Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite


Auf der Leiter des Glücks.
Robert Waldmüller (Ld. Duboc). Novelle von (FortschuW.)

le Wissen es nicht? rief Hermione. Und doch wollen Sie sich
über den Willen meiner Mutter stellen! Wenn man erfährt,
daß wir uns heimlich hier getroffen, ist mein Ruf kompromit-
tirt, Ihnen verschlägt es wenig, ob man Ihnen nachsagt, Sie
gingen auf Abenteuer aus. Sie dürfen ja nicht nach Ihrer
Neigung wählen. Aber ein Mädchen mit kompromittirtem Rufe ist wie ein
schadhaft gewordenes Glas. Für wen ist es noch gut genug?

Sie haben Recht, erwiederte der Prinz, und doch kann ich Sie nicht loslassen;
ich laenis nicht. El was, richtete er sich plötzlich auf und griff nach dem Bügel
seines neben ihm stehenden Rosses, kommen Sie! Die Sonne ist hinab. Von
hier aus haben wir unabsehbaren Wald. Mein Hengst trägt uns in drei Stunden
über die Grenze. Ich reiße einen breiten Graben zwischen mir und den Meinigen
auf. Man wird mich in die Acht erklären. Gleichviel, wir haben uns, wir
haben uns fürs Leben! Und mit kräftigem Arm zog er die vergebens angstvoll
Widerstrebende zu sich in den Sattel empor. Fort ging es.

Gott! Gott! rief Hermione, fast betäubt vor Verwirrung, Schreck und
leidenschaftlicher Erregung, denn das anfangs wild gewordene Roß begann seinem
Herrn zu gehorche", der tolle Ritt ging sausend über Stock und Stein, die
Funken sprühten, der weiße Schaum flog in Flocken umher, vom Wiehern des
lustig dahinjagenden Hengstes hallte der dichter und immer dichter werdende
Wald unheimlich wieder, und die Bäume wichen in immer sich steigernder Ge¬
schwindigkeit zurück. Und nochmals rief sie: Gott! Gott! Sie fühlte sich einer
Ohnmacht nahe. Erbarmen, Hoheit! Gnade! O wie Sie schlecht sind!

Damit schwanden ihr die Sinne.

Prinz Ottokar, zuerst mit dem Tiere vollauf beschäftigt, hatte nicht beachtet,
was sie rief; aber nun das Pferd fügsamer geworden war, verkürzte er den




Auf der Leiter des Glücks.
Robert Waldmüller (Ld. Duboc). Novelle von (FortschuW.)

le Wissen es nicht? rief Hermione. Und doch wollen Sie sich
über den Willen meiner Mutter stellen! Wenn man erfährt,
daß wir uns heimlich hier getroffen, ist mein Ruf kompromit-
tirt, Ihnen verschlägt es wenig, ob man Ihnen nachsagt, Sie
gingen auf Abenteuer aus. Sie dürfen ja nicht nach Ihrer
Neigung wählen. Aber ein Mädchen mit kompromittirtem Rufe ist wie ein
schadhaft gewordenes Glas. Für wen ist es noch gut genug?

Sie haben Recht, erwiederte der Prinz, und doch kann ich Sie nicht loslassen;
ich laenis nicht. El was, richtete er sich plötzlich auf und griff nach dem Bügel
seines neben ihm stehenden Rosses, kommen Sie! Die Sonne ist hinab. Von
hier aus haben wir unabsehbaren Wald. Mein Hengst trägt uns in drei Stunden
über die Grenze. Ich reiße einen breiten Graben zwischen mir und den Meinigen
auf. Man wird mich in die Acht erklären. Gleichviel, wir haben uns, wir
haben uns fürs Leben! Und mit kräftigem Arm zog er die vergebens angstvoll
Widerstrebende zu sich in den Sattel empor. Fort ging es.

Gott! Gott! rief Hermione, fast betäubt vor Verwirrung, Schreck und
leidenschaftlicher Erregung, denn das anfangs wild gewordene Roß begann seinem
Herrn zu gehorche», der tolle Ritt ging sausend über Stock und Stein, die
Funken sprühten, der weiße Schaum flog in Flocken umher, vom Wiehern des
lustig dahinjagenden Hengstes hallte der dichter und immer dichter werdende
Wald unheimlich wieder, und die Bäume wichen in immer sich steigernder Ge¬
schwindigkeit zurück. Und nochmals rief sie: Gott! Gott! Sie fühlte sich einer
Ohnmacht nahe. Erbarmen, Hoheit! Gnade! O wie Sie schlecht sind!

Damit schwanden ihr die Sinne.

