Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Carl von Noorden.

bekannt machte, gab es längst bei uns. Sie reiche" in ihrer Entstehung in die
Zeit des Erwachens der kritischen Geschichtsforschung in Deutschland, in die¬
jenigen Jahrzehnte unsers Jahrhunderts zurück, in denen Pertz die ersten Bände
der NonumWtg, 6örra3iuas Iiistorio^ in die Welt schickte. Das Seminar Rankes,
aus dem unsre bedeutendsten jetzt lebenden Historiker hervorgegangen sind, ist
berühmt geworden. Nicht minder das von Waitz, über das in diesen Blättern
kürzlich ein "Wer'tzianer" berichtet hat. Aber die äußeren Formen, unter denen
diese Institute an den Universitäten bestanden, waren ihrem Gedeihen häufig
nicht förderlich. Was ihnen fehlte, war eine eigne Lokalität, in der die Übungen
hätten abgehalten werden können, die zugleich eine gemeinsame Bibliothek der
wichtigsten Quellensammlungen, Handbücher und Zeitschriften zu beherberge" ge¬
habt und endlich den Mitgliedern als Arbeitszimmer ununterbrochen Hütte offen¬
stehen müssen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich das Verdienst, diese Ein¬
richtungen zuerst an unsern Universitäten eingeführt zu haben, Noorden zuschreibe.
In Tübingen, Bonn und Leipzig ist er der Begründer solcher historischen Se¬
minare geworden, an andern Orten ist man ihm nachgefolgt, und es erscheint
zweifellos, daß diese Einrichtung sich mit der Zeit überall Eingang verschaffen
wird. Noorden hielt sie so sehr für die unerläßliche Vorbedingung einer er¬
folgreichen Arbeit in den historischen Übungen, daß er da, wo ihrer Einführung
von feiten der Universität Hindernisse entgegenstanden, auf eigne Hand in seiner
Privaiwohnung ein Zimmer für diese Übungen herrichtete, mit den nötigen
Büchern ans seiner eignen Bibliothek ausstattete und den Mitgliedern seines
Seminars zu freier Benutzung zum Zweck ihrer Vorbereitungen überwies. So
hatte er es in Marburg gehalten, so hielt er es anderthalb Semester lang in
Bonn, bis die Einrichtung im Universitätsgebäude fertig war. Da kam es
denn in seinem zweiten Bonner Semester vor, daß bei größerm Andrange das
ursprünglich für das Seminar bestimmte Zimmer nicht mehr ausreichen wollte.
Was sollte geschehen? Das Seminar durfte nicht Not leiden, und wenn es
die eigne Bequemlichkeit kostete. So ward ohne Umstände das größte Zimmer
des Noordcnschen Hauses geräumt, und das Seminar rückte an langen Tischen
für einige Monate in die Räume ein, in denen die Familie sonst gewohnt war,
ihre Freunde zu empfangen. "Erst kommt bei mir der Professor," pflegte der
eifrige Mann zu sagen, und er hat dies Wort redlich wahr gemacht.

Wie segensreich aber die Einrichtung eines Seminararbcitszimmcrs mit
Bibliothek sein, und wieviel Wert Norden selbst auf sie legen mochte, das
Wesentliche lag doch mich hier in seiner Persönlichkeit selbst. Er besaß eine
unvergleichliche pädagogische Begabung, und seinein Talent entsprach die Lust
und Liebe, ja beinahe die Begeisterung, mit der er um diesem Teile seiner
Thätigkeit hing. Hier hat er seine beste Kraft eingesetzt, hier hat er ohne
Zweifel auch sein Bedeutendstes geleistet. Der wesentliche Vorzug seiner histo¬
rischen Übungen bestand darin, daß in ihnen alle Teilnehmer gleichmäßig zu


Carl von Noorden.

