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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

ganz einfach: ein Bett, ein paar Stühle, ein von der Decke herabhängender
Kronleuchter, ein Teppich und der Fußboden mit sauberen Fliesen ausgelegt.
Der einzige Luxusgegenstand ist ein Hohlspiegel, dessen runde Einfassung mit
zehn Bildchen aus der Passion geschmückt ist. Dieser Spiegel reflektirt das
Gemach selbst und eine Thür, durch welche zwei Personen eintreten. Dieses
feine, mau möchte sogar sagen raffinirte Kunststück setzt bereits ein großes
technisches Können, eine lange Übung voraus und ebenso eine ziemlich hohe
Stufe der Kultur. Denn andre Gemälde, die wir sogleich erwähnen werden,
bringe" uns auf die Vermutung, daß man diese Spiegel anwendete, um sich
auf kommenden Besuch vorzubereiten, ähnlich wie noch heute in kleinen Städten
an den Kreuzen der Parterrefenster außerhalb derselben Doppelspicgel angebracht
werden, damit die in der Stube Sitzenden die Vorübergehenden bequem be¬
obachten können.

Das Kunststück mit der Spiegelung, welches Jan van Esel vermutlich
zuerst versuchte -- das erwähnte Bild ist 1434 gemalt --, fand nämlich großen
Beifall, da es noch häufig nachgeahmt wurde. Die nächste Wiederholung des¬
selben finden wir auf einer Tafel im Museo bei Prado in Madrid, welche die
Jahreszahl 1438 trägt und einen knienden Geistlichen und hinter ihm Johannes
den Täufer zeigt. An der Wand des Zimmers hängt der konvexe Spiegel,
und durch das geöffnete Fenster blickt man in eine Landschaft. Man ist geneigt,
dieses Bild dem Petrus Christus, vermutlich einem Schüler Jan van Eycks,
zuzuschreiben, da es große Ähnlichkeit mit einem bezeugten Bilde dieses Meisters
im Besitze des Barons Albert Oppenheim in Köln hat, welches den heiligen
Eligins als Goldschmied darstellt und ebenfalls der Gruppe vou Bilder", die
uns hier aus verschleimen Gründen interessiren, angehört. Es ist im Jahre 1449
gemalt. Der Heilige sitzt in seinem Verkaufsladen an: Tische und ist beschäftigt, das
Gewicht eines goldnen Ringes mit einer kleinen Wage festzustellen. Die Gewichte,
deren er sich bedient, liegen in einer messingnen Kapsel, und zwar hat dieselbe genau
die Form und Einrichtung, welche sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben.
Die Gewichte sind in Gestalt von kleinen sehnlicher so ineinandergefügt, daß
sie, nach oben immer kleiner werdend, die metallene Büchse vollständig füllen.
Neben diesem Gewichtbehälter steht ein runder Spiegel, in welchem ein freier
Platz mit hohen Häusern und zwei vorübergehende Personen zu sehen sind.
Der Heilige wendet sich zu einem reich gekleideten Paare um, welches zu ihm
gekommen ist, um seine Eheringe zu kaufen. Rechts vom Beschauer sind auf
zwei Bordbrettern über einander kunstvolle Arbeiten des Goldschmieds auf¬
gestellt: ein gebuckelter Deckelpokal, zwei hohe Kannen, ein Becher, eine Laterne,
ein Halsgeschmeide, ein Kästchen mit Ringen, ein Korallenzweig und dergleichen
mehr. Wenn der Heilige nicht durch seine Aureole als solcher bezeichnet wäre,
würden wir bereits in dieser verhältnismäßig frühen Zeit ein reines Genrebild
vor uns haben. Jedenfalls ist ein solches Gemälde von hoher Bedeutung für


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

ganz einfach: ein Bett, ein paar Stühle, ein von der Decke herabhängender
Kronleuchter, ein Teppich und der Fußboden mit sauberen Fliesen ausgelegt.
Der einzige Luxusgegenstand ist ein Hohlspiegel, dessen runde Einfassung mit
zehn Bildchen aus der Passion geschmückt ist. Dieser Spiegel reflektirt das
Gemach selbst und eine Thür, durch welche zwei Personen eintreten. Dieses
feine, mau möchte sogar sagen raffinirte Kunststück setzt bereits ein großes
technisches Können, eine lange Übung voraus und ebenso eine ziemlich hohe
Stufe der Kultur. Denn andre Gemälde, die wir sogleich erwähnen werden,
bringe» uns auf die Vermutung, daß man diese Spiegel anwendete, um sich
auf kommenden Besuch vorzubereiten, ähnlich wie noch heute in kleinen Städten
an den Kreuzen der Parterrefenster außerhalb derselben Doppelspicgel angebracht
werden, damit die in der Stube Sitzenden die Vorübergehenden bequem be¬
obachten können.

Das Kunststück mit der Spiegelung, welches Jan van Esel vermutlich
zuerst versuchte — das erwähnte Bild ist 1434 gemalt —, fand nämlich großen
Beifall, da es noch häufig nachgeahmt wurde. Die nächste Wiederholung des¬
selben finden wir auf einer Tafel im Museo bei Prado in Madrid, welche die
Jahreszahl 1438 trägt und einen knienden Geistlichen und hinter ihm Johannes
den Täufer zeigt. An der Wand des Zimmers hängt der konvexe Spiegel,
und durch das geöffnete Fenster blickt man in eine Landschaft. Man ist geneigt,
dieses Bild dem Petrus Christus, vermutlich einem Schüler Jan van Eycks,
zuzuschreiben, da es große Ähnlichkeit mit einem bezeugten Bilde dieses Meisters
im Besitze des Barons Albert Oppenheim in Köln hat, welches den heiligen
Eligins als Goldschmied darstellt und ebenfalls der Gruppe vou Bilder», die
uns hier aus verschleimen Gründen interessiren, angehört. Es ist im Jahre 1449
gemalt. Der Heilige sitzt in seinem Verkaufsladen an: Tische und ist beschäftigt, das
Gewicht eines goldnen Ringes mit einer kleinen Wage festzustellen. Die Gewichte,
deren er sich bedient, liegen in einer messingnen Kapsel, und zwar hat dieselbe genau
die Form und Einrichtung, welche sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben.
Die Gewichte sind in Gestalt von kleinen sehnlicher so ineinandergefügt, daß
sie, nach oben immer kleiner werdend, die metallene Büchse vollständig füllen.
Neben diesem Gewichtbehälter steht ein runder Spiegel, in welchem ein freier
Platz mit hohen Häusern und zwei vorübergehende Personen zu sehen sind.
Der Heilige wendet sich zu einem reich gekleideten Paare um, welches zu ihm
gekommen ist, um seine Eheringe zu kaufen. Rechts vom Beschauer sind auf
zwei Bordbrettern über einander kunstvolle Arbeiten des Goldschmieds auf¬
gestellt: ein gebuckelter Deckelpokal, zwei hohe Kannen, ein Becher, eine Laterne,
ein Halsgeschmeide, ein Kästchen mit Ringen, ein Korallenzweig und dergleichen
mehr. Wenn der Heilige nicht durch seine Aureole als solcher bezeichnet wäre,
würden wir bereits in dieser verhältnismäßig frühen Zeit ein reines Genrebild
vor uns haben. Jedenfalls ist ein solches Gemälde von hoher Bedeutung für


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/250>, abgerufen am 04.07.2024.