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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Lin Vorläufer Tassalles.

Die Minderschätzung des wahren Wertes der Arbeit war früher nicht so
leicht möglich wie unter dem Geldsystcm; denn der jedesmalige Vergleich der
anszutanschcnden Produkte verhinderte meistens, daß dieselben zu gering an¬
geschlagen wurden.

Durch das Geld werden aber auch die Begierden und Genusse der bevor¬
zugten Klassen immer häufiger und unersättlicher, und mit ihnen wird die Last
der Arbeit und die Verringerung und Verschlechterung der Lebensmittel der
untersten arbeitenden Klassen immer fühlbarer.

Das Geld bewirkt die Korruption, den Betrug, die Fälschung, den Dieb¬
stahl. Die, welche das Geld haben, laden und richten die Batterien der Gesetze
und Strafen gegen die, welche es nicht haben. Der Starke beraubt den Schwachen
öffentlich und giebt der Beraubung einen nicht vom Gesetz strafbaren Namen,
wie: Kontribution, Steuer, Eigentum, Spekulation, Zins, Pfändung, Prozeß-
kvsten, Lvhnverkürzung, Wucher u. s. w.

So hat man nach und nach dem arbeitenden Volke aus dem Paradiese
dieser Welt ein Jammerthal geschaffen "voll bitterer Elendskräuter und heißer
Thränenqucllen,"

So Weitling in seiner Kritik der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung. Sie
ist vom extrem-sozialistischen Standpunkte aus vielleicht so gelungen, als es ohne
wissenschaftliche Einsicht in das Wesen der Volkswirtschaft überhaupt möglich
ist. Weitling Übersicht zwar einen hochwichtigen Punkt: die Absatzkriseu. Aber
er verwertet alles andre, was sich nur irgend dem Eigentum vorwerfen läßt,
ans eine solche Weise, daß es, wenn seine Kritik richtig wäre, wahrlich nicht
des Hinweises auf die Krisen bedürfte, um zur Verdammung des Eigentums
zu gelangen.

. Doch macht sich auf Schritt und Tritt jener Mangel an theoretischer
Bildung fühlbar. Schon sein Ausgangspunkt -- die Auffassung des Zustandes
des Jägervolkcs als eines paradiesischen -- ist ein grundfalscher. Selbst vom
biblischen Staudpunkte aus. Denn weder das alte noch das neue Testament
sagen uns, daß der Mensch im Paradiese als Jäger gelebt habe, wie Weitling
annimmt. Andrerseits ist die Ansicht, daß die Jügervölkcr so überaus glücklich
gelebt hätten, durch nichts gerechtfertigt. Im Gegenteil dürfen wir Wohl
glauben, daß damals eine Zeit fortwährender Mühsal und Entbehrung für alle
gewesen ist.

Auch Weitlings Theorie der Entstehung des Eigentums trifft für die
Wirklichkeit nicht zu. Indeß ist dies ja auch nnr Beiwerk. Das xunowm Lg.1lors
ist der Angriff auf das Eigentum selber.

Hier hat er zunächst genau auf dieselbe Weise wie Proudhon das Recht
der ersten Besitzergreifung bestritten. Dasselbe soll nur so lange gelten, als
jedermann okkupiren kann. Mit diesem Einwände ist aber nur bewiesen, daß
die Okkupation nicht das Eigentum begründen könne, nicht aber, daß das


Lin Vorläufer Tassalles.

Die Minderschätzung des wahren Wertes der Arbeit war früher nicht so
leicht möglich wie unter dem Geldsystcm; denn der jedesmalige Vergleich der
anszutanschcnden Produkte verhinderte meistens, daß dieselben zu gering an¬
geschlagen wurden.

Durch das Geld werden aber auch die Begierden und Genusse der bevor¬
zugten Klassen immer häufiger und unersättlicher, und mit ihnen wird die Last
der Arbeit und die Verringerung und Verschlechterung der Lebensmittel der
untersten arbeitenden Klassen immer fühlbarer.

Das Geld bewirkt die Korruption, den Betrug, die Fälschung, den Dieb¬
stahl. Die, welche das Geld haben, laden und richten die Batterien der Gesetze
und Strafen gegen die, welche es nicht haben. Der Starke beraubt den Schwachen
öffentlich und giebt der Beraubung einen nicht vom Gesetz strafbaren Namen,
wie: Kontribution, Steuer, Eigentum, Spekulation, Zins, Pfändung, Prozeß-
kvsten, Lvhnverkürzung, Wucher u. s. w.

So hat man nach und nach dem arbeitenden Volke aus dem Paradiese
dieser Welt ein Jammerthal geschaffen „voll bitterer Elendskräuter und heißer
Thränenqucllen,"

So Weitling in seiner Kritik der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung. Sie
ist vom extrem-sozialistischen Standpunkte aus vielleicht so gelungen, als es ohne
wissenschaftliche Einsicht in das Wesen der Volkswirtschaft überhaupt möglich
ist. Weitling Übersicht zwar einen hochwichtigen Punkt: die Absatzkriseu. Aber
er verwertet alles andre, was sich nur irgend dem Eigentum vorwerfen läßt,
ans eine solche Weise, daß es, wenn seine Kritik richtig wäre, wahrlich nicht
des Hinweises auf die Krisen bedürfte, um zur Verdammung des Eigentums
zu gelangen.

