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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Lin Vorläufer Lassalles.

sehen, sondern auch die "Seelen-" und "Begierde"-Kranken, sowie jeder, welcher
die zum Wohle aller festgesetzten Regeln zu umgehen sucht und dadurch die
Harmonie des Ganzen stört.

Man sieht, Weitling hält, was er uns versprochen. Er giebt wirklich die
Garantien der Harmonie und der Freiheit, wie er dieselben aufgefaßt hat, d. h. so,
daß jeder sich dieselben Genüsse verschaffen kann wie der andre. Es darf uns
nur nicht am guten Willen fehlen. Eher schon an Verstand! Wir arbeiten nur
darauf los und bekommen dann alle in der Mehrzahl der Produkte die gleichen
Rationen zugeteilt. In den übrigen Artikeln haben wir die freie Wahl je nach
der Zeit, die wir uns in den Arbeitsräumen aufgehalten haben, ohne daß es
auf das Arbeitswerk irgendwie ankäme. Zwar verdrießt es uns, daß die Genies
und Erfinder eine kleine Extravergütung erhalten; indes, weil dies die einzige
Ausnahme von dem Prinzip der absoluten Gleichheit aller ist, mag es noch so
hingehen. Doch -- g,noto <zMsrs.ro.u8 öhrig, luäo! Wir haben im vorher¬
gehenden schon den wundesten Punkt der Wcitlingschen Harmonie aufgedeckt, der
für sich allein genügen würde, dieselbe in eine häßliche Dissonanz ausklingen zu
lassen. Die nach "Sonnenzeit" vollbrachte Arbeit genügt, um eine anständige
Portion Lebensmittel jeder Art zu erhalten. Die "ach Sonnenzeit vollbrachte
Arbeit genügt auch zum Anteil an den Lnxnsprodukten. Ich behaupte aber:
Wenn ihr nach Sonnenzeit meßt, so habt ihr garnichts zu verteilen. Denn euer
System ist eine Prämie auf die Faulheit. Wenn es garnicht darauf ankommt,
wieviel ich innerhalb einer Zeit arbeite, so werde ich möglichst wenig darin leisten.
Eure Gemeinschaft ist nur die Ausbeutung des Fleißigen durch den Faulen,
l'kxvIoitÄticm an kort M- 1k ksMö, wie der geistreiche Proudho" gesagt hat.
Aber der Fleißige wird sich nicht ausbeuten lassen, denn ihr habt ja kein Zwangs¬
mittel, und so wird auch er nichts thun. Also das Ende vom Liede wäre ein
gewaltiger Rückgang der Produktion.

Das ist aber nicht das Einzige, was an Weitlings System auszu¬
setzen ist. In der Verwaltung ist unser Kommunist bestrebt, das persönliche
Interesse ganz bei der Besetzung der Stellen auszuschließen, damit nur die
Fähigkeit, die Wissenschaft regiere. Wir vermögen nicht anzuerkennen, daß ihm
dies gelungen sei, obwohl seine Gedanken hierüber nicht ohne Geist und Scharf¬
sinn sind und möglicherweise etwas Brauchbares sür die Konstruktion des Sozial¬
staates ergeben.

Die Aufnahme in die Verwaltung soll durch Lösung von Preisaufgaben
erfolgen, wodurch der Name des Verfassers erst nach der Prüfung seiner Fähigkeiten
bekannt wird. Das Preisrichterkollegium soll aus dem bisherigen Verwaltnngs-
personal bestehen, welches seinerseits selbst einen derartigen Fähigkeitsnachweis
erbracht haben muß. Wer aber soll das erstemal Richter sein? Weitling
gestattet, da es doch nicht anders geht, eine Ausnahme. Hier soll der Diktator
-- derjenige, welcher sich am meisten um die Einführung des Sozialstaates


Lin Vorläufer Lassalles.

sehen, sondern auch die „Seelen-" und „Begierde"-Kranken, sowie jeder, welcher
die zum Wohle aller festgesetzten Regeln zu umgehen sucht und dadurch die
Harmonie des Ganzen stört.

Man sieht, Weitling hält, was er uns versprochen. Er giebt wirklich die
Garantien der Harmonie und der Freiheit, wie er dieselben aufgefaßt hat, d. h. so,
daß jeder sich dieselben Genüsse verschaffen kann wie der andre. Es darf uns
nur nicht am guten Willen fehlen. Eher schon an Verstand! Wir arbeiten nur
darauf los und bekommen dann alle in der Mehrzahl der Produkte die gleichen
Rationen zugeteilt. In den übrigen Artikeln haben wir die freie Wahl je nach
der Zeit, die wir uns in den Arbeitsräumen aufgehalten haben, ohne daß es
auf das Arbeitswerk irgendwie ankäme. Zwar verdrießt es uns, daß die Genies
und Erfinder eine kleine Extravergütung erhalten; indes, weil dies die einzige
Ausnahme von dem Prinzip der absoluten Gleichheit aller ist, mag es noch so
hingehen. Doch — g,noto <zMsrs.ro.u8 öhrig, luäo! Wir haben im vorher¬
gehenden schon den wundesten Punkt der Wcitlingschen Harmonie aufgedeckt, der
für sich allein genügen würde, dieselbe in eine häßliche Dissonanz ausklingen zu
lassen. Die nach „Sonnenzeit" vollbrachte Arbeit genügt, um eine anständige
Portion Lebensmittel jeder Art zu erhalten. Die »ach Sonnenzeit vollbrachte
Arbeit genügt auch zum Anteil an den Lnxnsprodukten. Ich behaupte aber:
Wenn ihr nach Sonnenzeit meßt, so habt ihr garnichts zu verteilen. Denn euer
System ist eine Prämie auf die Faulheit. Wenn es garnicht darauf ankommt,
wieviel ich innerhalb einer Zeit arbeite, so werde ich möglichst wenig darin leisten.
Eure Gemeinschaft ist nur die Ausbeutung des Fleißigen durch den Faulen,
l'kxvIoitÄticm an kort M- 1k ksMö, wie der geistreiche Proudho» gesagt hat.
Aber der Fleißige wird sich nicht ausbeuten lassen, denn ihr habt ja kein Zwangs¬
mittel, und so wird auch er nichts thun. Also das Ende vom Liede wäre ein
gewaltiger Rückgang der Produktion.

