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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die ägyptische Krisis.

seiner Schutzbefohlenen eine Stelle von gleichem Werte überlassen werde. Das
war indes nicht der gefährlichste Mangel der doppelten Kontrole; denn obwohl
weit mehr Europäer an dem ägyptischen Budget für die Verwaltungsbeamten
zehrten als notwendig war, und obwohl die Gehalte derselben oft zu reichlich
bemessen waren, so arbeiteten dieselben doch mit gutem Erfolg an der Ver¬
besserung der Administration, Der Hauptschade bei der Sache war, daß England
durch sein Hand in Hand gehen mit Frankreich in die Interessensphäre der privaten
Gläubiger des ägyptischen Staates hineingezogen wurde.

Der lölöMaxli sagt hierüber: "Die Hauptmasse der ägyptischen
Schulden war zu dieser Zeit in den Händen Frankreichs konzentrirt, und die
französische Regierung machte sich stets zur Vertreterin und Vermittlerin ihrer
Geld verleihenden Unterthanen. Die Franzosen sind sparsame Leute, die ihre
Ersparnisse gut anzulegen verstehen. Die Inhaber von Staatspapieren sind
bei uns in England in der Regel reiche Kapitalisten, in Frankreich trifft man
sie in allen Klassen der Gesellschaft, und so spricht ein französischer Diplomat,
der zu pünktlicher Zahlung der Koupons fremdländischer Anleihen drängt,
zuweilen für eine Million seiner Landsleute. Ein englischer Agent würde unter
gleichen Umständen nur das Interesse einer Gruppe von Finanzgrößen oder
höchstens dasjenige von einigen Tausenden aus der Mittelklasse vertreten.
Dies erklärt teilweise die Verschiedenheit des diplomatischen Tones, dessen sich
die beiden Kabinette im Verkehr mit der ägyptischen Regierung bedienten. Es
ist in unserm Auswärtigen Amte ehrenvolle Überlieferung, sich auswärts nicht
für unvorsichtige Staatsgläubiger zu verwenden. (Die Affäre des Juden
Pacifico und Palmerston?) Anfangs gewährte unser Generalkonsul in Kairo
den verschiednen aufeinanderfolgenden Agenten der Bondholders lediglich nicht
offiziellen Beistand, und es ist zu bedauern, daß im April 1878, wo die ägyp¬
tischen Bauern schwer bedrückt waren, Lord Salisbury auf sofortige Zahlung
der halbjährigen Zinsen bestand, die damals fällig wurden. Dies war
eine einseitige Einmischung, die Schaden zur Folge hatte und überdies praktisch
zu spät kam. Wir hätten den Gang der Dinge, welche zur Überschuldung
Ägyptens führten, im Jahre 1868 aufhalten können, wo die Pforte für einige
Zeit weitere Anleihen verhinderte und Ägypten noch nicht den fünften Teil
dessen schuldete, was es heutzutage schuldet. Wir standen aber dabei und er¬
laubten Ismail riesenhafte Schulden zu kontrahiren, wir weigerten uns, dem
Sultan bei seinem ursprünglichen Einsprüche zur Seite zu treten, und schritten
erst volle zehn Jahre später ein, als die Last dem Lande zu schwer wurde und
der Chedive den Versuch machte, sie von demselben abzuwälzen. Für diese
Abweichung von der finanziellen Reinheit unsrer auswärtigen Politik ist die
doppelte Kontrole verantwortlich zu machen. Um mit unsern: großen Nachbar
auf freundlichem Fuße zu bleiben und Schritt für Schritt mit ihm zu gehen,
mengten wir uns in morgenländische Finanzangelegenheiten, und jetzt haben wir


Die ägyptische Krisis.

seiner Schutzbefohlenen eine Stelle von gleichem Werte überlassen werde. Das
war indes nicht der gefährlichste Mangel der doppelten Kontrole; denn obwohl
weit mehr Europäer an dem ägyptischen Budget für die Verwaltungsbeamten
zehrten als notwendig war, und obwohl die Gehalte derselben oft zu reichlich
bemessen waren, so arbeiteten dieselben doch mit gutem Erfolg an der Ver¬
besserung der Administration, Der Hauptschade bei der Sache war, daß England
durch sein Hand in Hand gehen mit Frankreich in die Interessensphäre der privaten
Gläubiger des ägyptischen Staates hineingezogen wurde.

