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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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<Lari von Noorden.

brach er zuerst zusammen, ein örtliches Leiden warf ihn nieder. Das Urteil
der Ärzte zwang ihm einen Urlaub sür das ganze Sommcrsemester auf. Bitter
war ihm der Entschluß dazu, aber er hoffte seine erschlaffte Arbeitskraft wieder¬
zugewinnen. Noch zwei Semester hat er dann gelehrt und gearbeitet, aber
seine "miserable Leiblichkeit" -- wie er selbst spottend klagte -- hemmte ihn
auf Schritt und Tritt. Ohne wesentliche Unterbrechung, aber häufig unter den
heftigsten Schmerzen führte er sein letztes Kolleg, die "Geschichte des deutschen
Kaisertums im Mittelalter." bis in die Zeit der Seeufer. Am 13. Juli 1883
las er zum letztenmale. Dann warf ihn ein unheilbares Brustleiden auf ein
schmerzenreiches Krankenlager. In der Nacht vom ersten zum zweiten Weih-
"achtstage des verflossenen Jahres ist er entschlafen.

Die Bedeutung, welche Noorden als akademischer Lehrer erlangt hat, lag
in der Tiefe seiner Persönlichkeit begründet. Er gab vor allem sich selbst,
seinen ganzen inneren Menschen. Nicht darum war es ihm hauptsächlich zu
thun, seinen Schülern positives Wissen zu vermitteln, sondern ihnen eine Fülle
persönlicher und darum lebendiger Anregungen zu bieten. Er war sich dieses
Grnndzuges seiner Lehrmethode sehr wohl bewußt. "Meine Stärke, schrieb er
einmal, liegt nicht in dein Positiven, dem sachlichen, was ich als zu Er¬
lernendes gebe, sondern in der Anregung, die ich aus eigner Erregung heraus
z" erteilen vermag." Wer daher in seine Vorlesungen kam in der Erwartung
in ihnen eine Reihe neuer und neuester Forschungen über diese und jene Kon-
trvversfrcige erwähnt oder polemisch erörtert zu sehen, wem es vorwiegend um
ein "gutes Heft" zu thun war, der mußte sich in diesen Vorlesungen enttäuscht
fühlen. Nicht als ob Noorden das Interesse an den Fortschritten der Wissen¬
schaft im einzelnen gefehlt, nicht als ob es ihm an Beherrschung des geschicht¬
lichen Stoffes und seiner gewaltigen Literatur gemangelt hätte -- unermüdlich ar¬
beitete er bis zuletzt, immer von neuem nach dieser Richtung an seinen Vorlesungen --,
aber er hob das Neue nicht als Neues besonders hervor, er fügte es unver¬
merkt dem Ganzen ein, denn nicht ein historisches Kompendium und noch viel
weniger ein Resümee über den gegenwärtigen Stand der Forschung wollte er
geben; worauf es ihm ankam, war einerseits, klar den politischen Gedanken
darzulegen, andrerseits seine Zuhörer in das Verständnis der menschlichen
Persönlichkeiten einzuführen. Mit sicherer Hand und in gedrungenen Zügen ent¬
warf er das Charakterbild einer historischen Epoche. Weit ausgreifend pflegte
er rückwärts und vorwärts die Verbindungsfäden zu schlagen, stets bemüht,
den werdenden Gestaltungen bis auf ihre ersten Keimtriebe, bis auf ihre letzten
Verästelungen nachzugehen. Seine Geschichte des Reformationszeitaltcrs setzte
mit 1378, dem Jahre des großen Papstschismas, ein und endete mit dem
Frieden von Münster und Osnabrück. Eine Reihe einleitender Kapitel dieser
Vorlesung widmete er der kaiserlichen und päpstlichen Theokratie im Mittel¬
alter, der Ausbildung des päpstlichen Absolutismus auf kirchlichem Lebens-


Grenzoote" I. 1384. 29
<Lari von Noorden.

brach er zuerst zusammen, ein örtliches Leiden warf ihn nieder. Das Urteil
der Ärzte zwang ihm einen Urlaub sür das ganze Sommcrsemester auf. Bitter
war ihm der Entschluß dazu, aber er hoffte seine erschlaffte Arbeitskraft wieder¬
zugewinnen. Noch zwei Semester hat er dann gelehrt und gearbeitet, aber
seine „miserable Leiblichkeit" — wie er selbst spottend klagte — hemmte ihn
auf Schritt und Tritt. Ohne wesentliche Unterbrechung, aber häufig unter den
heftigsten Schmerzen führte er sein letztes Kolleg, die „Geschichte des deutschen
Kaisertums im Mittelalter." bis in die Zeit der Seeufer. Am 13. Juli 1883
las er zum letztenmale. Dann warf ihn ein unheilbares Brustleiden auf ein
schmerzenreiches Krankenlager. In der Nacht vom ersten zum zweiten Weih-
»achtstage des verflossenen Jahres ist er entschlafen.