Das ist aber nicht das Einzige, was an Weitlings System auszu¬
setzen ist. In der Verwaltung ist unser Kommunist bestrebt, das persönliche
Interesse ganz bei der Besetzung der Stellen auszuschließen, damit nur die
Fähigkeit, die Wissenschaft regiere. Wir vermögen nicht anzuerkennen, daß ihm
dies gelungen sei, obwohl seine Gedanken hierüber nicht ohne Geist und Scharf¬
sinn sind und möglicherweise etwas Brauchbares sür die Konstruktion des Sozial¬
staates ergeben.

Die Aufnahme in die Verwaltung soll durch Lösung von Preisaufgaben
erfolgen, wodurch der Name des Verfassers erst nach der Prüfung seiner Fähigkeiten
bekannt wird. Das Preisrichterkollegium soll aus dem bisherigen Verwaltnngs-
personal bestehen, welches seinerseits selbst einen derartigen Fähigkeitsnachweis
erbracht haben muß. Wer aber soll das erstemal Richter sein? Weitling
gestattet, da es doch nicht anders geht, eine Ausnahme. Hier soll der Diktator
— derjenige, welcher sich am meisten um die Einführung des Sozialstaates


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[0260] Lin Vorläufer Lassalles. sehen, sondern auch die „Seelen-" und „Begierde"-Kranken, sowie jeder, welcher die zum Wohle aller festgesetzten Regeln zu umgehen sucht und dadurch die Harmonie des Ganzen stört. Man sieht, Weitling hält, was er uns versprochen. Er giebt wirklich die Garantien der Harmonie und der Freiheit, wie er dieselben aufgefaßt hat, d. h. so, daß jeder sich dieselben Genüsse verschaffen kann wie der andre. Es darf uns nur nicht am guten Willen fehlen. Eher schon an Verstand! Wir arbeiten nur darauf los und bekommen dann alle in der Mehrzahl der Produkte die gleichen Rationen zugeteilt. In den übrigen Artikeln haben wir die freie Wahl je nach der Zeit, die wir uns in den Arbeitsräumen aufgehalten haben, ohne daß es auf das Arbeitswerk irgendwie ankäme. Zwar verdrießt es uns, daß die Genies und Erfinder eine kleine Extravergütung erhalten; indes, weil dies die einzige Ausnahme von dem Prinzip der absoluten Gleichheit aller ist, mag es noch so hingehen. Doch — g,noto <zMsrs.ro.u8 öhrig, luäo! Wir haben im vorher¬ gehenden schon den wundesten Punkt der Wcitlingschen Harmonie aufgedeckt, der für sich allein genügen würde, dieselbe in eine häßliche Dissonanz ausklingen zu lassen. Die nach „Sonnenzeit" vollbrachte Arbeit genügt, um eine anständige Portion Lebensmittel jeder Art zu erhalten. Die »ach Sonnenzeit vollbrachte Arbeit genügt auch zum Anteil an den Lnxnsprodukten. Ich behaupte aber: Wenn ihr nach Sonnenzeit meßt, so habt ihr garnichts zu verteilen. Denn euer System ist eine Prämie auf die Faulheit. Wenn es garnicht darauf ankommt, wieviel ich innerhalb einer Zeit arbeite, so werde ich möglichst wenig darin leisten. Eure Gemeinschaft ist nur die Ausbeutung des Fleißigen durch den Faulen, l'kxvIoitÄticm an kort M- 1k ksMö, wie der geistreiche Proudho» gesagt hat. Aber der Fleißige wird sich nicht ausbeuten lassen, denn ihr habt ja kein Zwangs¬ mittel, und so wird auch er nichts thun. Also das Ende vom Liede wäre ein gewaltiger Rückgang der Produktion. Das ist aber nicht das Einzige, was an Weitlings System auszu¬ setzen ist. In der Verwaltung ist unser Kommunist bestrebt, das persönliche Interesse ganz bei der Besetzung der Stellen auszuschließen, damit nur die Fähigkeit, die Wissenschaft regiere. Wir vermögen nicht anzuerkennen, daß ihm dies gelungen sei, obwohl seine Gedanken hierüber nicht ohne Geist und Scharf¬ sinn sind und möglicherweise etwas Brauchbares sür die Konstruktion des Sozial¬ staates ergeben. Die Aufnahme in die Verwaltung soll durch Lösung von Preisaufgaben erfolgen, wodurch der Name des Verfassers erst nach der Prüfung seiner Fähigkeiten bekannt wird. Das Preisrichterkollegium soll aus dem bisherigen Verwaltnngs- personal bestehen, welches seinerseits selbst einen derartigen Fähigkeitsnachweis erbracht haben muß. Wer aber soll das erstemal Richter sein? Weitling gestattet, da es doch nicht anders geht, eine Ausnahme. Hier soll der Diktator — derjenige, welcher sich am meisten um die Einführung des Sozialstaates

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/260>, abgerufen am 23.07.2024.