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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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(Lark von Noorden.

in Jahr und wenige Monate sind verflossen, seit wir in diesen
Blättern*) den dritten Band von Carl von Noordens groß an¬
gelegter "Europäischen Geschichte im achtzehnten Jahrhundert"
anzeigen konnten. Frohen Blickes in die Zukunft kündete damals
der Verfasser das baldige Erscheinen eines vierten Bandes an.
Heute stehen wir an dem Grabe dieses Mannes, der mitten in der Fülle eines
reichen Schaffens kaum fünfzig Jahre alt am 26. Dezember 1383 aus der
Reihe der Lebenden abgerufen wurde.

Was die Wissenschaft an Noorden verloren hat, in seinem ganzen Umfange
und mit Berücksichtigung alles einzelnen darzulegen, sei Älteren und Berufeneren
überlassen; einen kurzen Überblick darüber hat schon ein warm empfundener
Nekrolog aus der Feder Georg Voigts gegeben,**) und wir dürfen hoffen, daß
uns des Verstorbenen langjähriger Freund, Wilhelm Maurenbrecher in Bonn,
sein Leben und Wirken in eingehenderer Weise zu schildern unternehmen wird.***)
Die Worte, die hier gesprochen werden sollen, kommen aus dem Munde eines
ehemaligen Schülers, der das Glück hatte, fünf Semester hindurch -- zuerst in
Bonn, dann in Leipzig -- unter der Einwirkung dieses seltenen Mannes zu
stehen. Nur der Lehrer daher, wie auf dem Katheder und in dem Seminar
so im persönlichen Verkehr mit seinen Schülern, soll hier gezeichnet werden.
Zuvor aber mag, unter Benutzung von Voigts Nekrolog, ein kurzer Abriß
seines Lebensganges gegeben werden.

Carl von Noorden war am 11. September 1833 in Bonn geboren. Als
ein Achtzehnjähriger bezog er die Universität seiner Vaterstadt und ward als
Jurist immatrikulirt. Aber ein Fachstudium vermochte seinen Geist nicht aus¬
zufüllen. Bald hier, bald dort suchte er seinen Anker zu werfen, und nach
mannichfachen Ausflügen auf das Gebiet der Musik, der Kunstgeschichte, der
Philosophie, der Sprachen und Literaturen landete er endlich auf der ehrwür¬
digen Spracheninsel des Sanskrit. Es galt ihm, auf dem Wege vergleichender
Mythologie die Entwicklung des Gottesbegriffes bei den Indogermanen zu ver¬
folgen, und in seiner Dissertation (1855) legte er die erste Frucht dieser Studien





*) Grenzboten 1882, III,, S. 544-S43.
**) Leipziger Tageblatt, 4. Januar 1884.
Maurenbrecher bereitet, wie wir hören, eine Sammlung der so anziehenden öffent¬
lichen Bortrage und der kleineren in Zeitschriften verstreuten Aussähe Noordens vor und
wird derselben eine Lebensskizze des Verstorbenen beigeben.
(Lark von Noorden.

in Jahr und wenige Monate sind verflossen, seit wir in diesen
Blättern*) den dritten Band von Carl von Noordens groß an¬
gelegter „Europäischen Geschichte im achtzehnten Jahrhundert"
anzeigen konnten. Frohen Blickes in die Zukunft kündete damals
der Verfasser das baldige Erscheinen eines vierten Bandes an.
Heute stehen wir an dem Grabe dieses Mannes, der mitten in der Fülle eines
reichen Schaffens kaum fünfzig Jahre alt am 26. Dezember 1383 aus der
Reihe der Lebenden abgerufen wurde.

Was die Wissenschaft an Noorden verloren hat, in seinem ganzen Umfange
und mit Berücksichtigung alles einzelnen darzulegen, sei Älteren und Berufeneren
überlassen; einen kurzen Überblick darüber hat schon ein warm empfundener
Nekrolog aus der Feder Georg Voigts gegeben,**) und wir dürfen hoffen, daß
uns des Verstorbenen langjähriger Freund, Wilhelm Maurenbrecher in Bonn,
sein Leben und Wirken in eingehenderer Weise zu schildern unternehmen wird.***)
Die Worte, die hier gesprochen werden sollen, kommen aus dem Munde eines
ehemaligen Schülers, der das Glück hatte, fünf Semester hindurch — zuerst in
Bonn, dann in Leipzig — unter der Einwirkung dieses seltenen Mannes zu
stehen. Nur der Lehrer daher, wie auf dem Katheder und in dem Seminar
so im persönlichen Verkehr mit seinen Schülern, soll hier gezeichnet werden.
Zuvor aber mag, unter Benutzung von Voigts Nekrolog, ein kurzer Abriß
seines Lebensganges gegeben werden.

