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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Der neue Unfallversicherungsentwmf.

der Entschädigungsgelder überhaupt erfolgen soll, und wir werden davon unten
noch weiter zu reden haben. Was die zweite vom Reiche gewährte Beihilfe be¬
trifft, so hängt deren pekuniärer Wert davon ab, in welchem Maße die Post¬
Verwaltung die bei ihr verfügbar werdenden Gelder verzinslich anlegen würde,
wenn sie nicht zur Auszahlung an die Entschädigungsberechtigten verwendet
werden müßten. Auf diese Frage vermögen wir unsrerseits leine Antwort zu
geben. Aber selbst angenommen, die Postverwaltung sei imstande, alle diese
Gelder sofort verzinslich anzulegen, so würde ihr Zinsverlust doch nur etwa
in dem halbjährigen Zinsbeträge der durchschnittlich im Laufe des Jahres zur
Auszahlung gelangenden Gelder bestehen. Schlagen wir diesen Betrag nach
der Schätzung der Regierung zu dreizehn Millionen Mark an, und berechnen
wir die Zinsen zu vier Prozent, so würde also das Opfer, welches das Reich
brächte, in 260 000 Mark bestehen. Das würde doch im Verhältnis zu einer
Institution von dieser Bedeutung eine wahre Bagatelle sein, von der man in
der That nicht reden sollte. Wenn übrigens gesagt wird, daß bei den Privat¬
gesellschaften das Aktienkapital den "Betriebsfonds" bilde, so ist dies durchaus
unrichtig. Da die Versicherungsgesellschaften durchweg die Prämien voraus
erheben, so haben sie, solange sie nicht etwa mit Verlust arbeite", ein besondres
Betriebskapital garnicht nötig. Vielmehr steckt ihr Betriebskapital schon in den
vorausgezahlten Prämien; zumal wenn die zu zahlenden Entschädigungen, wie
bei der Unfallversicherung, erst in weiter Zukunft fällig werden. Das Aktien¬
kapital wird deswegen auch in der Regel nur zum geringsten Teile baar ein¬
gezahlt; und auch dieser eingezahlte Teil bildet regelmäßig nicht einen Betriebs¬
fonds, sondern nur einen Reservefonds, dessen Zinsen den Aktionären in den
Dividenden wieder zu Gute kommen.

Die schwierigste Frage ist ohne Zweifel die der Organisation. Hat letztere
auch durch die Schaffung eines Reichsversichcrungsamtes einen wesentlichen Fort¬
schritt gemacht, so bietet sie doch in ihrer weiteren Gestaltung noch immer Stoff
zu erheblichen Zweifeln. Unterhalb des Reichsversicherungsamtes soll alles auf
die Selbstverwaltung der Genosseuschaftsorgcme gestellt werden. Die Genossen¬
schaften aber sollen, soweit sie nicht selbst in Sektionen sich auseinanderlegen,
die beteiligten Kreise des ganzen Reiches umfassen. Wir können nicht umhin,
dem Zweifel Ausdruck zu geben, ob diese Organisation für einen gedeihlichen
Geschäftsbetrieb genügende Gewähr biete. Denken wir uns, daß sämtliche In¬
haber gewisser über ganz Deutschland verbreiteten Fabriken nach irgend einem
zentralen Orte, sagen wir Berlin, Leipzig oder Frankfurt a. M., zusammen-
berufen würden. Sie fänden allerdings dort den "Vertreter des Reichsversiche¬
rungsamtes," welcher nach Nummer 10 des Entwurfs die formale Geschäfts¬
leitung bis zur Wahl des Vorstandes übernehmen und auch noch weiter, jedoch,
wenn wir es recht verstehen, nur bis zur Konstituirung der Genossenschaft,
"gehört werden soll." Nun sollen die Zusammenberufenen ein Statut anfertigen


Der neue Unfallversicherungsentwmf.

der Entschädigungsgelder überhaupt erfolgen soll, und wir werden davon unten
noch weiter zu reden haben. Was die zweite vom Reiche gewährte Beihilfe be¬
trifft, so hängt deren pekuniärer Wert davon ab, in welchem Maße die Post¬
Verwaltung die bei ihr verfügbar werdenden Gelder verzinslich anlegen würde,
wenn sie nicht zur Auszahlung an die Entschädigungsberechtigten verwendet
werden müßten. Auf diese Frage vermögen wir unsrerseits leine Antwort zu
geben. Aber selbst angenommen, die Postverwaltung sei imstande, alle diese
Gelder sofort verzinslich anzulegen, so würde ihr Zinsverlust doch nur etwa
in dem halbjährigen Zinsbeträge der durchschnittlich im Laufe des Jahres zur
Auszahlung gelangenden Gelder bestehen. Schlagen wir diesen Betrag nach
der Schätzung der Regierung zu dreizehn Millionen Mark an, und berechnen
wir die Zinsen zu vier Prozent, so würde also das Opfer, welches das Reich
brächte, in 260 000 Mark bestehen. Das würde doch im Verhältnis zu einer
Institution von dieser Bedeutung eine wahre Bagatelle sein, von der man in
der That nicht reden sollte. Wenn übrigens gesagt wird, daß bei den Privat¬
gesellschaften das Aktienkapital den „Betriebsfonds" bilde, so ist dies durchaus
unrichtig. Da die Versicherungsgesellschaften durchweg die Prämien voraus
erheben, so haben sie, solange sie nicht etwa mit Verlust arbeite», ein besondres
Betriebskapital garnicht nötig. Vielmehr steckt ihr Betriebskapital schon in den
vorausgezahlten Prämien; zumal wenn die zu zahlenden Entschädigungen, wie
bei der Unfallversicherung, erst in weiter Zukunft fällig werden. Das Aktien¬
kapital wird deswegen auch in der Regel nur zum geringsten Teile baar ein¬
gezahlt; und auch dieser eingezahlte Teil bildet regelmäßig nicht einen Betriebs¬
fonds, sondern nur einen Reservefonds, dessen Zinsen den Aktionären in den
Dividenden wieder zu Gute kommen.

