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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaft5malerei.

sich nach einem leichtern Erwerbe umzusehen, als ihn der Ackerbau gewähren
konnte. So wurde ihm der Handel zu einer Quelle des Reichtums, und daneben
die Fabrikation von Gebrauchs- und Luxuswaareu, welche dem erstem einen
Teil seiner Unterlage lieferten. Brügge, Gent, Mecheln, Lüttich, Apern,, Brüssel
und Antwerpen waren neben- und nacheinander die mächtigen Metropolen des
Handels und des Gewerbfleißes, während die Bewohner der nördlichen Pro¬
vinzen in erster Linie ans die Produkte des Meeres und des Landes angewiesen
waren und diese zur Grundlage ihres Handelsverkehrs machten. Im Norte"
behielt das Leben auch in den Zeiten höchster Machtcntfciltung immer einen
ärmlichen, kärglichen, nüchternen Anstrich. Wenn auch die Leute in den hollän¬
dischen Provinzen ebenso gut aßen und tranken wie in den belgischen, so wurde
doch dort ein bei weitem geringerer Wert auf die Ausstattung des Hauses und
der Wohnung und auf die Kleidung gelegt. Den Südländern gab ihre eigne
Fabrikation die kostbarsten Sammet- und Seidenstoffe in die Hand, während
sich die Nordländer mit geringem, selbstgefertigten Tuch begnügen oder jenen
für schweres Geld ihre Erzeugnisse abkaufen mußten. Was ursprünglich viel¬
leicht nur durch die Notwendigkeit hervorgerufen war, wurde später zur Sitte,
und diese notgedrungene Einfachheit in der Tracht wurde gewissermaßen zu
einer bürgerlichen Institution, als der Protestantismus in die nördlichen Pro¬
vinzen seinen Einzug hielt und die Kluft zwischen beiden Teilen noch vergrößerte.

Nur in einem Punkte gab es eine gewisse Verwandtschaft, die auch später
trotz aller Spaltungen bestehen blieb. Die kärgliche Beschaffenheit des
Bodens zwang die Bevölkerung, alle ihre Kräfte im Kampfe um die Er¬
haltung des Lebens anzuspannen. Hier streckte das Meer unablässig seine
gierigen Arme aus und bedrohte das Land, dort war es der sandige oder
sumpfige Grund, welcher dem Ackerbauer die Früchte feiner Bemühungen weigerte.
Immer war also ein Kampf mit realen Mächten zu bestehen, und gewisser¬
maßen Auge in Auge standen sich die beiden Parteien gegenüber. Dieser Boden
war nicht wie der Italiens, der ungezwungen aus dem Vollen spendete, zum
behaglichen Genusse des Daseins geeignet, und deshalb konnte sich in denen,
welche mit dem Boden ringen mußten, die Phantasie, die Tochter der Be¬
schaulichkeit, nicht zu jener Kraft, zu jenem Schwunge entfalten, welche den
italienischen Künstlern zu Gebote gestanden haben. Immer den Blick auf die
Außenseite der Dinge richtend, erprobten die niederländischen Künstler auch an
ihnen zuerst ihren Nachahmungstrieb, und die ersten Erfolge, die verhältnis¬
mäßig schnell auf diesem Wege erzielt wurden, waren so nachhaltig und grund¬
legend, daß die Einflüsse der italienischen Kunst während des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts auf die niederländische den realistischen Charakter der
letztern nur vorübergehend alteriren konnten.

Das Niederland ist die Wiege der realistischen Kunst, und deshalb ent¬
wickelte sich in seinen Grenzen die Landschaftsmalerei, welche die äußere Physio-


Die niederländische Genre- und Landschaft5malerei.

sich nach einem leichtern Erwerbe umzusehen, als ihn der Ackerbau gewähren
konnte. So wurde ihm der Handel zu einer Quelle des Reichtums, und daneben
die Fabrikation von Gebrauchs- und Luxuswaareu, welche dem erstem einen
Teil seiner Unterlage lieferten. Brügge, Gent, Mecheln, Lüttich, Apern,, Brüssel
und Antwerpen waren neben- und nacheinander die mächtigen Metropolen des
Handels und des Gewerbfleißes, während die Bewohner der nördlichen Pro¬
vinzen in erster Linie ans die Produkte des Meeres und des Landes angewiesen
waren und diese zur Grundlage ihres Handelsverkehrs machten. Im Norte»
behielt das Leben auch in den Zeiten höchster Machtcntfciltung immer einen
ärmlichen, kärglichen, nüchternen Anstrich. Wenn auch die Leute in den hollän¬
dischen Provinzen ebenso gut aßen und tranken wie in den belgischen, so wurde
doch dort ein bei weitem geringerer Wert auf die Ausstattung des Hauses und
der Wohnung und auf die Kleidung gelegt. Den Südländern gab ihre eigne
Fabrikation die kostbarsten Sammet- und Seidenstoffe in die Hand, während
sich die Nordländer mit geringem, selbstgefertigten Tuch begnügen oder jenen
für schweres Geld ihre Erzeugnisse abkaufen mußten. Was ursprünglich viel¬
leicht nur durch die Notwendigkeit hervorgerufen war, wurde später zur Sitte,
und diese notgedrungene Einfachheit in der Tracht wurde gewissermaßen zu
einer bürgerlichen Institution, als der Protestantismus in die nördlichen Pro¬
vinzen seinen Einzug hielt und die Kluft zwischen beiden Teilen noch vergrößerte.