Carl von Noorden war am 11. September 1833 in Bonn geboren. Als
ein Achtzehnjähriger bezog er die Universität seiner Vaterstadt und ward als
Jurist immatrikulirt. Aber ein Fachstudium vermochte seinen Geist nicht aus¬
zufüllen. Bald hier, bald dort suchte er seinen Anker zu werfen, und nach
mannichfachen Ausflügen auf das Gebiet der Musik, der Kunstgeschichte, der
Philosophie, der Sprachen und Literaturen landete er endlich auf der ehrwür¬
digen Spracheninsel des Sanskrit. Es galt ihm, auf dem Wege vergleichender
Mythologie die Entwicklung des Gottesbegriffes bei den Indogermanen zu ver¬
folgen, und in seiner Dissertation (1855) legte er die erste Frucht dieser Studien





*) Grenzboten 1882, III,, S. 544-S43.
**) Leipziger Tageblatt, 4. Januar 1884.
Maurenbrecher bereitet, wie wir hören, eine Sammlung der so anziehenden öffent¬
lichen Bortrage und der kleineren in Zeitschriften verstreuten Aussähe Noordens vor und
wird derselben eine Lebensskizze des Verstorbenen beigeben.
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[0233] (Lark von Noorden. in Jahr und wenige Monate sind verflossen, seit wir in diesen Blättern*) den dritten Band von Carl von Noordens groß an¬ gelegter „Europäischen Geschichte im achtzehnten Jahrhundert" anzeigen konnten. Frohen Blickes in die Zukunft kündete damals der Verfasser das baldige Erscheinen eines vierten Bandes an. Heute stehen wir an dem Grabe dieses Mannes, der mitten in der Fülle eines reichen Schaffens kaum fünfzig Jahre alt am 26. Dezember 1383 aus der Reihe der Lebenden abgerufen wurde. Was die Wissenschaft an Noorden verloren hat, in seinem ganzen Umfange und mit Berücksichtigung alles einzelnen darzulegen, sei Älteren und Berufeneren überlassen; einen kurzen Überblick darüber hat schon ein warm empfundener Nekrolog aus der Feder Georg Voigts gegeben,**) und wir dürfen hoffen, daß uns des Verstorbenen langjähriger Freund, Wilhelm Maurenbrecher in Bonn, sein Leben und Wirken in eingehenderer Weise zu schildern unternehmen wird.***) Die Worte, die hier gesprochen werden sollen, kommen aus dem Munde eines ehemaligen Schülers, der das Glück hatte, fünf Semester hindurch — zuerst in Bonn, dann in Leipzig — unter der Einwirkung dieses seltenen Mannes zu stehen. Nur der Lehrer daher, wie auf dem Katheder und in dem Seminar so im persönlichen Verkehr mit seinen Schülern, soll hier gezeichnet werden. Zuvor aber mag, unter Benutzung von Voigts Nekrolog, ein kurzer Abriß seines Lebensganges gegeben werden. Carl von Noorden war am 11. September 1833 in Bonn geboren. Als ein Achtzehnjähriger bezog er die Universität seiner Vaterstadt und ward als Jurist immatrikulirt. Aber ein Fachstudium vermochte seinen Geist nicht aus¬ zufüllen. Bald hier, bald dort suchte er seinen Anker zu werfen, und nach mannichfachen Ausflügen auf das Gebiet der Musik, der Kunstgeschichte, der Philosophie, der Sprachen und Literaturen landete er endlich auf der ehrwür¬ digen Spracheninsel des Sanskrit. Es galt ihm, auf dem Wege vergleichender Mythologie die Entwicklung des Gottesbegriffes bei den Indogermanen zu ver¬ folgen, und in seiner Dissertation (1855) legte er die erste Frucht dieser Studien *) Grenzboten 1882, III,, S. 544-S43. **) Leipziger Tageblatt, 4. Januar 1884. Maurenbrecher bereitet, wie wir hören, eine Sammlung der so anziehenden öffent¬ lichen Bortrage und der kleineren in Zeitschriften verstreuten Aussähe Noordens vor und wird derselben eine Lebensskizze des Verstorbenen beigeben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/233>, abgerufen am 22.07.2024.