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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Ein Vorläufer kassalles.

verdient gemacht hat -- die Beamtenstellen unter die Intelligentesten verteilen.
Ein persönliches Interesse glaubt Weitling bei ihm nicht annehmen zu dürfen,
da er sein ganzes Vermögen vor Annahme der Diktatorwürdc der Gesamtheit
übergeben haben muß. Indes -- so kann man unserm sozialistischen Apostel
einwenden -- giebt es nicht Leute, die zwar nicht den Einflüssen des Geldes,
recht wohl aber andern, z. B. denen schöner Augen, zugänglich sind? Giebt es
nicht Ehrgeizige, deren hauptsächliches Bestreben bei der Auswahl des Ver¬
waltungspersonals darauf hinauslaufen würde, ihre Macht über die Geschicke
des Volkes möglichst lange zu behalten? Aber es ist garnicht nötig, an die
bösen Dämonen des menschlichen Herzens zu erinnern. Giebt es nicht Fanatiker
der Partei, welche nur auf die Zugehörigkeit zu dieser achten würden? Giebt
es überhaupt auch nur einen Menschen, der in jeder einzelnen von sovielen
Wissenschaften kompetent genug wäre, um die Fähigsten einigermaßen richtig
auszuwählen? Und doch soll ein Einziger diese Wahl treffen, einer, der nicht
einmal ein Mann der Wissenschaft zu sein braucht, da von ihm nur feststeht,
daß er ein Mann der That ist. Da auf diese Weise keine Garantie gegeben
ist, daß das erste Verwaltungspersonal den gestellten Anforderungen entspricht,
so hat dies natürlich für die Neubesetzung von Ämtern seine schlimmen Folgen.
Denn nun sind sie Richter über die Fähigkeiten andrer Leute, die zum Teil
jedenfalls dazu unfähig sind. Auch ist bei der Prüfung nicht jedes Interesse
getrennt, wie Weitling meint. Denn, wie gesagt, es giebt außer Bestechung
durch Geld auch andre Mittel und Wege, das Urteil zu trüben. Aber woher
weiß denn der Prüfende, wer der Verfasser der eingegangenen Arbeiten sei,
könnte man einwenden. Es ist aber doch nicht zu schwer, jemandem zuzuraunen,
wer der Urheber der Arbeit mit dem und dem Motto sei. Wir wollen damit
durchaus nicht leugnen, daß der hier vorgeschlagene Modus der Prüfung der
Fähigkeiten gar manche Vorzüge vor demjenigen habe, bei dem der Name jedes
Kandidaten immer im voraus bekannt ist. Aber wir bestreiten. daß jene Art
der Wahl die Reinheit derselben sicher verbürge, wir bestreiten, daß eine voll¬
ständige Ausscheidung des persönlichen Interesses stattfinde, wie wir überhaupt
glauben, daß dieselbe in ihrem vollen Umfange unter jedem System unmöglich sei.

Weitling hat seine Sache noch dadurch verschlimmert, daß er die Amts¬
dauer der Gewählten nicht bestimmt hat, sondern ihnen gestattet, solange im
Amte zu bleiben, bis sie Leute gefunden, die fähiger sind als sie. Abgesehen
davon, daß das hiermit in der Abdankung liegende Geständnis vielen Leuten
recht schwer fallen dürfte, soll also das Verwaltungspersonal sich selbst der
Stellen entsetzen, die ihm Vorzüge vor andern Arbeitern sichern! Das heißt
den Selbstmord verlangen. Jene Bestimmung Weitlings würde nur zur
schlimmsten Kliquenregierung führen. Wer einmal in jenem Amte ist, würde
lebenslänglich darin bleiben und seinen Anverwandten, Freunden und Partei¬
genossen ebenfalls den Eintritt in dasselbe zu ermöglichen suchen. Wir bekämen


Ein Vorläufer kassalles.

verdient gemacht hat — die Beamtenstellen unter die Intelligentesten verteilen.
Ein persönliches Interesse glaubt Weitling bei ihm nicht annehmen zu dürfen,
da er sein ganzes Vermögen vor Annahme der Diktatorwürdc der Gesamtheit
übergeben haben muß. Indes — so kann man unserm sozialistischen Apostel
einwenden — giebt es nicht Leute, die zwar nicht den Einflüssen des Geldes,
recht wohl aber andern, z. B. denen schöner Augen, zugänglich sind? Giebt es
nicht Ehrgeizige, deren hauptsächliches Bestreben bei der Auswahl des Ver¬
waltungspersonals darauf hinauslaufen würde, ihre Macht über die Geschicke
des Volkes möglichst lange zu behalten? Aber es ist garnicht nötig, an die
bösen Dämonen des menschlichen Herzens zu erinnern. Giebt es nicht Fanatiker
der Partei, welche nur auf die Zugehörigkeit zu dieser achten würden? Giebt
es überhaupt auch nur einen Menschen, der in jeder einzelnen von sovielen
Wissenschaften kompetent genug wäre, um die Fähigsten einigermaßen richtig
auszuwählen? Und doch soll ein Einziger diese Wahl treffen, einer, der nicht
einmal ein Mann der Wissenschaft zu sein braucht, da von ihm nur feststeht,
daß er ein Mann der That ist. Da auf diese Weise keine Garantie gegeben
ist, daß das erste Verwaltungspersonal den gestellten Anforderungen entspricht,
so hat dies natürlich für die Neubesetzung von Ämtern seine schlimmen Folgen.
Denn nun sind sie Richter über die Fähigkeiten andrer Leute, die zum Teil
jedenfalls dazu unfähig sind. Auch ist bei der Prüfung nicht jedes Interesse
getrennt, wie Weitling meint. Denn, wie gesagt, es giebt außer Bestechung
durch Geld auch andre Mittel und Wege, das Urteil zu trüben. Aber woher
weiß denn der Prüfende, wer der Verfasser der eingegangenen Arbeiten sei,
könnte man einwenden. Es ist aber doch nicht zu schwer, jemandem zuzuraunen,
wer der Urheber der Arbeit mit dem und dem Motto sei. Wir wollen damit
durchaus nicht leugnen, daß der hier vorgeschlagene Modus der Prüfung der
Fähigkeiten gar manche Vorzüge vor demjenigen habe, bei dem der Name jedes
Kandidaten immer im voraus bekannt ist. Aber wir bestreiten. daß jene Art
der Wahl die Reinheit derselben sicher verbürge, wir bestreiten, daß eine voll¬
ständige Ausscheidung des persönlichen Interesses stattfinde, wie wir überhaupt
glauben, daß dieselbe in ihrem vollen Umfange unter jedem System unmöglich sei.

Weitling hat seine Sache noch dadurch verschlimmert, daß er die Amts¬
dauer der Gewählten nicht bestimmt hat, sondern ihnen gestattet, solange im
Amte zu bleiben, bis sie Leute gefunden, die fähiger sind als sie. Abgesehen
davon, daß das hiermit in der Abdankung liegende Geständnis vielen Leuten
recht schwer fallen dürfte, soll also das Verwaltungspersonal sich selbst der
Stellen entsetzen, die ihm Vorzüge vor andern Arbeitern sichern! Das heißt
den Selbstmord verlangen. Jene Bestimmung Weitlings würde nur zur
schlimmsten Kliquenregierung führen. Wer einmal in jenem Amte ist, würde
lebenslänglich darin bleiben und seinen Anverwandten, Freunden und Partei¬
genossen ebenfalls den Eintritt in dasselbe zu ermöglichen suchen. Wir bekämen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/261>, abgerufen am 23.07.2024.