Prinz Ottokar, zuerst mit dem Tiere vollauf beschäftigt, hatte nicht beachtet,
was sie rief; aber nun das Pferd fügsamer geworden war, verkürzte er den


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0216" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/155099"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341839_158199/figures/grenzboten_341839_158199_155099_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Auf der Leiter des Glücks.<lb/><note type="byline"> Robert Waldmüller (Ld. Duboc).</note> Novelle von (FortschuW.)</head><lb/>
          <p xml:id="ID_851"> le Wissen es nicht? rief Hermione. Und doch wollen Sie sich<lb/>
über den Willen meiner Mutter stellen! Wenn man erfährt,<lb/>
daß wir uns heimlich hier getroffen, ist mein Ruf kompromit-<lb/>
tirt, Ihnen verschlägt es wenig, ob man Ihnen nachsagt, Sie<lb/>
gingen auf Abenteuer aus. Sie dürfen ja nicht nach Ihrer<lb/>
Neigung wählen. Aber ein Mädchen mit kompromittirtem Rufe ist wie ein<lb/>
schadhaft gewordenes Glas. Für wen ist es noch gut genug?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_852"> Sie haben Recht, erwiederte der Prinz, und doch kann ich Sie nicht loslassen;<lb/>
ich laenis nicht. El was, richtete er sich plötzlich auf und griff nach dem Bügel<lb/>
seines neben ihm stehenden Rosses, kommen Sie! Die Sonne ist hinab. Von<lb/>
hier aus haben wir unabsehbaren Wald. Mein Hengst trägt uns in drei Stunden<lb/>
über die Grenze. Ich reiße einen breiten Graben zwischen mir und den Meinigen<lb/>
auf. Man wird mich in die Acht erklären. Gleichviel, wir haben uns, wir<lb/>
haben uns fürs Leben! Und mit kräftigem Arm zog er die vergebens angstvoll<lb/>
Widerstrebende zu sich in den Sattel empor. Fort ging es.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_853"> Gott! Gott! rief Hermione, fast betäubt vor Verwirrung, Schreck und<lb/>
leidenschaftlicher Erregung, denn das anfangs wild gewordene Roß begann seinem<lb/>
Herrn zu gehorche», der tolle Ritt ging sausend über Stock und Stein, die<lb/>
Funken sprühten, der weiße Schaum flog in Flocken umher, vom Wiehern des<lb/>
lustig dahinjagenden Hengstes hallte der dichter und immer dichter werdende<lb/>
Wald unheimlich wieder, und die Bäume wichen in immer sich steigernder Ge¬<lb/>
schwindigkeit zurück. Und nochmals rief sie: Gott! Gott! Sie fühlte sich einer<lb/>
Ohnmacht nahe. Erbarmen, Hoheit! Gnade! O wie Sie schlecht sind!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_854"> Damit schwanden ihr die Sinne.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_855" next="#ID_856"> Prinz Ottokar, zuerst mit dem Tiere vollauf beschäftigt, hatte nicht beachtet,<lb/>
was sie rief; aber nun das Pferd fügsamer geworden war, verkürzte er den</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0216] [Abbildung] Auf der Leiter des Glücks. Robert Waldmüller (Ld. Duboc). Novelle von (FortschuW.) le Wissen es nicht? rief Hermione. Und doch wollen Sie sich über den Willen meiner Mutter stellen! Wenn man erfährt, daß wir uns heimlich hier getroffen, ist mein Ruf kompromit- tirt, Ihnen verschlägt es wenig, ob man Ihnen nachsagt, Sie gingen auf Abenteuer aus. Sie dürfen ja nicht nach Ihrer Neigung wählen. Aber ein Mädchen mit kompromittirtem Rufe ist wie ein schadhaft gewordenes Glas. Für wen ist es noch gut genug? Sie haben Recht, erwiederte der Prinz, und doch kann ich Sie nicht loslassen; ich laenis nicht. El was, richtete er sich plötzlich auf und griff nach dem Bügel seines neben ihm stehenden Rosses, kommen Sie! Die Sonne ist hinab. Von hier aus haben wir unabsehbaren Wald. Mein Hengst trägt uns in drei Stunden über die Grenze. Ich reiße einen breiten Graben zwischen mir und den Meinigen auf. Man wird mich in die Acht erklären. Gleichviel, wir haben uns, wir haben uns fürs Leben! Und mit kräftigem Arm zog er die vergebens angstvoll Widerstrebende zu sich in den Sattel empor. Fort ging es. Gott! Gott! rief Hermione, fast betäubt vor Verwirrung, Schreck und leidenschaftlicher Erregung, denn das anfangs wild gewordene Roß begann seinem Herrn zu gehorche», der tolle Ritt ging sausend über Stock und Stein, die Funken sprühten, der weiße Schaum flog in Flocken umher, vom Wiehern des lustig dahinjagenden Hengstes hallte der dichter und immer dichter werdende Wald unheimlich wieder, und die Bäume wichen in immer sich steigernder Ge¬ schwindigkeit zurück. Und nochmals rief sie: Gott! Gott! Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Erbarmen, Hoheit! Gnade! O wie Sie schlecht sind! Damit schwanden ihr die Sinne. Prinz Ottokar, zuerst mit dem Tiere vollauf beschäftigt, hatte nicht beachtet, was sie rief; aber nun das Pferd fügsamer geworden war, verkürzte er den

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/216
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/216>, abgerufen am 25.08.2024.