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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Ans der Leiter des Glücks.

Zwiegespräch an der Gartenbeete gekommen war, so hatte Hermine dem Prinzen
seit einigen Tagen regelmäßig spät nachmittags Gelegenheit gegeben, auf seinen
Spazierritten in einiger Entfernung von der Villa Mockritz ihr einsam zu be¬
gegnen und ihr ohne die immer doch störende Nähe seines Adjutanten den Hof
zu machen. Das sollte jetzt nicht wieder geschehen. Sie mußte dem Prinzen
sagen, daß sie sich sehr böse sei, den Befehlen ihrer Mutter so wenig gehorcht
zu haben, und er mußte ihr versprechen, nie wieder die Richtung seiner Ritte
hierher zu nehmen.

Sobald Lore daher fort war, griff Hermine nach Strohhut und Sonnen¬
schirm und enteilte in entgegengesetzter Richtung.

Die Mvorwiese war ein anmutiges Nixentanzplätzchen, das fast immer von
Vergißmeinnicht bläulich schimmerte. Aber wer nicht reichliches Fußzeug zu
Hause hatte, vermied doch die Moorwiese, so oft es fraglich war, ob am Ende
des schmalen Wiesenpfades nicht unversehens ein oder der andre Schuh sich im
Moorgrunde festgeankert hatte. Und diese Gefahr bedrohte jetzt, da es acht
Tage lang feuchte Witterung gewesen war, so ziemlich jeden Passante".

Dennoch hatte Fräulein von Mockritz Recht gehabt: nur auf jenem hinter
den Gärten der Chaussee zwischen Weidengebüschen und mannshohem Schilf
sich hinschlängelnden Pfade konnte der wichtige Montirungsbefehl ohne Auf¬
sehen zu erregen zur Ausführung gelangen, und da an den meisten, besonders
elastischen Terrain stellen große Feldsteine ans dem Moor herausragten, so mußte
zur Not das Wagnis bestanden werden.

Auch gelangte Lore glücklich nach der Villa Mockritz hinüber, wennschon
ihr an einigen mit Warnungsstrohwischen versehenen Stellen angst und bange
wurde. Als sie jedoch, mit den vielen Kleidern beladen, sich auf den Rückweg
begeben hatte, wäre es ihr bald schlecht ergangen, und daß es anders kam, ver¬
dankte sie nur dem Umstände, daß ein junger Mann von der Chaussee her ihre
Not bemerkte, rasch herbeieilte und ihr über die gefährlichsten Stellen hinweg¬
half, indem er die vor Angst schon halb Verwirrte fest umfaßte, gemeinsam mit
ihr von Stein zu Stein sprang und dabei sich ebenso wegkundig wie frohgemut
bezeigte, weshalb er schließlich mich, ehe Lore sich dessen versah, sich ohne viele
Umstände mit einem Kuß bezahlt machte.

Dies war kein andrer als -- Berthold, der Amerikaner, der dann ebenso
rasch, wie er gekommen war, wieder die Chaussee gewann, woselbst sein schwarzer
Diener mit dem Reisekoffer geduldig des Zurückkehrenden harrte. Daß beide
ihren Weg darauf fortsetzten, als sei nichts geschehen, glaubte Lore, der die
Wangen sehr glühten, noch zwischen den Weidenbüschen erkennen zu können,
allerdings ohne zu ahnen, daß sie von demjenigen geküßt worden sei, von dein
ihre junge Herrin beim Frisiren einmal in einer weitgehenden Vertraulichkeits¬
anwandlung gesagt hatte: Fran Anna, seine Pflegemutter, sei in ihn so ver¬
narrt, daß sie wohl nächstens sich ihm zu Liebe tätowiren lassen werde.


Ans der Leiter des Glücks.

Zwiegespräch an der Gartenbeete gekommen war, so hatte Hermine dem Prinzen
seit einigen Tagen regelmäßig spät nachmittags Gelegenheit gegeben, auf seinen
Spazierritten in einiger Entfernung von der Villa Mockritz ihr einsam zu be¬
gegnen und ihr ohne die immer doch störende Nähe seines Adjutanten den Hof
zu machen. Das sollte jetzt nicht wieder geschehen. Sie mußte dem Prinzen
sagen, daß sie sich sehr böse sei, den Befehlen ihrer Mutter so wenig gehorcht
zu haben, und er mußte ihr versprechen, nie wieder die Richtung seiner Ritte
hierher zu nehmen.

Sobald Lore daher fort war, griff Hermine nach Strohhut und Sonnen¬
schirm und enteilte in entgegengesetzter Richtung.

Die Mvorwiese war ein anmutiges Nixentanzplätzchen, das fast immer von
Vergißmeinnicht bläulich schimmerte. Aber wer nicht reichliches Fußzeug zu
Hause hatte, vermied doch die Moorwiese, so oft es fraglich war, ob am Ende
des schmalen Wiesenpfades nicht unversehens ein oder der andre Schuh sich im
Moorgrunde festgeankert hatte. Und diese Gefahr bedrohte jetzt, da es acht
Tage lang feuchte Witterung gewesen war, so ziemlich jeden Passante».