Nur in einem Punkte gab es eine gewisse Verwandtschaft, die auch später
trotz aller Spaltungen bestehen blieb. Die kärgliche Beschaffenheit des
Bodens zwang die Bevölkerung, alle ihre Kräfte im Kampfe um die Er¬
haltung des Lebens anzuspannen. Hier streckte das Meer unablässig seine
gierigen Arme aus und bedrohte das Land, dort war es der sandige oder
sumpfige Grund, welcher dem Ackerbauer die Früchte feiner Bemühungen weigerte.
Immer war also ein Kampf mit realen Mächten zu bestehen, und gewisser¬
maßen Auge in Auge standen sich die beiden Parteien gegenüber. Dieser Boden
war nicht wie der Italiens, der ungezwungen aus dem Vollen spendete, zum
behaglichen Genusse des Daseins geeignet, und deshalb konnte sich in denen,
welche mit dem Boden ringen mußten, die Phantasie, die Tochter der Be¬
schaulichkeit, nicht zu jener Kraft, zu jenem Schwunge entfalten, welche den
italienischen Künstlern zu Gebote gestanden haben. Immer den Blick auf die
Außenseite der Dinge richtend, erprobten die niederländischen Künstler auch an
ihnen zuerst ihren Nachahmungstrieb, und die ersten Erfolge, die verhältnis¬
mäßig schnell auf diesem Wege erzielt wurden, waren so nachhaltig und grund¬
legend, daß die Einflüsse der italienischen Kunst während des sechzehnten und
siebzehnten Jahrhunderts auf die niederländische den realistischen Charakter der
letztern nur vorübergehend alteriren konnten.

Das Niederland ist die Wiege der realistischen Kunst, und deshalb ent¬
wickelte sich in seinen Grenzen die Landschaftsmalerei, welche die äußere Physio-


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[0244] Die niederländische Genre- und Landschaft5malerei. sich nach einem leichtern Erwerbe umzusehen, als ihn der Ackerbau gewähren konnte. So wurde ihm der Handel zu einer Quelle des Reichtums, und daneben die Fabrikation von Gebrauchs- und Luxuswaareu, welche dem erstem einen Teil seiner Unterlage lieferten. Brügge, Gent, Mecheln, Lüttich, Apern,, Brüssel und Antwerpen waren neben- und nacheinander die mächtigen Metropolen des Handels und des Gewerbfleißes, während die Bewohner der nördlichen Pro¬ vinzen in erster Linie ans die Produkte des Meeres und des Landes angewiesen waren und diese zur Grundlage ihres Handelsverkehrs machten. Im Norte» behielt das Leben auch in den Zeiten höchster Machtcntfciltung immer einen ärmlichen, kärglichen, nüchternen Anstrich. Wenn auch die Leute in den hollän¬ dischen Provinzen ebenso gut aßen und tranken wie in den belgischen, so wurde doch dort ein bei weitem geringerer Wert auf die Ausstattung des Hauses und der Wohnung und auf die Kleidung gelegt. Den Südländern gab ihre eigne Fabrikation die kostbarsten Sammet- und Seidenstoffe in die Hand, während sich die Nordländer mit geringem, selbstgefertigten Tuch begnügen oder jenen für schweres Geld ihre Erzeugnisse abkaufen mußten. Was ursprünglich viel¬ leicht nur durch die Notwendigkeit hervorgerufen war, wurde später zur Sitte, und diese notgedrungene Einfachheit in der Tracht wurde gewissermaßen zu einer bürgerlichen Institution, als der Protestantismus in die nördlichen Pro¬ vinzen seinen Einzug hielt und die Kluft zwischen beiden Teilen noch vergrößerte. Nur in einem Punkte gab es eine gewisse Verwandtschaft, die auch später trotz aller Spaltungen bestehen blieb. Die kärgliche Beschaffenheit des Bodens zwang die Bevölkerung, alle ihre Kräfte im Kampfe um die Er¬ haltung des Lebens anzuspannen. Hier streckte das Meer unablässig seine gierigen Arme aus und bedrohte das Land, dort war es der sandige oder sumpfige Grund, welcher dem Ackerbauer die Früchte feiner Bemühungen weigerte. Immer war also ein Kampf mit realen Mächten zu bestehen, und gewisser¬ maßen Auge in Auge standen sich die beiden Parteien gegenüber. Dieser Boden war nicht wie der Italiens, der ungezwungen aus dem Vollen spendete, zum behaglichen Genusse des Daseins geeignet, und deshalb konnte sich in denen, welche mit dem Boden ringen mußten, die Phantasie, die Tochter der Be¬ schaulichkeit, nicht zu jener Kraft, zu jenem Schwunge entfalten, welche den italienischen Künstlern zu Gebote gestanden haben. Immer den Blick auf die Außenseite der Dinge richtend, erprobten die niederländischen Künstler auch an ihnen zuerst ihren Nachahmungstrieb, und die ersten Erfolge, die verhältnis¬ mäßig schnell auf diesem Wege erzielt wurden, waren so nachhaltig und grund¬ legend, daß die Einflüsse der italienischen Kunst während des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts auf die niederländische den realistischen Charakter der letztern nur vorübergehend alteriren konnten. Das Niederland ist die Wiege der realistischen Kunst, und deshalb ent¬ wickelte sich in seinen Grenzen die Landschaftsmalerei, welche die äußere Physio-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/244>, abgerufen am 01.10.2024.