bekannt machte, gab es längst bei uns. Sie reiche» in ihrer Entstehung in die
Zeit des Erwachens der kritischen Geschichtsforschung in Deutschland, in die¬
jenigen Jahrzehnte unsers Jahrhunderts zurück, in denen Pertz die ersten Bände
der NonumWtg, 6örra3iuas Iiistorio^ in die Welt schickte. Das Seminar Rankes,
aus dem unsre bedeutendsten jetzt lebenden Historiker hervorgegangen sind, ist
berühmt geworden. Nicht minder das von Waitz, über das in diesen Blättern
kürzlich ein „Wer'tzianer" berichtet hat. Aber die äußeren Formen, unter denen
diese Institute an den Universitäten bestanden, waren ihrem Gedeihen häufig
nicht förderlich. Was ihnen fehlte, war eine eigne Lokalität, in der die Übungen
hätten abgehalten werden können, die zugleich eine gemeinsame Bibliothek der
wichtigsten Quellensammlungen, Handbücher und Zeitschriften zu beherberge» ge¬
habt und endlich den Mitgliedern als Arbeitszimmer ununterbrochen Hütte offen¬
stehen müssen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich das Verdienst, diese Ein¬
richtungen zuerst an unsern Universitäten eingeführt zu haben, Noorden zuschreibe.
In Tübingen, Bonn und Leipzig ist er der Begründer solcher historischen Se¬
minare geworden, an andern Orten ist man ihm nachgefolgt, und es erscheint
zweifellos, daß diese Einrichtung sich mit der Zeit überall Eingang verschaffen
wird. Noorden hielt sie so sehr für die unerläßliche Vorbedingung einer er¬
folgreichen Arbeit in den historischen Übungen, daß er da, wo ihrer Einführung
von feiten der Universität Hindernisse entgegenstanden, auf eigne Hand in seiner
Privaiwohnung ein Zimmer für diese Übungen herrichtete, mit den nötigen
Büchern ans seiner eignen Bibliothek ausstattete und den Mitgliedern seines
Seminars zu freier Benutzung zum Zweck ihrer Vorbereitungen überwies. So
hatte er es in Marburg gehalten, so hielt er es anderthalb Semester lang in
Bonn, bis die Einrichtung im Universitätsgebäude fertig war. Da kam es
denn in seinem zweiten Bonner Semester vor, daß bei größerm Andrange das
ursprünglich für das Seminar bestimmte Zimmer nicht mehr ausreichen wollte.
Was sollte geschehen? Das Seminar durfte nicht Not leiden, und wenn es
die eigne Bequemlichkeit kostete. So ward ohne Umstände das größte Zimmer
des Noordcnschen Hauses geräumt, und das Seminar rückte an langen Tischen
für einige Monate in die Räume ein, in denen die Familie sonst gewohnt war,
ihre Freunde zu empfangen. „Erst kommt bei mir der Professor," pflegte der
eifrige Mann zu sagen, und er hat dies Wort redlich wahr gemacht.

Wie segensreich aber die Einrichtung eines Seminararbcitszimmcrs mit
Bibliothek sein, und wieviel Wert Norden selbst auf sie legen mochte, das
Wesentliche lag doch mich hier in seiner Persönlichkeit selbst. Er besaß eine
unvergleichliche pädagogische Begabung, und seinein Talent entsprach die Lust
und Liebe, ja beinahe die Begeisterung, mit der er um diesem Teile seiner
Thätigkeit hing. Hier hat er seine beste Kraft eingesetzt, hier hat er ohne
Zweifel auch sein Bedeutendstes geleistet. Der wesentliche Vorzug seiner histo¬
rischen Übungen bestand darin, daß in ihnen alle Teilnehmer gleichmäßig zu


