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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

den schroffen Fclswcmdungen und dem Flußbette gefunden haben, ist auch Joachim
de Patinir geboren, der erste in den Niederlanden, welcher die Landschaftsmalern
als eine selbständige Kunst betrieb. Maasehck, der Geburtsort der Brüder
van Eyck, liegt viel weiter nördlich als Dinant, am untern Laufe der Maas,
hart an der heutigen Grenze zwischen Belgien und Holland. Aber der Cha¬
rakter der Landschaft bleibt auf der ganzen Strecke ziemlich derselbe: aus dem
saftigen Grün der Wiesen und dem dunkler gefärbten der Gebüsche blicken die
Schieferdächer der mit Zinnen gekrönten Schlösser und Landhäuser hervor, rasch
strömt der Fluß zwischen den grünen, mit Erlen bewachsenen Ufern dahin,
überall ein Bild von heiterm Wechsel zwischen reichem Pflanzenwuchs und ma¬
lerischer Bodengestaltung. So bot wenigstens auf diesem bevorzugten Land¬
striche auch die unbelebte Natur dem Künstler auf Schritt und Tritt darstel-
lnngswürdige Objekte.

Haben schon die von dem religiösen Mittelbilde des Genter Altars räumlich
abgetrennten Züge der Streiter Chisti, der gerechten Richter, der heiligen Ein¬
siedler und Pilger ein genrehaftes Gepräge, so dürfen zwei Tafeln der obern
Reihe, die singenden und die musizirenden Engel, ans ihrem symbolischen Zu¬
sammenhange gelöst, als vollkommene Genrebilder gelten. Denn da ist nichts,
das auf den himmlischen Charakter dieser jugendlichen Wesen deutete. Sie haben
weder Flügel, noch sind sie in die ätherischen, der Antike nachgeahmten Gewänder
gehüllt, welche die Engel auf den Schildereien der gleichzeitigen Italiener tragen.
Diese jungen Sänger und Musiker sind vielmehr in die prächtigen, schweren,
breite Falten werfenden Brokat- und Sammetstoffe gekleidet, die ans den Web¬
stühlen von Gent und Brügge entstanden. Aus diesen Stoffen machte man auch
die Meßgewänder für die vornehme, reiche Geistlichkeit, und deshalb wußte der
Maler den Bewohnern des Himmels kein köstlicheres Kleid anzulegen, als es
die sichtbaren Vertreter und Großsicgelbewcchrer der himmlischen Gnade und
Seligkeit auf Erden trugen. Auf der Tafel neben der Madonna führt ein
Doppelanartett von also gekleideten Engeln vor einem Chorpulte, auf welchem
das aufgeschlagene Ccmzionale liegt, den Lobgesang zu Ehren der heiligen Drei¬
faltigkeit ans, und auf der entsprechende" Tafel der andern Seite ist das himm¬
lische Orchester in Thätigkeit: ein Engel sitzt in einem durch besondre Pracht
ausgezeichneten Gewände auf einem Faltstuhl vor einer Orgel und schlägt die
Tasten, ein Genosse begleitet ihn auf der Viola und ein andrer auf der Harfe.
Alle Geräte und Instrumente, Kleider und Schmucksachen sind mit einer so
peinlichen Sorgfalt der Natur nachgebildet, daß Kunsttischler, Juweliere und
Gewandschneider gleich darnach arbeiten könnten. So zeigt uns also der Genter
Altar in der minutiösen Schilderung der Erzeugnisse des Handwerkes und der
Kunst die Keime, aus welchen sich die niederländische Stilllebenmalerei nach¬
mals zu dem bekannten Glänze entwickelte. Und damit noch nicht genug.
Wenn wir die Außenseite dieses wahrhaft universellen Kunstwerkes betrachten,


Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

den schroffen Fclswcmdungen und dem Flußbette gefunden haben, ist auch Joachim
de Patinir geboren, der erste in den Niederlanden, welcher die Landschaftsmalern
als eine selbständige Kunst betrieb. Maasehck, der Geburtsort der Brüder
van Eyck, liegt viel weiter nördlich als Dinant, am untern Laufe der Maas,
hart an der heutigen Grenze zwischen Belgien und Holland. Aber der Cha¬
rakter der Landschaft bleibt auf der ganzen Strecke ziemlich derselbe: aus dem
saftigen Grün der Wiesen und dem dunkler gefärbten der Gebüsche blicken die
Schieferdächer der mit Zinnen gekrönten Schlösser und Landhäuser hervor, rasch
strömt der Fluß zwischen den grünen, mit Erlen bewachsenen Ufern dahin,
überall ein Bild von heiterm Wechsel zwischen reichem Pflanzenwuchs und ma¬
lerischer Bodengestaltung. So bot wenigstens auf diesem bevorzugten Land¬
striche auch die unbelebte Natur dem Künstler auf Schritt und Tritt darstel-
lnngswürdige Objekte.

