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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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La Vorläufer kassalles.

geschieht, um eine Beschränkung der persönlichen Freiheit, nämlich das Verbot
des Verschenkens, Verspielens und Vererbens, besser durchführen zu können.
Damit ist aber wieder eine arge Beschränkung des rechtmäßig Erworbenen, des
Arbeitseigcntums ausgesprochen. Ans welchem Prinzip heraus soll sie ge¬
rechtfertigt werden? Etwa aus dem des größten Glückes der größten Zahl?
Das einzig mögliche Moment, auf das sich Weitling hierbei stützen könnte,
wäre die Erwägung, daß bei Freiheit der Vererbung die Gleichheit der Ein¬
kommen der Einzelnen gestört würde, was die Abhängigkeit der Ärmeren von
den Reicheren zur Folge haben könnte. Aber wer sieht nicht, daß die Un¬
gleichheit in den Einkommen keine zu große im Sozialstaate sei" kann, da die
"Produktive" Verwendung des Vermögens der Bürger infolge des staatlichen
Besitzes der Produktivmittel ausgeschlossen ist? Und kann jemand leicht andre
von sich in Abhängigkeit bringen, wenn diese allein beim Staate oder bei der
Assoziativ" Arbeit finden können? Und welche niedrige Meinung verrät jene
kommunistische Ansicht von den Menschen im Svzialstaate, die -- nach der Über¬
zeugung der Kommunisten -- eine so gute Erziehung erhalten haben und mit
ihrer Hände Arbeit sich jederzeit ein behäbiges Auskommen verschaffen können?
Und ist es kein Widerspruch, wenn die Kommunisten glauben, daß der Mensch
in ihrem Idealstaate ein Wesen voll männlicher Charakterfestigkeit sei und doch
zugleich dem allerleisesten Verführnugsversuch zum Opfer salle? Oder wollen
sie die Aufhebung des Erbrechts aus irgend einem extremen Gleichheitsprinzip
rechtfertigen? Dann sage ich: Ihr habt zwar die Konsequenz ans eurer Seite,
aber ihr erstickt das Menschengeschlecht mit eurer Gleichheit! Und woher
leitet ihr denn euer Gleichheitsprinzip ab? Aus welche Thatsachen stützt ihr
es? Etwa darauf, daß die Menschen mit ungleichen Kräften und Fähigkeiten
geboren sind? Ihr sagt, es habe für euch das Prinzip der Gleichheit dogma¬
tische Bedeutung. Mit demselben Rechte könnt ihr die Luft oder das Feuer
oder das Wasser als alles beherrschendes Prinzip auffassen!

Aus demselben Gleichheitsprinzip werden bei Weitling alle Kommerzbücher
"ach Verlauf eines Jahres für ungiltig erklärt, und damit werden die alsdann
noch vorrätigen Anweisungen auf "angenehme" Genüsse nngiltig. Weitling
hat diese Maßregel vorgeschlagen, obwohl er einsieht, daß infolge dessen die
letzte Woche vor Ablauf des Jahres eine "reine Karnevalswoche" sein würde,
w der alles dem Genuß nachjagen würde.

Und wieviel unschuldige Genüsse würden durch jene Maßregel zur Un¬
möglichkeit gemacht werden! Nehmen wir an, ich wollte eine Erholungsreise
machen. In einem Jahre kann ich mir die dazu erforderlichen "Anweisungen"
schwerlich erarbeiten, ohne so ziemlich auf alle andern Genüsse verzichten zu
müssen. Mehrere Jahre darf ich wieder nicht zur Sammlung von An¬
weisungen verwenden. Also unterbleiben alle größeren Reisen. Aber das ist
unserm Weitling sehr gleichgiltig. Das Prinzip der Gleichheit ist doch gerettet!


La Vorläufer kassalles.

geschieht, um eine Beschränkung der persönlichen Freiheit, nämlich das Verbot
des Verschenkens, Verspielens und Vererbens, besser durchführen zu können.
Damit ist aber wieder eine arge Beschränkung des rechtmäßig Erworbenen, des
Arbeitseigcntums ausgesprochen. Ans welchem Prinzip heraus soll sie ge¬
rechtfertigt werden? Etwa aus dem des größten Glückes der größten Zahl?
Das einzig mögliche Moment, auf das sich Weitling hierbei stützen könnte,
wäre die Erwägung, daß bei Freiheit der Vererbung die Gleichheit der Ein¬
kommen der Einzelnen gestört würde, was die Abhängigkeit der Ärmeren von
den Reicheren zur Folge haben könnte. Aber wer sieht nicht, daß die Un¬
gleichheit in den Einkommen keine zu große im Sozialstaate sei« kann, da die
„Produktive" Verwendung des Vermögens der Bürger infolge des staatlichen
Besitzes der Produktivmittel ausgeschlossen ist? Und kann jemand leicht andre
von sich in Abhängigkeit bringen, wenn diese allein beim Staate oder bei der
Assoziativ» Arbeit finden können? Und welche niedrige Meinung verrät jene
kommunistische Ansicht von den Menschen im Svzialstaate, die — nach der Über¬
zeugung der Kommunisten — eine so gute Erziehung erhalten haben und mit
ihrer Hände Arbeit sich jederzeit ein behäbiges Auskommen verschaffen können?
Und ist es kein Widerspruch, wenn die Kommunisten glauben, daß der Mensch
in ihrem Idealstaate ein Wesen voll männlicher Charakterfestigkeit sei und doch
zugleich dem allerleisesten Verführnugsversuch zum Opfer salle? Oder wollen
sie die Aufhebung des Erbrechts aus irgend einem extremen Gleichheitsprinzip
rechtfertigen? Dann sage ich: Ihr habt zwar die Konsequenz ans eurer Seite,
aber ihr erstickt das Menschengeschlecht mit eurer Gleichheit! Und woher
leitet ihr denn euer Gleichheitsprinzip ab? Aus welche Thatsachen stützt ihr
es? Etwa darauf, daß die Menschen mit ungleichen Kräften und Fähigkeiten
geboren sind? Ihr sagt, es habe für euch das Prinzip der Gleichheit dogma¬
tische Bedeutung. Mit demselben Rechte könnt ihr die Luft oder das Feuer
oder das Wasser als alles beherrschendes Prinzip auffassen!

