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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die ägyptische Arisis.

Was den Umstand betrifft, daß in der neuen Verwaltung ein paar unter¬
geordnete Stellen mit Franzosen besetzt worden sind, so kann das nicht über¬
raschen. Die französische Kolonie in Kairo und Alexandrien ist groß, sie kann
eine bedeutende Zahl geeigneter Kandidaten für verschiedene Zweige des öffent¬
lichen Dienstes liefern, und sie hat an der Administration zu allen Zeiten den
Löwenanteil gehabt. Wenn wir uns erinnern, daß die Europäer in Ägypten
aus vielen Nationalitäten, aus Italienern, Griechen, Franzosen, Österreichern,
Engländern und Angehörigen des deutschen Reiches bestehen, und daß die
französische Sprache sie alle verbindet, so darf jene Vertretung der Nation in
der Verwaltung nicht Wunder nehmen. Es giebt aber noch eine andre Er¬
klärung der Thatsache, daß so viele von den Fleischtöpfen Ägyptens gerade den
dortigen Franzosen vorgesetzt worden sind. Stets gebrauchte Frankreich hier
seinen diplomatischen Einfluß zur Versorgung seiner Angehörigen. Dagegen ist
es bei den Vertretern Englands in Ägypten niemals üblich gewesen, sich mit
den Privatinteressen der dort lebenden britischen Unterthanen zu identifiziren,
soweit es nicht die Pflicht, den Einzelnen zu schützen, erforderte. "Sowohl
Scherif Pascha als Riaz Pascha," sagt Malortie, ein gründlicher und zuver¬
lässiger Kenner ägyptischer Verhältnisse, "gaben mir die Versicherung, sich auf
keinen Fall zu besinnen, wo Sir Edward Makel sich für einen britischen
Unterthan um eine Anstellung oder eine Konzession beworben oder ein
derartiges Gesuch befürwortet hätte, und Herr de Blignieres bestätigte diese
Angabe."

Das Bestreben, durch doppelte Besetzung jedes amtlichen Postens am Nil
dort eine Art Gleichgewicht der Kräfte zwischen England und Frankreich herzu¬
stellen, führte zu einer Wirtschaft, die sehr große Ausgaben veranlaßte und den
Gang der Geschichte in verhängnisvoller Weise lähmte. In manchen Depar¬
tements gab es sogar drei Chefs zur Bewältigung von Arbeiten, die besser von
einem einzigen besorgt worden wären: einen ägyptischen, der den Glauben zu
erwecken und zu erhalten bestimmt war, die Verwaltung sei eine nationale, einen
englischen, der ihm auf die Finger sehen sollte, und einen französischen, der
seinen westlichen Kollege" und Nebenbuhler zu überwachen hatte. Drei Gehalte
also statt eines einzigen wurden dem armen, geduldigen Fallens aufgeladen, der
schließlich mit seiner Steuerkraft für diese unerhörte Mißwirtschaft auszukommen
hatte. Dies erklärt das fortwährende Anwachsen der Zahl der europäischen
Beamten in Diensten des Chedive, als die beiden Westmächte gemeinschaftlich
hier ihren Einfluß ausübten. Im Jahre 1879 gab es hier ungefähr 750 Beamte
dieser Art, aber im März 1882 war deren Zahl beinahe auf das doppelte
gestiegen, und die Staatsausgaben für sie beliefen sich jährlich auf mehr als
eine Million Mark. Sobald ein Engländer auf einen hohen und gutdotirten
Posten gelangte, machte sichs der französische Generalkonsul unverweilt zur
Ehrenpflicht, an die Minister das Verlangen zu richten, daß ihm für einen


Die ägyptische Arisis.

Was den Umstand betrifft, daß in der neuen Verwaltung ein paar unter¬
geordnete Stellen mit Franzosen besetzt worden sind, so kann das nicht über¬
raschen. Die französische Kolonie in Kairo und Alexandrien ist groß, sie kann
eine bedeutende Zahl geeigneter Kandidaten für verschiedene Zweige des öffent¬
lichen Dienstes liefern, und sie hat an der Administration zu allen Zeiten den
Löwenanteil gehabt. Wenn wir uns erinnern, daß die Europäer in Ägypten
aus vielen Nationalitäten, aus Italienern, Griechen, Franzosen, Österreichern,
Engländern und Angehörigen des deutschen Reiches bestehen, und daß die
französische Sprache sie alle verbindet, so darf jene Vertretung der Nation in
der Verwaltung nicht Wunder nehmen. Es giebt aber noch eine andre Er¬
klärung der Thatsache, daß so viele von den Fleischtöpfen Ägyptens gerade den
dortigen Franzosen vorgesetzt worden sind. Stets gebrauchte Frankreich hier
seinen diplomatischen Einfluß zur Versorgung seiner Angehörigen. Dagegen ist
es bei den Vertretern Englands in Ägypten niemals üblich gewesen, sich mit
den Privatinteressen der dort lebenden britischen Unterthanen zu identifiziren,
soweit es nicht die Pflicht, den Einzelnen zu schützen, erforderte. „Sowohl
Scherif Pascha als Riaz Pascha," sagt Malortie, ein gründlicher und zuver¬
lässiger Kenner ägyptischer Verhältnisse, „gaben mir die Versicherung, sich auf
keinen Fall zu besinnen, wo Sir Edward Makel sich für einen britischen
Unterthan um eine Anstellung oder eine Konzession beworben oder ein
derartiges Gesuch befürwortet hätte, und Herr de Blignieres bestätigte diese
Angabe."