Die Bedeutung, welche Noorden als akademischer Lehrer erlangt hat, lag
in der Tiefe seiner Persönlichkeit begründet. Er gab vor allem sich selbst,
seinen ganzen inneren Menschen. Nicht darum war es ihm hauptsächlich zu
thun, seinen Schülern positives Wissen zu vermitteln, sondern ihnen eine Fülle
persönlicher und darum lebendiger Anregungen zu bieten. Er war sich dieses
Grnndzuges seiner Lehrmethode sehr wohl bewußt. „Meine Stärke, schrieb er
einmal, liegt nicht in dein Positiven, dem sachlichen, was ich als zu Er¬
lernendes gebe, sondern in der Anregung, die ich aus eigner Erregung heraus
z» erteilen vermag." Wer daher in seine Vorlesungen kam in der Erwartung
in ihnen eine Reihe neuer und neuester Forschungen über diese und jene Kon-
trvversfrcige erwähnt oder polemisch erörtert zu sehen, wem es vorwiegend um
ein „gutes Heft" zu thun war, der mußte sich in diesen Vorlesungen enttäuscht
fühlen. Nicht als ob Noorden das Interesse an den Fortschritten der Wissen¬
schaft im einzelnen gefehlt, nicht als ob es ihm an Beherrschung des geschicht¬
lichen Stoffes und seiner gewaltigen Literatur gemangelt hätte — unermüdlich ar¬
beitete er bis zuletzt, immer von neuem nach dieser Richtung an seinen Vorlesungen —,
aber er hob das Neue nicht als Neues besonders hervor, er fügte es unver¬
merkt dem Ganzen ein, denn nicht ein historisches Kompendium und noch viel
weniger ein Resümee über den gegenwärtigen Stand der Forschung wollte er
geben; worauf es ihm ankam, war einerseits, klar den politischen Gedanken
darzulegen, andrerseits seine Zuhörer in das Verständnis der menschlichen
Persönlichkeiten einzuführen. Mit sicherer Hand und in gedrungenen Zügen ent¬
warf er das Charakterbild einer historischen Epoche. Weit ausgreifend pflegte
er rückwärts und vorwärts die Verbindungsfäden zu schlagen, stets bemüht,
den werdenden Gestaltungen bis auf ihre ersten Keimtriebe, bis auf ihre letzten
Verästelungen nachzugehen. Seine Geschichte des Reformationszeitaltcrs setzte
mit 1378, dem Jahre des großen Papstschismas, ein und endete mit dem
Frieden von Münster und Osnabrück. Eine Reihe einleitender Kapitel dieser
Vorlesung widmete er der kaiserlichen und päpstlichen Theokratie im Mittel¬
alter, der Ausbildung des päpstlichen Absolutismus auf kirchlichem Lebens-


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[0235] <Lari von Noorden. brach er zuerst zusammen, ein örtliches Leiden warf ihn nieder. Das Urteil der Ärzte zwang ihm einen Urlaub sür das ganze Sommcrsemester auf. Bitter war ihm der Entschluß dazu, aber er hoffte seine erschlaffte Arbeitskraft wieder¬ zugewinnen. Noch zwei Semester hat er dann gelehrt und gearbeitet, aber seine „miserable Leiblichkeit" — wie er selbst spottend klagte — hemmte ihn auf Schritt und Tritt. Ohne wesentliche Unterbrechung, aber häufig unter den heftigsten Schmerzen führte er sein letztes Kolleg, die „Geschichte des deutschen Kaisertums im Mittelalter." bis in die Zeit der Seeufer. Am 13. Juli 1883 las er zum letztenmale. Dann warf ihn ein unheilbares Brustleiden auf ein schmerzenreiches Krankenlager. In der Nacht vom ersten zum zweiten Weih- »achtstage des verflossenen Jahres ist er entschlafen. Die Bedeutung, welche Noorden als akademischer Lehrer erlangt hat, lag in der Tiefe seiner Persönlichkeit begründet. Er gab vor allem sich selbst, seinen ganzen inneren Menschen. Nicht darum war es ihm hauptsächlich zu thun, seinen Schülern positives Wissen zu vermitteln, sondern ihnen eine Fülle persönlicher und darum lebendiger Anregungen zu bieten. Er war sich dieses Grnndzuges seiner Lehrmethode sehr wohl bewußt. „Meine Stärke, schrieb er einmal, liegt nicht in dein Positiven, dem sachlichen, was ich als zu Er¬ lernendes gebe, sondern in der Anregung, die ich aus eigner Erregung heraus z» erteilen vermag." Wer daher in seine Vorlesungen kam in der Erwartung in ihnen eine Reihe neuer und neuester Forschungen über diese und jene Kon- trvversfrcige erwähnt oder polemisch erörtert zu sehen, wem es vorwiegend um ein „gutes Heft" zu thun war, der mußte sich in diesen Vorlesungen enttäuscht fühlen. Nicht als ob Noorden das Interesse an den Fortschritten der Wissen¬ schaft im einzelnen gefehlt, nicht als ob es ihm an Beherrschung des geschicht¬ lichen Stoffes und seiner gewaltigen Literatur gemangelt hätte — unermüdlich ar¬ beitete er bis zuletzt, immer von neuem nach dieser Richtung an seinen Vorlesungen —, aber er hob das Neue nicht als Neues besonders hervor, er fügte es unver¬ merkt dem Ganzen ein, denn nicht ein historisches Kompendium und noch viel weniger ein Resümee über den gegenwärtigen Stand der Forschung wollte er geben; worauf es ihm ankam, war einerseits, klar den politischen Gedanken darzulegen, andrerseits seine Zuhörer in das Verständnis der menschlichen Persönlichkeiten einzuführen. Mit sicherer Hand und in gedrungenen Zügen ent¬ warf er das Charakterbild einer historischen Epoche. Weit ausgreifend pflegte er rückwärts und vorwärts die Verbindungsfäden zu schlagen, stets bemüht, den werdenden Gestaltungen bis auf ihre ersten Keimtriebe, bis auf ihre letzten Verästelungen nachzugehen. Seine Geschichte des Reformationszeitaltcrs setzte mit 1378, dem Jahre des großen Papstschismas, ein und endete mit dem Frieden von Münster und Osnabrück. Eine Reihe einleitender Kapitel dieser Vorlesung widmete er der kaiserlichen und päpstlichen Theokratie im Mittel¬ alter, der Ausbildung des päpstlichen Absolutismus auf kirchlichem Lebens- Grenzoote» I. 1384. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/235>, abgerufen am 22.07.2024.