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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Die ägyptische Krisis.

sie glauben, England müsse in seiner eignen Brühe schmoren. Die ägyptische
Politik Englands geht mit Sicherheit einer Niederlage entgegen, wenn die
französische Regierung bei ihrer zuwartenden Haltung verharrt. Sehr ernst
würde in der That die Verantwortlichkeit sein, die ein Kabinet übernähme, welches
sich bereit erklärte, zum Danke sür die guten Dienste, die uns die Engländer
in Peking geleistet haben, ihnen in Afrika die Kastanien aus dem Feuer zu
holen. Hilft Frankreich den Engländern den falschen Propheten niederwerfen,
so opfert es seine letzte Aussicht auf Wiedererwcrbung seines Einflusses in
Ägypten."

Das ist eine sehr bezeichnende Sprache. Frankreich braucht sich nicht so¬
fort einzumischen, denn wenn es Zeit und Gelegenheit abwartet, werden sich
die Dinge schon zu seiner Befriedigung gestalten. Die Ägypter haben in ihren
Erfahrungen mit der britischen Herrschaft ein Haar gefunden, sie werden sich
naturgemäß den Franzosen zuwenden, und Frankreich wird dann, nicht mehr
gehemmt durch das Mitherrschen Englands, frei handeln können. Das ist der
Gedankengang, den die letzten Ereignisse am Nil einer starken Partei in Paris
eingegeben haben, und man kann wohl annehmen, daß, wenn Gladstone wieder
in unpraktische Anwandlungen zurückfällt, die französische Regierung wenigstens
versuchen wird, sich einzumischen.

Soweit sind die Sachen indes bis jetzt noch nicht gediehen, und auch die
Befürchtungen, welche die Einwirkung des französischen Generalkonsnls in Kairo
bei den Engländern wachgerufen haben, können als unbegründet bezeichnet werden.
Wenn Sir Evelyn Baring den Franzosen bei der Zusammensetzung des neuen
Kabinets des Chedive einige Zugeständnisse gemacht hat, so will das politisch
nicht viel bedeuten. Mit ziemlicher Bestimmtheit darf vermutet werden, daß
Gladstone gegenwärtig durchaus nicht mehr daran denkt, seine Verantwortlich¬
keit und Englands Macht und Ansehen in Ägypten mit Frankreich zu teilen.
Die englische Regierung hat thatsächlich die Schutzherrschaft über das Reich des
Chedive in die Hand genommen und wird jedenfalls solange dort regieren, bis
ein dauerndes System der Verwaltung und Verteidigung hergestellt ist. Das
ist das mindeste, was von einer Macht beansprucht werden kann, die bei Tel
El Kebir nicht bloß das nationale Heer Ägyptens zertrümmert, sondern das
Gleichgewicht der Kräfte zerstört hat, welches das Land ein halbes Jahrhundert
hindurch zu einem Tummelplatze internationaler Ränke machte. England steht
jetzt allein in Ägypten und ist allein verantwortlich für den zukünftige!, Ver¬
lauf der Dinge. Europa erkennt das an. Frankreichs Rolle in der Angelegen¬
heit ist ihm deutlich vorgezeichnet. Es hat Ägypten aufgegeben, als es ihm
nicht schwer fiel, sich dort zu behaupten, und es kann England kaum daran
hindern, hier ein wirksames Protektorat aufzurichten oder das Land in mehr
oder minder erkennbarer Form der großen Kette seiner Kolonien einzuverleiben.
Einen andern Nebenbuhler als Frankreich hat England in Nordafrika nicht.


Die ägyptische Krisis.

sie glauben, England müsse in seiner eignen Brühe schmoren. Die ägyptische
Politik Englands geht mit Sicherheit einer Niederlage entgegen, wenn die
französische Regierung bei ihrer zuwartenden Haltung verharrt. Sehr ernst
würde in der That die Verantwortlichkeit sein, die ein Kabinet übernähme, welches
sich bereit erklärte, zum Danke sür die guten Dienste, die uns die Engländer
in Peking geleistet haben, ihnen in Afrika die Kastanien aus dem Feuer zu
holen. Hilft Frankreich den Engländern den falschen Propheten niederwerfen,
so opfert es seine letzte Aussicht auf Wiedererwcrbung seines Einflusses in
Ägypten."

Das ist eine sehr bezeichnende Sprache. Frankreich braucht sich nicht so¬
fort einzumischen, denn wenn es Zeit und Gelegenheit abwartet, werden sich
die Dinge schon zu seiner Befriedigung gestalten. Die Ägypter haben in ihren
Erfahrungen mit der britischen Herrschaft ein Haar gefunden, sie werden sich
naturgemäß den Franzosen zuwenden, und Frankreich wird dann, nicht mehr
gehemmt durch das Mitherrschen Englands, frei handeln können. Das ist der
Gedankengang, den die letzten Ereignisse am Nil einer starken Partei in Paris
eingegeben haben, und man kann wohl annehmen, daß, wenn Gladstone wieder
in unpraktische Anwandlungen zurückfällt, die französische Regierung wenigstens
versuchen wird, sich einzumischen.

Soweit sind die Sachen indes bis jetzt noch nicht gediehen, und auch die
Befürchtungen, welche die Einwirkung des französischen Generalkonsnls in Kairo
bei den Engländern wachgerufen haben, können als unbegründet bezeichnet werden.
Wenn Sir Evelyn Baring den Franzosen bei der Zusammensetzung des neuen
Kabinets des Chedive einige Zugeständnisse gemacht hat, so will das politisch
nicht viel bedeuten. Mit ziemlicher Bestimmtheit darf vermutet werden, daß
Gladstone gegenwärtig durchaus nicht mehr daran denkt, seine Verantwortlich¬
keit und Englands Macht und Ansehen in Ägypten mit Frankreich zu teilen.
Die englische Regierung hat thatsächlich die Schutzherrschaft über das Reich des
Chedive in die Hand genommen und wird jedenfalls solange dort regieren, bis
ein dauerndes System der Verwaltung und Verteidigung hergestellt ist. Das
ist das mindeste, was von einer Macht beansprucht werden kann, die bei Tel
El Kebir nicht bloß das nationale Heer Ägyptens zertrümmert, sondern das
Gleichgewicht der Kräfte zerstört hat, welches das Land ein halbes Jahrhundert
hindurch zu einem Tummelplatze internationaler Ränke machte. England steht
jetzt allein in Ägypten und ist allein verantwortlich für den zukünftige!, Ver¬
lauf der Dinge. Europa erkennt das an. Frankreichs Rolle in der Angelegen¬
heit ist ihm deutlich vorgezeichnet. Es hat Ägypten aufgegeben, als es ihm
nicht schwer fiel, sich dort zu behaupten, und es kann England kaum daran
hindern, hier ein wirksames Protektorat aufzurichten oder das Land in mehr
oder minder erkennbarer Form der großen Kette seiner Kolonien einzuverleiben.
Einen andern Nebenbuhler als Frankreich hat England in Nordafrika nicht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/228>, abgerufen am 24.07.2024.