. Doch macht sich auf Schritt und Tritt jener Mangel an theoretischer
Bildung fühlbar. Schon sein Ausgangspunkt — die Auffassung des Zustandes
des Jägervolkcs als eines paradiesischen — ist ein grundfalscher. Selbst vom
biblischen Staudpunkte aus. Denn weder das alte noch das neue Testament
sagen uns, daß der Mensch im Paradiese als Jäger gelebt habe, wie Weitling
annimmt. Andrerseits ist die Ansicht, daß die Jügervölkcr so überaus glücklich
gelebt hätten, durch nichts gerechtfertigt. Im Gegenteil dürfen wir Wohl
glauben, daß damals eine Zeit fortwährender Mühsal und Entbehrung für alle
gewesen ist.

Auch Weitlings Theorie der Entstehung des Eigentums trifft für die
Wirklichkeit nicht zu. Indeß ist dies ja auch nnr Beiwerk. Das xunowm Lg.1lors
ist der Angriff auf das Eigentum selber.

Hier hat er zunächst genau auf dieselbe Weise wie Proudhon das Recht
der ersten Besitzergreifung bestritten. Dasselbe soll nur so lange gelten, als
jedermann okkupiren kann. Mit diesem Einwände ist aber nur bewiesen, daß
die Okkupation nicht das Eigentum begründen könne, nicht aber, daß das


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[0184] Lin Vorläufer Tassalles. Die Minderschätzung des wahren Wertes der Arbeit war früher nicht so leicht möglich wie unter dem Geldsystcm; denn der jedesmalige Vergleich der anszutanschcnden Produkte verhinderte meistens, daß dieselben zu gering an¬ geschlagen wurden. Durch das Geld werden aber auch die Begierden und Genusse der bevor¬ zugten Klassen immer häufiger und unersättlicher, und mit ihnen wird die Last der Arbeit und die Verringerung und Verschlechterung der Lebensmittel der untersten arbeitenden Klassen immer fühlbarer. Das Geld bewirkt die Korruption, den Betrug, die Fälschung, den Dieb¬ stahl. Die, welche das Geld haben, laden und richten die Batterien der Gesetze und Strafen gegen die, welche es nicht haben. Der Starke beraubt den Schwachen öffentlich und giebt der Beraubung einen nicht vom Gesetz strafbaren Namen, wie: Kontribution, Steuer, Eigentum, Spekulation, Zins, Pfändung, Prozeß- kvsten, Lvhnverkürzung, Wucher u. s. w. So hat man nach und nach dem arbeitenden Volke aus dem Paradiese dieser Welt ein Jammerthal geschaffen „voll bitterer Elendskräuter und heißer Thränenqucllen," So Weitling in seiner Kritik der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung. Sie ist vom extrem-sozialistischen Standpunkte aus vielleicht so gelungen, als es ohne wissenschaftliche Einsicht in das Wesen der Volkswirtschaft überhaupt möglich ist. Weitling Übersicht zwar einen hochwichtigen Punkt: die Absatzkriseu. Aber er verwertet alles andre, was sich nur irgend dem Eigentum vorwerfen läßt, ans eine solche Weise, daß es, wenn seine Kritik richtig wäre, wahrlich nicht des Hinweises auf die Krisen bedürfte, um zur Verdammung des Eigentums zu gelangen. . Doch macht sich auf Schritt und Tritt jener Mangel an theoretischer Bildung fühlbar. Schon sein Ausgangspunkt — die Auffassung des Zustandes des Jägervolkcs als eines paradiesischen — ist ein grundfalscher. Selbst vom biblischen Staudpunkte aus. Denn weder das alte noch das neue Testament sagen uns, daß der Mensch im Paradiese als Jäger gelebt habe, wie Weitling annimmt. Andrerseits ist die Ansicht, daß die Jügervölkcr so überaus glücklich gelebt hätten, durch nichts gerechtfertigt. Im Gegenteil dürfen wir Wohl glauben, daß damals eine Zeit fortwährender Mühsal und Entbehrung für alle gewesen ist. Auch Weitlings Theorie der Entstehung des Eigentums trifft für die Wirklichkeit nicht zu. Indeß ist dies ja auch nnr Beiwerk. Das xunowm Lg.1lors ist der Angriff auf das Eigentum selber. Hier hat er zunächst genau auf dieselbe Weise wie Proudhon das Recht der ersten Besitzergreifung bestritten. Dasselbe soll nur so lange gelten, als jedermann okkupiren kann. Mit diesem Einwände ist aber nur bewiesen, daß die Okkupation nicht das Eigentum begründen könne, nicht aber, daß das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/184>, abgerufen am 23.07.2024.