Der lölöMaxli sagt hierüber: „Die Hauptmasse der ägyptischen
Schulden war zu dieser Zeit in den Händen Frankreichs konzentrirt, und die
französische Regierung machte sich stets zur Vertreterin und Vermittlerin ihrer
Geld verleihenden Unterthanen. Die Franzosen sind sparsame Leute, die ihre
Ersparnisse gut anzulegen verstehen. Die Inhaber von Staatspapieren sind
bei uns in England in der Regel reiche Kapitalisten, in Frankreich trifft man
sie in allen Klassen der Gesellschaft, und so spricht ein französischer Diplomat,
der zu pünktlicher Zahlung der Koupons fremdländischer Anleihen drängt,
zuweilen für eine Million seiner Landsleute. Ein englischer Agent würde unter
gleichen Umständen nur das Interesse einer Gruppe von Finanzgrößen oder
höchstens dasjenige von einigen Tausenden aus der Mittelklasse vertreten.
Dies erklärt teilweise die Verschiedenheit des diplomatischen Tones, dessen sich
die beiden Kabinette im Verkehr mit der ägyptischen Regierung bedienten. Es
ist in unserm Auswärtigen Amte ehrenvolle Überlieferung, sich auswärts nicht
für unvorsichtige Staatsgläubiger zu verwenden. (Die Affäre des Juden
Pacifico und Palmerston?) Anfangs gewährte unser Generalkonsul in Kairo
den verschiednen aufeinanderfolgenden Agenten der Bondholders lediglich nicht
offiziellen Beistand, und es ist zu bedauern, daß im April 1878, wo die ägyp¬
tischen Bauern schwer bedrückt waren, Lord Salisbury auf sofortige Zahlung
der halbjährigen Zinsen bestand, die damals fällig wurden. Dies war
eine einseitige Einmischung, die Schaden zur Folge hatte und überdies praktisch
zu spät kam. Wir hätten den Gang der Dinge, welche zur Überschuldung
Ägyptens führten, im Jahre 1868 aufhalten können, wo die Pforte für einige
Zeit weitere Anleihen verhinderte und Ägypten noch nicht den fünften Teil
dessen schuldete, was es heutzutage schuldet. Wir standen aber dabei und er¬
laubten Ismail riesenhafte Schulden zu kontrahiren, wir weigerten uns, dem
Sultan bei seinem ursprünglichen Einsprüche zur Seite zu treten, und schritten
erst volle zehn Jahre später ein, als die Last dem Lande zu schwer wurde und
der Chedive den Versuch machte, sie von demselben abzuwälzen. Für diese
Abweichung von der finanziellen Reinheit unsrer auswärtigen Politik ist die
doppelte Kontrole verantwortlich zu machen. Um mit unsern: großen Nachbar
auf freundlichem Fuße zu bleiben und Schritt für Schritt mit ihm zu gehen,
mengten wir uns in morgenländische Finanzangelegenheiten, und jetzt haben wir


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[0230] Die ägyptische Krisis. seiner Schutzbefohlenen eine Stelle von gleichem Werte überlassen werde. Das war indes nicht der gefährlichste Mangel der doppelten Kontrole; denn obwohl weit mehr Europäer an dem ägyptischen Budget für die Verwaltungsbeamten zehrten als notwendig war, und obwohl die Gehalte derselben oft zu reichlich bemessen waren, so arbeiteten dieselben doch mit gutem Erfolg an der Ver¬ besserung der Administration, Der Hauptschade bei der Sache war, daß England durch sein Hand in Hand gehen mit Frankreich in die Interessensphäre der privaten Gläubiger des ägyptischen Staates hineingezogen wurde. Der lölöMaxli sagt hierüber: „Die Hauptmasse der ägyptischen Schulden war zu dieser Zeit in den Händen Frankreichs konzentrirt, und die französische Regierung machte sich stets zur Vertreterin und Vermittlerin ihrer Geld verleihenden Unterthanen. Die Franzosen sind sparsame Leute, die ihre Ersparnisse gut anzulegen verstehen. Die Inhaber von Staatspapieren sind bei uns in England in der Regel reiche Kapitalisten, in Frankreich trifft man sie in allen Klassen der Gesellschaft, und so spricht ein französischer Diplomat, der zu pünktlicher Zahlung der Koupons fremdländischer Anleihen drängt, zuweilen für eine Million seiner Landsleute. Ein englischer Agent würde unter gleichen Umständen nur das Interesse einer Gruppe von Finanzgrößen oder höchstens dasjenige von einigen Tausenden aus der Mittelklasse vertreten. Dies erklärt teilweise die Verschiedenheit des diplomatischen Tones, dessen sich die beiden Kabinette im Verkehr mit der ägyptischen Regierung bedienten. Es ist in unserm Auswärtigen Amte ehrenvolle Überlieferung, sich auswärts nicht für unvorsichtige Staatsgläubiger zu verwenden. (Die Affäre des Juden Pacifico und Palmerston?) Anfangs gewährte unser Generalkonsul in Kairo den verschiednen aufeinanderfolgenden Agenten der Bondholders lediglich nicht offiziellen Beistand, und es ist zu bedauern, daß im April 1878, wo die ägyp¬ tischen Bauern schwer bedrückt waren, Lord Salisbury auf sofortige Zahlung der halbjährigen Zinsen bestand, die damals fällig wurden. Dies war eine einseitige Einmischung, die Schaden zur Folge hatte und überdies praktisch zu spät kam. Wir hätten den Gang der Dinge, welche zur Überschuldung Ägyptens führten, im Jahre 1868 aufhalten können, wo die Pforte für einige Zeit weitere Anleihen verhinderte und Ägypten noch nicht den fünften Teil dessen schuldete, was es heutzutage schuldet. Wir standen aber dabei und er¬ laubten Ismail riesenhafte Schulden zu kontrahiren, wir weigerten uns, dem Sultan bei seinem ursprünglichen Einsprüche zur Seite zu treten, und schritten erst volle zehn Jahre später ein, als die Last dem Lande zu schwer wurde und der Chedive den Versuch machte, sie von demselben abzuwälzen. Für diese Abweichung von der finanziellen Reinheit unsrer auswärtigen Politik ist die doppelte Kontrole verantwortlich zu machen. Um mit unsern: großen Nachbar auf freundlichem Fuße zu bleiben und Schritt für Schritt mit ihm zu gehen, mengten wir uns in morgenländische Finanzangelegenheiten, und jetzt haben wir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/230>, abgerufen am 24.07.2024.