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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

oder soll unser Sohn sie heiraten? Man heizt einen neuen Ofen doch nicht
mit einem ganzen Fuder Kohlen an,

Liebe Eltern, sagte Berthold, ihr vergeht, fürchte ich. daß ich weder ein
Adonis noch sonst etwas bin. Wie kann ich so hoch hinauswollen? Damit
will ich mich nicht etwa zu tief gebückt haben. Ich mache mir aus unsern
europäischen Standesgliederungen herzlich wenig. Vater Hartig mit seiner vierzig¬
jährigen unermüdlichen Thätigkeit und seiner redlichen Sorge für Hunderte und
aber Hunderte von Arbeiterfamilien steht mir höher als der reichstbesternte Titel¬
matador, und Mama Hartigs Küchenschürze ist mir lieber als die längste Atlas¬
und Spitzenbalyeuse einer Prinzessin. Aber wie käme ich dazu, um ein Fräulein
"von" zu freien? Nein, so hoch möchte ich nicht hinaus. Im übrigen wüßte
ich nicht, wie man hübscher und netter und umgänglicher und was weiß ich
sein könnte, als Fräulein Hermine.

Hier fiel Frau Anna ihrem Sohne um den Hals.

Sachte, sachte, suchte Kaspar Benedikt einem neuen Ausbruche vorzubeugen,
aber Frau Annas freudige Erregung mußte über die Lippen. Was sie alles
über die zwei bürgerlichen Schwäger Herminens hervorholte, grenzte ans Un¬
glaubliche und konnte nur dadurch, daß Frau Anna soviel mit Fräulein von
Mockritz zusammengesteckt hatte, trotz Kaspar Benedikts Kopfschütteln, sich einiger,
maßen Kredit verschaffen. Daß Prinz Ottokar zweimal vergebens um Fräu¬
lein von Mockritz angehalten, und daß die Fürstinmutter selbst sich umsonst im
Interesse ihres Neffen bemüht habe, war eine weitere Phantasmagorie Frau
Annas, aber sie konnte nichts dafür, sie meinte wirklich nur Thatsachen zu er¬
zählen. Die nahe Aussicht auf Verwirklichung ihres liebsten Wunsches war ihr
wie junger Wein zu Kopf gestiegen.

Zuletzt mußte Kaspar Benedikt seine Frau darauf aufmerksam machen, daß
Berthold ja gerade um solcher dem Fräulein gewordenen Auszeichnungen willen
nur noch mehr bezweifeln werde, daß er um sie werben dürfe.

So? rief Frau Anna, dann muß ich wortbrüchig werden, d. h. versprochen
habe ichs Hermine nicht, aber geheim halten wollte ichs dennoch. Lieber Sohn,
hast du auf der Rückseite deiner Photographie den mit Bleistift überkritzelten
Vers bemerkt? den hatte sie darauf geschrieben. Er fällt mir schon noch wieder
ein. Dann die gesprungene Fensterscheibe auf dem Vorplatz. Ein B und em H
sind mit Diamant darauf eingeritzt gewesen. Ich weiß von wem. Dann im
Garten unterhalb der Feigenmauer die drei Zierkürbisse. Sieh nur nach, was
mit der Brustnadel eines gewissen Fräuleins darauf zusammengeschnirtelt worden
ist. O. ich weiß, wie es junge Mädchen treiben, wenn ihr Herz zum Zerspringen
voll ist! Reden dürfen wir armen Dinger ja nicht.

Daß du nicht reden darfst, ist mir neu, versetzte der Fabrikant im Tone
seines trockensten Humors.

Frau Anna tappte ihm strafend auf die Schulter.


Auf der Leiter des Glücks.

oder soll unser Sohn sie heiraten? Man heizt einen neuen Ofen doch nicht
mit einem ganzen Fuder Kohlen an,

Liebe Eltern, sagte Berthold, ihr vergeht, fürchte ich. daß ich weder ein
Adonis noch sonst etwas bin. Wie kann ich so hoch hinauswollen? Damit
will ich mich nicht etwa zu tief gebückt haben. Ich mache mir aus unsern
europäischen Standesgliederungen herzlich wenig. Vater Hartig mit seiner vierzig¬
jährigen unermüdlichen Thätigkeit und seiner redlichen Sorge für Hunderte und
aber Hunderte von Arbeiterfamilien steht mir höher als der reichstbesternte Titel¬
matador, und Mama Hartigs Küchenschürze ist mir lieber als die längste Atlas¬
und Spitzenbalyeuse einer Prinzessin. Aber wie käme ich dazu, um ein Fräulein
„von" zu freien? Nein, so hoch möchte ich nicht hinaus. Im übrigen wüßte
ich nicht, wie man hübscher und netter und umgänglicher und was weiß ich
sein könnte, als Fräulein Hermine.

Hier fiel Frau Anna ihrem Sohne um den Hals.

Sachte, sachte, suchte Kaspar Benedikt einem neuen Ausbruche vorzubeugen,
aber Frau Annas freudige Erregung mußte über die Lippen. Was sie alles
über die zwei bürgerlichen Schwäger Herminens hervorholte, grenzte ans Un¬
glaubliche und konnte nur dadurch, daß Frau Anna soviel mit Fräulein von
Mockritz zusammengesteckt hatte, trotz Kaspar Benedikts Kopfschütteln, sich einiger,
maßen Kredit verschaffen. Daß Prinz Ottokar zweimal vergebens um Fräu¬
lein von Mockritz angehalten, und daß die Fürstinmutter selbst sich umsonst im
Interesse ihres Neffen bemüht habe, war eine weitere Phantasmagorie Frau
Annas, aber sie konnte nichts dafür, sie meinte wirklich nur Thatsachen zu er¬
zählen. Die nahe Aussicht auf Verwirklichung ihres liebsten Wunsches war ihr
wie junger Wein zu Kopf gestiegen.