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0238" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155121"/>
          <fw type="header" place="top"> Carl von Noorden.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_987" prev="#ID_986"> bekannt machte, gab es längst bei uns. Sie reiche» in ihrer Entstehung in die<lb/>
Zeit des Erwachens der kritischen Geschichtsforschung in Deutschland, in die¬<lb/>
jenigen Jahrzehnte unsers Jahrhunderts zurück, in denen Pertz die ersten Bände<lb/>
der NonumWtg, 6örra3iuas Iiistorio^ in die Welt schickte. Das Seminar Rankes,<lb/>
aus dem unsre bedeutendsten jetzt lebenden Historiker hervorgegangen sind, ist<lb/>
berühmt geworden. Nicht minder das von Waitz, über das in diesen Blättern<lb/>
kürzlich ein &#x201E;Wer'tzianer" berichtet hat. Aber die äußeren Formen, unter denen<lb/>
diese Institute an den Universitäten bestanden, waren ihrem Gedeihen häufig<lb/>
nicht förderlich. Was ihnen fehlte, war eine eigne Lokalität, in der die Übungen<lb/>
hätten abgehalten werden können, die zugleich eine gemeinsame Bibliothek der<lb/>
wichtigsten Quellensammlungen, Handbücher und Zeitschriften zu beherberge» ge¬<lb/>
habt und endlich den Mitgliedern als Arbeitszimmer ununterbrochen Hütte offen¬<lb/>
stehen müssen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich das Verdienst, diese Ein¬<lb/>
richtungen zuerst an unsern Universitäten eingeführt zu haben, Noorden zuschreibe.<lb/>
In Tübingen, Bonn und Leipzig ist er der Begründer solcher historischen Se¬<lb/>
minare geworden, an andern Orten ist man ihm nachgefolgt, und es erscheint<lb/>
zweifellos, daß diese Einrichtung sich mit der Zeit überall Eingang verschaffen<lb/>
wird. Noorden hielt sie so sehr für die unerläßliche Vorbedingung einer er¬<lb/>
folgreichen Arbeit in den historischen Übungen, daß er da, wo ihrer Einführung<lb/>
von feiten der Universität Hindernisse entgegenstanden, auf eigne Hand in seiner<lb/>
Privaiwohnung ein Zimmer für diese Übungen herrichtete, mit den nötigen<lb/>
Büchern ans seiner eignen Bibliothek ausstattete und den Mitgliedern seines<lb/>
Seminars zu freier Benutzung zum Zweck ihrer Vorbereitungen überwies. So<lb/>
hatte er es in Marburg gehalten, so hielt er es anderthalb Semester lang in<lb/>
Bonn, bis die Einrichtung im Universitätsgebäude fertig war. Da kam es<lb/>
denn in seinem zweiten Bonner Semester vor, daß bei größerm Andrange das<lb/>
ursprünglich für das Seminar bestimmte Zimmer nicht mehr ausreichen wollte.<lb/>
Was sollte geschehen? Das Seminar durfte nicht Not leiden, und wenn es<lb/>
die eigne Bequemlichkeit kostete. So ward ohne Umstände das größte Zimmer<lb/>
des Noordcnschen Hauses geräumt, und das Seminar rückte an langen Tischen<lb/>
für einige Monate in die Räume ein, in denen die Familie sonst gewohnt war,<lb/>
ihre Freunde zu empfangen. &#x201E;Erst kommt bei mir der Professor," pflegte der<lb/>
eifrige Mann zu sagen, und er hat dies Wort redlich wahr gemacht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_988" next="#ID_989"> Wie segensreich aber die Einrichtung eines Seminararbcitszimmcrs mit<lb/>
Bibliothek sein, und wieviel Wert Norden selbst auf sie legen mochte, das<lb/>
Wesentliche lag doch mich hier in seiner Persönlichkeit selbst. Er besaß eine<lb/>
unvergleichliche pädagogische Begabung, und seinein Talent entsprach die Lust<lb/>
und Liebe, ja beinahe die Begeisterung, mit der er um diesem Teile seiner<lb/>
Thätigkeit hing. Hier hat er seine beste Kraft eingesetzt, hier hat er ohne<lb/>