Die schwierigste Frage ist ohne Zweifel die der Organisation. Hat letztere
auch durch die Schaffung eines Reichsversichcrungsamtes einen wesentlichen Fort¬
schritt gemacht, so bietet sie doch in ihrer weiteren Gestaltung noch immer Stoff
zu erheblichen Zweifeln. Unterhalb des Reichsversicherungsamtes soll alles auf
die Selbstverwaltung der Genosseuschaftsorgcme gestellt werden. Die Genossen¬
schaften aber sollen, soweit sie nicht selbst in Sektionen sich auseinanderlegen,
die beteiligten Kreise des ganzen Reiches umfassen. Wir können nicht umhin,
dem Zweifel Ausdruck zu geben, ob diese Organisation für einen gedeihlichen
Geschäftsbetrieb genügende Gewähr biete. Denken wir uns, daß sämtliche In¬
haber gewisser über ganz Deutschland verbreiteten Fabriken nach irgend einem
zentralen Orte, sagen wir Berlin, Leipzig oder Frankfurt a. M., zusammen-
berufen würden. Sie fänden allerdings dort den „Vertreter des Reichsversiche¬
rungsamtes," welcher nach Nummer 10 des Entwurfs die formale Geschäfts¬
leitung bis zur Wahl des Vorstandes übernehmen und auch noch weiter, jedoch,
wenn wir es recht verstehen, nur bis zur Konstituirung der Genossenschaft,
„gehört werden soll." Nun sollen die Zusammenberufenen ein Statut anfertigen


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[0174] Der neue Unfallversicherungsentwmf. der Entschädigungsgelder überhaupt erfolgen soll, und wir werden davon unten noch weiter zu reden haben. Was die zweite vom Reiche gewährte Beihilfe be¬ trifft, so hängt deren pekuniärer Wert davon ab, in welchem Maße die Post¬ Verwaltung die bei ihr verfügbar werdenden Gelder verzinslich anlegen würde, wenn sie nicht zur Auszahlung an die Entschädigungsberechtigten verwendet werden müßten. Auf diese Frage vermögen wir unsrerseits leine Antwort zu geben. Aber selbst angenommen, die Postverwaltung sei imstande, alle diese Gelder sofort verzinslich anzulegen, so würde ihr Zinsverlust doch nur etwa in dem halbjährigen Zinsbeträge der durchschnittlich im Laufe des Jahres zur Auszahlung gelangenden Gelder bestehen. Schlagen wir diesen Betrag nach der Schätzung der Regierung zu dreizehn Millionen Mark an, und berechnen wir die Zinsen zu vier Prozent, so würde also das Opfer, welches das Reich brächte, in 260 000 Mark bestehen. Das würde doch im Verhältnis zu einer Institution von dieser Bedeutung eine wahre Bagatelle sein, von der man in der That nicht reden sollte. Wenn übrigens gesagt wird, daß bei den Privat¬ gesellschaften das Aktienkapital den „Betriebsfonds" bilde, so ist dies durchaus unrichtig. Da die Versicherungsgesellschaften durchweg die Prämien voraus erheben, so haben sie, solange sie nicht etwa mit Verlust arbeite», ein besondres Betriebskapital garnicht nötig. Vielmehr steckt ihr Betriebskapital schon in den vorausgezahlten Prämien; zumal wenn die zu zahlenden Entschädigungen, wie bei der Unfallversicherung, erst in weiter Zukunft fällig werden. Das Aktien¬ kapital wird deswegen auch in der Regel nur zum geringsten Teile baar ein¬ gezahlt; und auch dieser eingezahlte Teil bildet regelmäßig nicht einen Betriebs¬ fonds, sondern nur einen Reservefonds, dessen Zinsen den Aktionären in den Dividenden wieder zu Gute kommen. Die schwierigste Frage ist ohne Zweifel die der Organisation. Hat letztere auch durch die Schaffung eines Reichsversichcrungsamtes einen wesentlichen Fort¬ schritt gemacht, so bietet sie doch in ihrer weiteren Gestaltung noch immer Stoff zu erheblichen Zweifeln. Unterhalb des Reichsversicherungsamtes soll alles auf die Selbstverwaltung der Genosseuschaftsorgcme gestellt werden. Die Genossen¬ schaften aber sollen, soweit sie nicht selbst in Sektionen sich auseinanderlegen, die beteiligten Kreise des ganzen Reiches umfassen. Wir können nicht umhin, dem Zweifel Ausdruck zu geben, ob diese Organisation für einen gedeihlichen Geschäftsbetrieb genügende Gewähr biete. Denken wir uns, daß sämtliche In¬ haber gewisser über ganz Deutschland verbreiteten Fabriken nach irgend einem zentralen Orte, sagen wir Berlin, Leipzig oder Frankfurt a. M., zusammen- berufen würden. Sie fänden allerdings dort den „Vertreter des Reichsversiche¬ rungsamtes," welcher nach Nummer 10 des Entwurfs die formale Geschäfts¬ leitung bis zur Wahl des Vorstandes übernehmen und auch noch weiter, jedoch, wenn wir es recht verstehen, nur bis zur Konstituirung der Genossenschaft, „gehört werden soll." Nun sollen die Zusammenberufenen ein Statut anfertigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/174>, abgerufen am 04.07.2024.