Das Bestreben, durch doppelte Besetzung jedes amtlichen Postens am Nil
dort eine Art Gleichgewicht der Kräfte zwischen England und Frankreich herzu¬
stellen, führte zu einer Wirtschaft, die sehr große Ausgaben veranlaßte und den
Gang der Geschichte in verhängnisvoller Weise lähmte. In manchen Depar¬
tements gab es sogar drei Chefs zur Bewältigung von Arbeiten, die besser von
einem einzigen besorgt worden wären: einen ägyptischen, der den Glauben zu
erwecken und zu erhalten bestimmt war, die Verwaltung sei eine nationale, einen
englischen, der ihm auf die Finger sehen sollte, und einen französischen, der
seinen westlichen Kollege» und Nebenbuhler zu überwachen hatte. Drei Gehalte
also statt eines einzigen wurden dem armen, geduldigen Fallens aufgeladen, der
schließlich mit seiner Steuerkraft für diese unerhörte Mißwirtschaft auszukommen
hatte. Dies erklärt das fortwährende Anwachsen der Zahl der europäischen
Beamten in Diensten des Chedive, als die beiden Westmächte gemeinschaftlich
hier ihren Einfluß ausübten. Im Jahre 1879 gab es hier ungefähr 750 Beamte
dieser Art, aber im März 1882 war deren Zahl beinahe auf das doppelte
gestiegen, und die Staatsausgaben für sie beliefen sich jährlich auf mehr als
eine Million Mark. Sobald ein Engländer auf einen hohen und gutdotirten
Posten gelangte, machte sichs der französische Generalkonsul unverweilt zur
Ehrenpflicht, an die Minister das Verlangen zu richten, daß ihm für einen


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[0229] Die ägyptische Arisis. Was den Umstand betrifft, daß in der neuen Verwaltung ein paar unter¬ geordnete Stellen mit Franzosen besetzt worden sind, so kann das nicht über¬ raschen. Die französische Kolonie in Kairo und Alexandrien ist groß, sie kann eine bedeutende Zahl geeigneter Kandidaten für verschiedene Zweige des öffent¬ lichen Dienstes liefern, und sie hat an der Administration zu allen Zeiten den Löwenanteil gehabt. Wenn wir uns erinnern, daß die Europäer in Ägypten aus vielen Nationalitäten, aus Italienern, Griechen, Franzosen, Österreichern, Engländern und Angehörigen des deutschen Reiches bestehen, und daß die französische Sprache sie alle verbindet, so darf jene Vertretung der Nation in der Verwaltung nicht Wunder nehmen. Es giebt aber noch eine andre Er¬ klärung der Thatsache, daß so viele von den Fleischtöpfen Ägyptens gerade den dortigen Franzosen vorgesetzt worden sind. Stets gebrauchte Frankreich hier seinen diplomatischen Einfluß zur Versorgung seiner Angehörigen. Dagegen ist es bei den Vertretern Englands in Ägypten niemals üblich gewesen, sich mit den Privatinteressen der dort lebenden britischen Unterthanen zu identifiziren, soweit es nicht die Pflicht, den Einzelnen zu schützen, erforderte. „Sowohl Scherif Pascha als Riaz Pascha," sagt Malortie, ein gründlicher und zuver¬ lässiger Kenner ägyptischer Verhältnisse, „gaben mir die Versicherung, sich auf keinen Fall zu besinnen, wo Sir Edward Makel sich für einen britischen Unterthan um eine Anstellung oder eine Konzession beworben oder ein derartiges Gesuch befürwortet hätte, und Herr de Blignieres bestätigte diese Angabe." Das Bestreben, durch doppelte Besetzung jedes amtlichen Postens am Nil dort eine Art Gleichgewicht der Kräfte zwischen England und Frankreich herzu¬ stellen, führte zu einer Wirtschaft, die sehr große Ausgaben veranlaßte und den Gang der Geschichte in verhängnisvoller Weise lähmte. In manchen Depar¬ tements gab es sogar drei Chefs zur Bewältigung von Arbeiten, die besser von einem einzigen besorgt worden wären: einen ägyptischen, der den Glauben zu erwecken und zu erhalten bestimmt war, die Verwaltung sei eine nationale, einen englischen, der ihm auf die Finger sehen sollte, und einen französischen, der seinen westlichen Kollege» und Nebenbuhler zu überwachen hatte. Drei Gehalte also statt eines einzigen wurden dem armen, geduldigen Fallens aufgeladen, der schließlich mit seiner Steuerkraft für diese unerhörte Mißwirtschaft auszukommen hatte. Dies erklärt das fortwährende Anwachsen der Zahl der europäischen Beamten in Diensten des Chedive, als die beiden Westmächte gemeinschaftlich hier ihren Einfluß ausübten. Im Jahre 1879 gab es hier ungefähr 750 Beamte dieser Art, aber im März 1882 war deren Zahl beinahe auf das doppelte gestiegen, und die Staatsausgaben für sie beliefen sich jährlich auf mehr als eine Million Mark. Sobald ein Engländer auf einen hohen und gutdotirten Posten gelangte, machte sichs der französische Generalkonsul unverweilt zur Ehrenpflicht, an die Minister das Verlangen zu richten, daß ihm für einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/229>, abgerufen am 24.07.2024.