Zweifel auch sein Bedeutendstes geleistet. Der wesentliche Vorzug seiner histo¬<lb/>
rischen Übungen bestand darin, daß in ihnen alle Teilnehmer gleichmäßig zu</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0238] Carl von Noorden. bekannt machte, gab es längst bei uns. Sie reiche» in ihrer Entstehung in die Zeit des Erwachens der kritischen Geschichtsforschung in Deutschland, in die¬ jenigen Jahrzehnte unsers Jahrhunderts zurück, in denen Pertz die ersten Bände der NonumWtg, 6örra3iuas Iiistorio^ in die Welt schickte. Das Seminar Rankes, aus dem unsre bedeutendsten jetzt lebenden Historiker hervorgegangen sind, ist berühmt geworden. Nicht minder das von Waitz, über das in diesen Blättern kürzlich ein „Wer'tzianer" berichtet hat. Aber die äußeren Formen, unter denen diese Institute an den Universitäten bestanden, waren ihrem Gedeihen häufig nicht förderlich. Was ihnen fehlte, war eine eigne Lokalität, in der die Übungen hätten abgehalten werden können, die zugleich eine gemeinsame Bibliothek der wichtigsten Quellensammlungen, Handbücher und Zeitschriften zu beherberge» ge¬ habt und endlich den Mitgliedern als Arbeitszimmer ununterbrochen Hütte offen¬ stehen müssen. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich das Verdienst, diese Ein¬ richtungen zuerst an unsern Universitäten eingeführt zu haben, Noorden zuschreibe. In Tübingen, Bonn und Leipzig ist er der Begründer solcher historischen Se¬ minare geworden, an andern Orten ist man ihm nachgefolgt, und es erscheint zweifellos, daß diese Einrichtung sich mit der Zeit überall Eingang verschaffen wird. Noorden hielt sie so sehr für die unerläßliche Vorbedingung einer er¬ folgreichen Arbeit in den historischen Übungen, daß er da, wo ihrer Einführung von feiten der Universität Hindernisse entgegenstanden, auf eigne Hand in seiner Privaiwohnung ein Zimmer für diese Übungen herrichtete, mit den nötigen Büchern ans seiner eignen Bibliothek ausstattete und den Mitgliedern seines Seminars zu freier Benutzung zum Zweck ihrer Vorbereitungen überwies. So hatte er es in Marburg gehalten, so hielt er es anderthalb Semester lang in Bonn, bis die Einrichtung im Universitätsgebäude fertig war. Da kam es denn in seinem zweiten Bonner Semester vor, daß bei größerm Andrange das ursprünglich für das Seminar bestimmte Zimmer nicht mehr ausreichen wollte. Was sollte geschehen? Das Seminar durfte nicht Not leiden, und wenn es die eigne Bequemlichkeit kostete. So ward ohne Umstände das größte Zimmer des Noordcnschen Hauses geräumt, und das Seminar rückte an langen Tischen für einige Monate in die Räume ein, in denen die Familie sonst gewohnt war, ihre Freunde zu empfangen. „Erst kommt bei mir der Professor," pflegte der eifrige Mann zu sagen, und er hat dies Wort redlich wahr gemacht. Wie segensreich aber die Einrichtung eines Seminararbcitszimmcrs mit Bibliothek sein, und wieviel Wert Norden selbst auf sie legen mochte, das Wesentliche lag doch mich hier in seiner Persönlichkeit selbst. Er besaß eine unvergleichliche pädagogische Begabung, und seinein Talent entsprach die Lust und Liebe, ja beinahe die Begeisterung, mit der er um diesem Teile seiner Thätigkeit hing. Hier hat er seine beste Kraft eingesetzt, hier hat er ohne Zweifel auch sein Bedeutendstes geleistet. Der wesentliche Vorzug seiner histo¬ rischen Übungen bestand darin, daß in ihnen alle Teilnehmer gleichmäßig zu

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/238
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/238>, abgerufen am 28.09.2024.