Haben schon die von dem religiösen Mittelbilde des Genter Altars räumlich
abgetrennten Züge der Streiter Chisti, der gerechten Richter, der heiligen Ein¬
siedler und Pilger ein genrehaftes Gepräge, so dürfen zwei Tafeln der obern
Reihe, die singenden und die musizirenden Engel, ans ihrem symbolischen Zu¬
sammenhange gelöst, als vollkommene Genrebilder gelten. Denn da ist nichts,
das auf den himmlischen Charakter dieser jugendlichen Wesen deutete. Sie haben
weder Flügel, noch sind sie in die ätherischen, der Antike nachgeahmten Gewänder
gehüllt, welche die Engel auf den Schildereien der gleichzeitigen Italiener tragen.
Diese jungen Sänger und Musiker sind vielmehr in die prächtigen, schweren,
breite Falten werfenden Brokat- und Sammetstoffe gekleidet, die ans den Web¬
stühlen von Gent und Brügge entstanden. Aus diesen Stoffen machte man auch
die Meßgewänder für die vornehme, reiche Geistlichkeit, und deshalb wußte der
Maler den Bewohnern des Himmels kein köstlicheres Kleid anzulegen, als es
die sichtbaren Vertreter und Großsicgelbewcchrer der himmlischen Gnade und
Seligkeit auf Erden trugen. Auf der Tafel neben der Madonna führt ein
Doppelanartett von also gekleideten Engeln vor einem Chorpulte, auf welchem
das aufgeschlagene Ccmzionale liegt, den Lobgesang zu Ehren der heiligen Drei¬
faltigkeit ans, und auf der entsprechende» Tafel der andern Seite ist das himm¬
lische Orchester in Thätigkeit: ein Engel sitzt in einem durch besondre Pracht
ausgezeichneten Gewände auf einem Faltstuhl vor einer Orgel und schlägt die
Tasten, ein Genosse begleitet ihn auf der Viola und ein andrer auf der Harfe.
Alle Geräte und Instrumente, Kleider und Schmucksachen sind mit einer so
peinlichen Sorgfalt der Natur nachgebildet, daß Kunsttischler, Juweliere und
Gewandschneider gleich darnach arbeiten könnten. So zeigt uns also der Genter
Altar in der minutiösen Schilderung der Erzeugnisse des Handwerkes und der
Kunst die Keime, aus welchen sich die niederländische Stilllebenmalerei nach¬
mals zu dem bekannten Glänze entwickelte. Und damit noch nicht genug.
Wenn wir die Außenseite dieses wahrhaft universellen Kunstwerkes betrachten,


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[0248] Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei. den schroffen Fclswcmdungen und dem Flußbette gefunden haben, ist auch Joachim de Patinir geboren, der erste in den Niederlanden, welcher die Landschaftsmalern als eine selbständige Kunst betrieb. Maasehck, der Geburtsort der Brüder van Eyck, liegt viel weiter nördlich als Dinant, am untern Laufe der Maas, hart an der heutigen Grenze zwischen Belgien und Holland. Aber der Cha¬ rakter der Landschaft bleibt auf der ganzen Strecke ziemlich derselbe: aus dem saftigen Grün der Wiesen und dem dunkler gefärbten der Gebüsche blicken die Schieferdächer der mit Zinnen gekrönten Schlösser und Landhäuser hervor, rasch strömt der Fluß zwischen den grünen, mit Erlen bewachsenen Ufern dahin, überall ein Bild von heiterm Wechsel zwischen reichem Pflanzenwuchs und ma¬ lerischer Bodengestaltung. So bot wenigstens auf diesem bevorzugten Land¬ striche auch die unbelebte Natur dem Künstler auf Schritt und Tritt darstel- lnngswürdige Objekte. Haben schon die von dem religiösen Mittelbilde des Genter Altars räumlich abgetrennten Züge der Streiter Chisti, der gerechten Richter, der heiligen Ein¬ siedler und Pilger ein genrehaftes Gepräge, so dürfen zwei Tafeln der obern Reihe, die singenden und die musizirenden Engel, ans ihrem symbolischen Zu¬ sammenhange gelöst, als vollkommene Genrebilder gelten. Denn da ist nichts, das auf den himmlischen Charakter dieser jugendlichen Wesen deutete. Sie haben weder Flügel, noch sind sie in die ätherischen, der Antike nachgeahmten Gewänder gehüllt, welche die Engel auf den Schildereien der gleichzeitigen Italiener tragen. Diese jungen Sänger und Musiker sind vielmehr in die prächtigen, schweren, breite Falten werfenden Brokat- und Sammetstoffe gekleidet, die ans den Web¬ stühlen von Gent und Brügge entstanden. Aus diesen Stoffen machte man auch die Meßgewänder für die vornehme, reiche Geistlichkeit, und deshalb wußte der Maler den Bewohnern des Himmels kein köstlicheres Kleid anzulegen, als es die sichtbaren Vertreter und Großsicgelbewcchrer der himmlischen Gnade und Seligkeit auf Erden trugen. Auf der Tafel neben der Madonna führt ein Doppelanartett von also gekleideten Engeln vor einem Chorpulte, auf welchem das aufgeschlagene Ccmzionale liegt, den Lobgesang zu Ehren der heiligen Drei¬ faltigkeit ans, und auf der entsprechende» Tafel der andern Seite ist das himm¬ lische Orchester in Thätigkeit: ein Engel sitzt in einem durch besondre Pracht ausgezeichneten Gewände auf einem Faltstuhl vor einer Orgel und schlägt die Tasten, ein Genosse begleitet ihn auf der Viola und ein andrer auf der Harfe. Alle Geräte und Instrumente, Kleider und Schmucksachen sind mit einer so peinlichen Sorgfalt der Natur nachgebildet, daß Kunsttischler, Juweliere und Gewandschneider gleich darnach arbeiten könnten. So zeigt uns also der Genter Altar in der minutiösen Schilderung der Erzeugnisse des Handwerkes und der Kunst die Keime, aus welchen sich die niederländische Stilllebenmalerei nach¬ mals zu dem bekannten Glänze entwickelte. Und damit noch nicht genug. Wenn wir die Außenseite dieses wahrhaft universellen Kunstwerkes betrachten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/248>, abgerufen am 04.07.2024.