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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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die daraus entstehende Gemeinschaft der Sprache und Sitte, sich als eine besondre
Gesellschaft zu betrachten. Auf diese Weise entstanden die Völker. Durch die
beständigen Feindseligkeiten der Völker gegeneinander bildete sich aber allmählich
eine Kluft zwischen ihnen. Um dieselbe besser zu bezeichnen, nahm man die
Natur zu Hilfe und erfand die Grenzen. Auch diese wurden sodann Eigentum
je eines Volkes. So hat denn das Eigentum den schrecklichsten der Schrecken,
den Krieg, hervorgerufen.

Der Krieg machte seinerseits die Sklaverei möglich. Da die Arbeit dem
Menschen beschwerlich war und vom Krieger verachtet wurde, so kam derselbe
auf den Gedanken, die in den Kriegen gemachten Gefangenen, anstatt sie zu
töten, zur Arbeit für die Sieger zu zwingen. Dafür wurde" sie genährt, hatten
jedoch keinen Willen als den ihrer Herren.

Inzwischen hatte sich der Ackerbau immermehr vervollkommnet, hatten sich
die Genüsse des Menschen immermehr vervielfältigt. Da nun ein jeder zu einer
andern Arbeit vorzüglich geeignet war, so fertigte auch jeder eine andre Gattung
von Produkten und tauschte dieselben gegen die Produkte andrer aus. Da aber
die Arbeit nicht geregelt war, so speicherten die einen die besten Materialien zur
Produktion auf, um dadurch die andern zu zwingen, dieselben von den Auf¬
speicheren, mit Verlust einzutauschen. So gelangten durch den Tauschhandel
manche Unternehmer in den Besitz ungemessener Güter, was ihnen großen Ein¬
fluß auf die weniger Begüterten verschaffte. Immer höher stieg damit die Achtung
vor dem Reichen, immer tiefer sank darin der Arme. Daher ward "immermehr
Reichtum" das Losungswort jedes Einzelnen, und der Eigennutz breitete sich
immer weiter aus.

Die Unbequemlichkeit beim Austausch der Produkte führte zur Erfindung
des Geldes. Stücke Metalls dienten zur Bestimmung der Werte der umzu¬
tauschenden Waaren. Auf diese Weise erhielten diese Stücke einen Wert, den
sie an sich nicht hatten und den die Launen und Listen des Besitzes vermehrte"
oder verminderten. Nun konnte man ruhig die Sklaverei abschaffen. Durch das
Geld wurden doch die alten Zustände beibehalten, ja verschlimmert. Den" während
der Herr dafür sorgte, daß der Sklave sich nicht überarbeitete, um ihn nicht
vorzeitig sich abnutzen zu lassen, preßte der Unternehmer soviel als möglich ans
dem Arbeiter heraus, um ih" dann, wenn er schwach war, auf das Pflaster zu
werfen und, ohne sich weiter um sein Schicksal zu kümmern, dnrch einen andern,
noch kräftigen Arbeiter zu ersetzen. Das Geld hat also das Elend bis auf die
Spitze getrieben. Es hat den Eigennutz aller entfesselt, alles Schamgefühl ver¬
nichtet. Früher raubte man junge Mädchen und Weiber, tauschte und ver¬
tauschte sie wie das Vieh, entriß sie mit Gewalt den Armen ihrer Eltern, Brüder
und Gatten; das Gcldsystcm hat es soweit gebracht, daß sie sich selber an die
Geldmänner verkaufen und Schönheit und Reize, Tugend und Unschuld gegen
Geld umtauschen.


Liu on»-l«nfor Lnssalles.

die daraus entstehende Gemeinschaft der Sprache und Sitte, sich als eine besondre
Gesellschaft zu betrachten. Auf diese Weise entstanden die Völker. Durch die
beständigen Feindseligkeiten der Völker gegeneinander bildete sich aber allmählich
eine Kluft zwischen ihnen. Um dieselbe besser zu bezeichnen, nahm man die
Natur zu Hilfe und erfand die Grenzen. Auch diese wurden sodann Eigentum
je eines Volkes. So hat denn das Eigentum den schrecklichsten der Schrecken,
den Krieg, hervorgerufen.

Der Krieg machte seinerseits die Sklaverei möglich. Da die Arbeit dem
Menschen beschwerlich war und vom Krieger verachtet wurde, so kam derselbe
auf den Gedanken, die in den Kriegen gemachten Gefangenen, anstatt sie zu
töten, zur Arbeit für die Sieger zu zwingen. Dafür wurde» sie genährt, hatten
jedoch keinen Willen als den ihrer Herren.

Inzwischen hatte sich der Ackerbau immermehr vervollkommnet, hatten sich
die Genüsse des Menschen immermehr vervielfältigt. Da nun ein jeder zu einer
andern Arbeit vorzüglich geeignet war, so fertigte auch jeder eine andre Gattung
von Produkten und tauschte dieselben gegen die Produkte andrer aus. Da aber
die Arbeit nicht geregelt war, so speicherten die einen die besten Materialien zur
Produktion auf, um dadurch die andern zu zwingen, dieselben von den Auf¬
speicheren, mit Verlust einzutauschen. So gelangten durch den Tauschhandel
manche Unternehmer in den Besitz ungemessener Güter, was ihnen großen Ein¬
fluß auf die weniger Begüterten verschaffte. Immer höher stieg damit die Achtung
vor dem Reichen, immer tiefer sank darin der Arme. Daher ward „immermehr
Reichtum" das Losungswort jedes Einzelnen, und der Eigennutz breitete sich
immer weiter aus.

Die Unbequemlichkeit beim Austausch der Produkte führte zur Erfindung
des Geldes. Stücke Metalls dienten zur Bestimmung der Werte der umzu¬
tauschenden Waaren. Auf diese Weise erhielten diese Stücke einen Wert, den
sie an sich nicht hatten und den die Launen und Listen des Besitzes vermehrte»
oder verminderten. Nun konnte man ruhig die Sklaverei abschaffen. Durch das
Geld wurden doch die alten Zustände beibehalten, ja verschlimmert. Den» während
der Herr dafür sorgte, daß der Sklave sich nicht überarbeitete, um ihn nicht
vorzeitig sich abnutzen zu lassen, preßte der Unternehmer soviel als möglich ans
dem Arbeiter heraus, um ih» dann, wenn er schwach war, auf das Pflaster zu
werfen und, ohne sich weiter um sein Schicksal zu kümmern, dnrch einen andern,
noch kräftigen Arbeiter zu ersetzen. Das Geld hat also das Elend bis auf die
Spitze getrieben. Es hat den Eigennutz aller entfesselt, alles Schamgefühl ver¬
nichtet. Früher raubte man junge Mädchen und Weiber, tauschte und ver¬
tauschte sie wie das Vieh, entriß sie mit Gewalt den Armen ihrer Eltern, Brüder
und Gatten; das Gcldsystcm hat es soweit gebracht, daß sie sich selber an die
Geldmänner verkaufen und Schönheit und Reize, Tugend und Unschuld gegen
Geld umtauschen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/183>, abgerufen am 24.07.2024.