Zuletzt mußte Kaspar Benedikt seine Frau darauf aufmerksam machen, daß
Berthold ja gerade um solcher dem Fräulein gewordenen Auszeichnungen willen
nur noch mehr bezweifeln werde, daß er um sie werben dürfe.

So? rief Frau Anna, dann muß ich wortbrüchig werden, d. h. versprochen
habe ichs Hermine nicht, aber geheim halten wollte ichs dennoch. Lieber Sohn,
hast du auf der Rückseite deiner Photographie den mit Bleistift überkritzelten
Vers bemerkt? den hatte sie darauf geschrieben. Er fällt mir schon noch wieder
ein. Dann die gesprungene Fensterscheibe auf dem Vorplatz. Ein B und em H
sind mit Diamant darauf eingeritzt gewesen. Ich weiß von wem. Dann im
Garten unterhalb der Feigenmauer die drei Zierkürbisse. Sieh nur nach, was
mit der Brustnadel eines gewissen Fräuleins darauf zusammengeschnirtelt worden
ist. O. ich weiß, wie es junge Mädchen treiben, wenn ihr Herz zum Zerspringen
voll ist! Reden dürfen wir armen Dinger ja nicht.

Daß du nicht reden darfst, ist mir neu, versetzte der Fabrikant im Tone
seines trockensten Humors.

Frau Anna tappte ihm strafend auf die Schulter.


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[0273] Auf der Leiter des Glücks. oder soll unser Sohn sie heiraten? Man heizt einen neuen Ofen doch nicht mit einem ganzen Fuder Kohlen an, Liebe Eltern, sagte Berthold, ihr vergeht, fürchte ich. daß ich weder ein Adonis noch sonst etwas bin. Wie kann ich so hoch hinauswollen? Damit will ich mich nicht etwa zu tief gebückt haben. Ich mache mir aus unsern europäischen Standesgliederungen herzlich wenig. Vater Hartig mit seiner vierzig¬ jährigen unermüdlichen Thätigkeit und seiner redlichen Sorge für Hunderte und aber Hunderte von Arbeiterfamilien steht mir höher als der reichstbesternte Titel¬ matador, und Mama Hartigs Küchenschürze ist mir lieber als die längste Atlas¬ und Spitzenbalyeuse einer Prinzessin. Aber wie käme ich dazu, um ein Fräulein „von" zu freien? Nein, so hoch möchte ich nicht hinaus. Im übrigen wüßte ich nicht, wie man hübscher und netter und umgänglicher und was weiß ich sein könnte, als Fräulein Hermine. Hier fiel Frau Anna ihrem Sohne um den Hals. Sachte, sachte, suchte Kaspar Benedikt einem neuen Ausbruche vorzubeugen, aber Frau Annas freudige Erregung mußte über die Lippen. Was sie alles über die zwei bürgerlichen Schwäger Herminens hervorholte, grenzte ans Un¬ glaubliche und konnte nur dadurch, daß Frau Anna soviel mit Fräulein von Mockritz zusammengesteckt hatte, trotz Kaspar Benedikts Kopfschütteln, sich einiger, maßen Kredit verschaffen. Daß Prinz Ottokar zweimal vergebens um Fräu¬ lein von Mockritz angehalten, und daß die Fürstinmutter selbst sich umsonst im Interesse ihres Neffen bemüht habe, war eine weitere Phantasmagorie Frau Annas, aber sie konnte nichts dafür, sie meinte wirklich nur Thatsachen zu er¬ zählen. Die nahe Aussicht auf Verwirklichung ihres liebsten Wunsches war ihr wie junger Wein zu Kopf gestiegen. Zuletzt mußte Kaspar Benedikt seine Frau darauf aufmerksam machen, daß Berthold ja gerade um solcher dem Fräulein gewordenen Auszeichnungen willen nur noch mehr bezweifeln werde, daß er um sie werben dürfe. So? rief Frau Anna, dann muß ich wortbrüchig werden, d. h. versprochen habe ichs Hermine nicht, aber geheim halten wollte ichs dennoch. Lieber Sohn, hast du auf der Rückseite deiner Photographie den mit Bleistift überkritzelten Vers bemerkt? den hatte sie darauf geschrieben. Er fällt mir schon noch wieder ein. Dann die gesprungene Fensterscheibe auf dem Vorplatz. Ein B und em H sind mit Diamant darauf eingeritzt gewesen. Ich weiß von wem. Dann im Garten unterhalb der Feigenmauer die drei Zierkürbisse. Sieh nur nach, was mit der Brustnadel eines gewissen Fräuleins darauf zusammengeschnirtelt worden ist. O. ich weiß, wie es junge Mädchen treiben, wenn ihr Herz zum Zerspringen voll ist! Reden dürfen wir armen Dinger ja nicht. Daß du nicht reden darfst, ist mir neu, versetzte der Fabrikant im Tone seines trockensten Humors. Frau Anna tappte ihm strafend auf die Schulter.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/273>, abgerufen am 03.07.2024.