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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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<Lin Vorläufer Lassalles.

Freiheit," heraus (in einer Auflage von 2000 Exemplaren. Die dritte Anf¬
löge erschien 184ö in Hamburg).

Weitlings Agitation beschränkte sich aber nicht auf schriftstellerische Thätig¬
keit. Er gründete an mehreren Orten kommunistische Vereine und leitete über¬
haupt die Arbeiterbewegung durch Korrespondenzen mit allen irgendwie be¬
deutenderen Persönlichkeiten, die der neuen Lehre zugethan waren. Bald hatte
er eine ganze Anzahl von Leuten gefunden, die sich zu Agitatoren seiner Sache
brauchen ließen. Vor allem ist August Becker zu nennen, der die beiden Bro¬
schüren "Vollsphilosvphic" und "Was wollen die Kommunisten?" verfaßte.
Ferner Sebastian Seiler, der "Geheime Mitteilungen aus Zürich" schrieb;
Dr. Kulmann, welcher das "System der neuen Welt" dem Volke enthüllte;
August Dietsch, der das "Tausendjährige Reich" schilderte; endlich Albrecht "der
Prophet," wie er sich selbst gern nannte. Dieser letztere gute Mann, welcher
schon von vornherein einem sclbstkonstrnirtcn religiösen Mhstizismns zugethan
war, wurde dnrch die neue Lehre gänzlich verrückt. Schon die Titel seiner
Broschüren deuten zum Teil darauf hin. Sie lauten: "Herausforderung der
Priesterwclt," "Das Ziel im Rosamunde, eine Mahnung an die Wilhelm Teils
unsrer Zeit," "Das baldige Wiedersehe" am Altare der Freiheit," "Die Wieder¬
herstellung des Reiches Zion," "Der Aufruf an die Frauenwelt" n. s. w.
Übrigens erschien Albrecht selbst seinen kommunistischen Parteigenossen als voll¬
kommener Narr, wie ein Brief Beckers an Weitling beweist.

Auch Karl Gutzkow wurde von Weitling für den Kommunismus zu ge¬
winnen gesucht. So große Teilnahme indes der berühmte Literat dem Arbeiter¬
führer entgegenbrachte, so konnte er sich doch nicht entschließen, seiner Lehre
beizutreten.

Die extreme Agitation Weitlings sollte aber nicht ungestört verlaufen. Als
er 1843, um den Druck einer ncnvcrfaßten Schrift, des "Evangeliums des armen
Sünders," zu betreiben, nach Zürich reiste, wurde er dort verhaftet und die
ganze Auflage noch vor ihrer Ausgabe mit Beschlag belegt. Er selbst wurde
dann zu sechs Monaten verurteilt und an Preußen ausgeliefert, das ihn jedoch auf
freien Fuß setzte. In den folgenden Jahren, in welchen er sich bald in Hamburg,
bald in Amerika, bald in Frankreich aufhielt, ließ er eine Anzahl kommunistischer
Schriften erscheinen, vor allem (1843) eben jenes "Evangelium" (zweite
Auflage 1846, schon 1843 ins Französische übersetzt), ferner den "Notruf an
die Männer der Arbeit und der Sorge." Im März 1848 kam er nach Dentsch-
land zurück, wo er die letztere Broschüre (in zweiter Auflage) in Massen verbreitete.
'Im Sommer 1848 erschien er in Berlin, wo er eine Wochenschrift "Der Ur-
wühlcr" herausgab, die aber schon mit der fünften Nummer an Abonnenten-
schwindsncht starb.

Am 21. November 1848 ans Berlin ausgewiesen, begab er sich nach
Hamburg, wo er für den ursprünglich in Amerika gegründeten "Kommunistischen


<Lin Vorläufer Lassalles.

Freiheit," heraus (in einer Auflage von 2000 Exemplaren. Die dritte Anf¬
löge erschien 184ö in Hamburg).

Weitlings Agitation beschränkte sich aber nicht auf schriftstellerische Thätig¬
keit. Er gründete an mehreren Orten kommunistische Vereine und leitete über¬
haupt die Arbeiterbewegung durch Korrespondenzen mit allen irgendwie be¬
deutenderen Persönlichkeiten, die der neuen Lehre zugethan waren. Bald hatte
er eine ganze Anzahl von Leuten gefunden, die sich zu Agitatoren seiner Sache
brauchen ließen. Vor allem ist August Becker zu nennen, der die beiden Bro¬
schüren „Vollsphilosvphic" und „Was wollen die Kommunisten?" verfaßte.
Ferner Sebastian Seiler, der „Geheime Mitteilungen aus Zürich" schrieb;
Dr. Kulmann, welcher das „System der neuen Welt" dem Volke enthüllte;
August Dietsch, der das „Tausendjährige Reich" schilderte; endlich Albrecht „der
Prophet," wie er sich selbst gern nannte. Dieser letztere gute Mann, welcher
schon von vornherein einem sclbstkonstrnirtcn religiösen Mhstizismns zugethan
war, wurde dnrch die neue Lehre gänzlich verrückt. Schon die Titel seiner
Broschüren deuten zum Teil darauf hin. Sie lauten: „Herausforderung der
Priesterwclt," „Das Ziel im Rosamunde, eine Mahnung an die Wilhelm Teils
unsrer Zeit," „Das baldige Wiedersehe» am Altare der Freiheit," „Die Wieder¬
herstellung des Reiches Zion," „Der Aufruf an die Frauenwelt" n. s. w.
Übrigens erschien Albrecht selbst seinen kommunistischen Parteigenossen als voll¬
kommener Narr, wie ein Brief Beckers an Weitling beweist.

Auch Karl Gutzkow wurde von Weitling für den Kommunismus zu ge¬
winnen gesucht. So große Teilnahme indes der berühmte Literat dem Arbeiter¬
führer entgegenbrachte, so konnte er sich doch nicht entschließen, seiner Lehre
beizutreten.

Die extreme Agitation Weitlings sollte aber nicht ungestört verlaufen. Als
er 1843, um den Druck einer ncnvcrfaßten Schrift, des „Evangeliums des armen
Sünders," zu betreiben, nach Zürich reiste, wurde er dort verhaftet und die
ganze Auflage noch vor ihrer Ausgabe mit Beschlag belegt. Er selbst wurde
dann zu sechs Monaten verurteilt und an Preußen ausgeliefert, das ihn jedoch auf
freien Fuß setzte. In den folgenden Jahren, in welchen er sich bald in Hamburg,
bald in Amerika, bald in Frankreich aufhielt, ließ er eine Anzahl kommunistischer
Schriften erscheinen, vor allem (1843) eben jenes „Evangelium" (zweite
Auflage 1846, schon 1843 ins Französische übersetzt), ferner den „Notruf an
die Männer der Arbeit und der Sorge." Im März 1848 kam er nach Dentsch-
land zurück, wo er die letztere Broschüre (in zweiter Auflage) in Massen verbreitete.
'Im Sommer 1848 erschien er in Berlin, wo er eine Wochenschrift „Der Ur-
wühlcr" herausgab, die aber schon mit der fünften Nummer an Abonnenten-
schwindsncht starb.

Am 21. November 1848 ans Berlin ausgewiesen, begab er sich nach
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/180>, abgerufen am 04.07.2024.