Aus demselben Gleichheitsprinzip werden bei Weitling alle Kommerzbücher
»ach Verlauf eines Jahres für ungiltig erklärt, und damit werden die alsdann
noch vorrätigen Anweisungen auf „angenehme" Genüsse nngiltig. Weitling
hat diese Maßregel vorgeschlagen, obwohl er einsieht, daß infolge dessen die
letzte Woche vor Ablauf des Jahres eine „reine Karnevalswoche" sein würde,
w der alles dem Genuß nachjagen würde.

Und wieviel unschuldige Genüsse würden durch jene Maßregel zur Un¬
möglichkeit gemacht werden! Nehmen wir an, ich wollte eine Erholungsreise
machen. In einem Jahre kann ich mir die dazu erforderlichen „Anweisungen"
schwerlich erarbeiten, ohne so ziemlich auf alle andern Genüsse verzichten zu
müssen. Mehrere Jahre darf ich wieder nicht zur Sammlung von An¬
weisungen verwenden. Also unterbleiben alle größeren Reisen. Aber das ist
unserm Weitling sehr gleichgiltig. Das Prinzip der Gleichheit ist doch gerettet!


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[0263] La Vorläufer kassalles. geschieht, um eine Beschränkung der persönlichen Freiheit, nämlich das Verbot des Verschenkens, Verspielens und Vererbens, besser durchführen zu können. Damit ist aber wieder eine arge Beschränkung des rechtmäßig Erworbenen, des Arbeitseigcntums ausgesprochen. Ans welchem Prinzip heraus soll sie ge¬ rechtfertigt werden? Etwa aus dem des größten Glückes der größten Zahl? Das einzig mögliche Moment, auf das sich Weitling hierbei stützen könnte, wäre die Erwägung, daß bei Freiheit der Vererbung die Gleichheit der Ein¬ kommen der Einzelnen gestört würde, was die Abhängigkeit der Ärmeren von den Reicheren zur Folge haben könnte. Aber wer sieht nicht, daß die Un¬ gleichheit in den Einkommen keine zu große im Sozialstaate sei« kann, da die „Produktive" Verwendung des Vermögens der Bürger infolge des staatlichen Besitzes der Produktivmittel ausgeschlossen ist? Und kann jemand leicht andre von sich in Abhängigkeit bringen, wenn diese allein beim Staate oder bei der Assoziativ» Arbeit finden können? Und welche niedrige Meinung verrät jene kommunistische Ansicht von den Menschen im Svzialstaate, die — nach der Über¬ zeugung der Kommunisten — eine so gute Erziehung erhalten haben und mit ihrer Hände Arbeit sich jederzeit ein behäbiges Auskommen verschaffen können? Und ist es kein Widerspruch, wenn die Kommunisten glauben, daß der Mensch in ihrem Idealstaate ein Wesen voll männlicher Charakterfestigkeit sei und doch zugleich dem allerleisesten Verführnugsversuch zum Opfer salle? Oder wollen sie die Aufhebung des Erbrechts aus irgend einem extremen Gleichheitsprinzip rechtfertigen? Dann sage ich: Ihr habt zwar die Konsequenz ans eurer Seite, aber ihr erstickt das Menschengeschlecht mit eurer Gleichheit! Und woher leitet ihr denn euer Gleichheitsprinzip ab? Aus welche Thatsachen stützt ihr es? Etwa darauf, daß die Menschen mit ungleichen Kräften und Fähigkeiten geboren sind? Ihr sagt, es habe für euch das Prinzip der Gleichheit dogma¬ tische Bedeutung. Mit demselben Rechte könnt ihr die Luft oder das Feuer oder das Wasser als alles beherrschendes Prinzip auffassen! Aus demselben Gleichheitsprinzip werden bei Weitling alle Kommerzbücher »ach Verlauf eines Jahres für ungiltig erklärt, und damit werden die alsdann noch vorrätigen Anweisungen auf „angenehme" Genüsse nngiltig. Weitling hat diese Maßregel vorgeschlagen, obwohl er einsieht, daß infolge dessen die letzte Woche vor Ablauf des Jahres eine „reine Karnevalswoche" sein würde, w der alles dem Genuß nachjagen würde. Und wieviel unschuldige Genüsse würden durch jene Maßregel zur Un¬ möglichkeit gemacht werden! Nehmen wir an, ich wollte eine Erholungsreise machen. In einem Jahre kann ich mir die dazu erforderlichen „Anweisungen" schwerlich erarbeiten, ohne so ziemlich auf alle andern Genüsse verzichten zu müssen. Mehrere Jahre darf ich wieder nicht zur Sammlung von An¬ weisungen verwenden. Also unterbleiben alle größeren Reisen. Aber das ist unserm Weitling sehr gleichgiltig. Das Prinzip der Gleichheit ist doch gerettet!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/263>, abgerufen am 23.07.2024.