einnimmt. Schon das
Altertum zeigt uns den Hellenen als erprobten Seefahrer, den die vielgestal¬
tigen Küsten feines Vaterlandes begünstigen; jetzt aber, da die Hauptprodukte
desselben, Wein, Oliven, Korinthen ?c., welche jährlich viele Millionen Drachmen
dem Lande zufließen lassen, fast ausschließlich im Auslande verbraucht werden,
ist ein ausgebreiteter Seehandel fast zur Naturnotwendigkeit geworden.

Die Industrie dagegen, in welcher sich die Vorfahren ausgezeichnet haben,
hat leider allzuwenig oder gar nicht die Aufmerksamkeit der jeweiligen Re¬
gierungen auf sich gezogen, und so mußten auch hier wiederum die Privatleute
ihr Bestes thun und auf die Gefahr hin, alles zu verlieren, oder zum mindesten
ohne Aussicht auf Gewinn ihr Vermögen aufs Spiel setzen und Fabriken den
Bedürfnissen des Landes entsprechend errichten.

In letzter Zeit hat man eingesehen, von welchem Nutzen die Unterstützung
der Industrie für das Land werden kann, und die von dem vortrefflichen kauf¬
männischen und industriellen Verein Athens und von denen der anderen Städte
der Regierung gemachten Vorschläge haben eine günstige Aufnahme gefunden,
welche uns auf eine erfreulichere industrielle Zukunft Griechenlands hoffen läßt,
umsomehr als das griechische Volk unleugbare Geschicklichkeit auch auf diesem
Gebiete besitzt.

Die Finanzen Griechenlands befinden sich, wie bekannt, in keinem
blühenden Zustande. Nach den vor zwei Monaten von dem Finanzministerium
veröffentlichten Berichten sind die Gesamtschulden des Staates auf 472 Mil¬
lionen Drachmen gestiegen. Ein Teil dieser Schulden datirt aus der Zeit
des Freiheitskampses, wo das aufgestandene Land, um den Krieg gegen den
verhaßten Feind weiterführen zu können, sich gezwungen sah, Schulden unter
den ungünstigsten Bedingungen zu machen. Später hat es diese Schulden an¬
erkannt und einen großen Teil davon bezahlt, was das vorher wankende Ver¬
trauen der Fremden wieder herbeigezogen und aufgerichtet hat. Andre dieser
Anleihen wurden für das Verkehrswesen im Innern des Landes verwendet,
die meisten jedoch waren veranlaßt durch äußere Beziehungen, welche dem jungen
Staate Ausrüstungen und Vorbereitungen auferlegten, damit er seinen moralischen
Einfluß auf die auswärtigen Griechen nicht verliere. Wiederholte Aufstände
des unter türkischem Joche seufzenden vielgemarterten Kreta, und spätere Un¬
ruhen in Thessalien und Epirus haben natürlicherweise einen großen Einfluß
auf den benachbarten und verwandten Staat ausgeübt und ihm keine Möglich¬
keit geboten, seine schlechten Finanzen zu verbessern. Hätte er aber etwa ver¬
gessen dürfen, daß seine Unabhängigkeit einst durch das in Strömen dahingeflossene
Blut aller seiner Kinder, auch jener noch von ihm getrennten, erkauft wurde,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/298>, abgerufen am 22.07.2024.