Dennoch hatte Fräulein von Mockritz Recht gehabt: nur auf jenem hinter
den Gärten der Chaussee zwischen Weidengebüschen und mannshohem Schilf
sich hinschlängelnden Pfade konnte der wichtige Montirungsbefehl ohne Auf¬
sehen zu erregen zur Ausführung gelangen, und da an den meisten, besonders
elastischen Terrain stellen große Feldsteine ans dem Moor herausragten, so mußte
zur Not das Wagnis bestanden werden.

Auch gelangte Lore glücklich nach der Villa Mockritz hinüber, wennschon
ihr an einigen mit Warnungsstrohwischen versehenen Stellen angst und bange
wurde. Als sie jedoch, mit den vielen Kleidern beladen, sich auf den Rückweg
begeben hatte, wäre es ihr bald schlecht ergangen, und daß es anders kam, ver¬
dankte sie nur dem Umstände, daß ein junger Mann von der Chaussee her ihre
Not bemerkte, rasch herbeieilte und ihr über die gefährlichsten Stellen hinweg¬
half, indem er die vor Angst schon halb Verwirrte fest umfaßte, gemeinsam mit
ihr von Stein zu Stein sprang und dabei sich ebenso wegkundig wie frohgemut
bezeigte, weshalb er schließlich mich, ehe Lore sich dessen versah, sich ohne viele
Umstände mit einem Kuß bezahlt machte.

Dies war kein andrer als — Berthold, der Amerikaner, der dann ebenso
rasch, wie er gekommen war, wieder die Chaussee gewann, woselbst sein schwarzer
Diener mit dem Reisekoffer geduldig des Zurückkehrenden harrte. Daß beide
ihren Weg darauf fortsetzten, als sei nichts geschehen, glaubte Lore, der die
Wangen sehr glühten, noch zwischen den Weidenbüschen erkennen zu können,
allerdings ohne zu ahnen, daß sie von demjenigen geküßt worden sei, von dein
ihre junge Herrin beim Frisiren einmal in einer weitgehenden Vertraulichkeits¬
anwandlung gesagt hatte: Fran Anna, seine Pflegemutter, sei in ihn so ver¬
narrt, daß sie wohl nächstens sich ihm zu Liebe tätowiren lassen werde.


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[0164] Ans der Leiter des Glücks. Zwiegespräch an der Gartenbeete gekommen war, so hatte Hermine dem Prinzen seit einigen Tagen regelmäßig spät nachmittags Gelegenheit gegeben, auf seinen Spazierritten in einiger Entfernung von der Villa Mockritz ihr einsam zu be¬ gegnen und ihr ohne die immer doch störende Nähe seines Adjutanten den Hof zu machen. Das sollte jetzt nicht wieder geschehen. Sie mußte dem Prinzen sagen, daß sie sich sehr böse sei, den Befehlen ihrer Mutter so wenig gehorcht zu haben, und er mußte ihr versprechen, nie wieder die Richtung seiner Ritte hierher zu nehmen. Sobald Lore daher fort war, griff Hermine nach Strohhut und Sonnen¬ schirm und enteilte in entgegengesetzter Richtung. Die Mvorwiese war ein anmutiges Nixentanzplätzchen, das fast immer von Vergißmeinnicht bläulich schimmerte. Aber wer nicht reichliches Fußzeug zu Hause hatte, vermied doch die Moorwiese, so oft es fraglich war, ob am Ende des schmalen Wiesenpfades nicht unversehens ein oder der andre Schuh sich im Moorgrunde festgeankert hatte. Und diese Gefahr bedrohte jetzt, da es acht Tage lang feuchte Witterung gewesen war, so ziemlich jeden Passante». Dennoch hatte Fräulein von Mockritz Recht gehabt: nur auf jenem hinter den Gärten der Chaussee zwischen Weidengebüschen und mannshohem Schilf sich hinschlängelnden Pfade konnte der wichtige Montirungsbefehl ohne Auf¬ sehen zu erregen zur Ausführung gelangen, und da an den meisten, besonders elastischen Terrain stellen große Feldsteine ans dem Moor herausragten, so mußte zur Not das Wagnis bestanden werden. Auch gelangte Lore glücklich nach der Villa Mockritz hinüber, wennschon ihr an einigen mit Warnungsstrohwischen versehenen Stellen angst und bange wurde. Als sie jedoch, mit den vielen Kleidern beladen, sich auf den Rückweg begeben hatte, wäre es ihr bald schlecht ergangen, und daß es anders kam, ver¬ dankte sie nur dem Umstände, daß ein junger Mann von der Chaussee her ihre Not bemerkte, rasch herbeieilte und ihr über die gefährlichsten Stellen hinweg¬ half, indem er die vor Angst schon halb Verwirrte fest umfaßte, gemeinsam mit ihr von Stein zu Stein sprang und dabei sich ebenso wegkundig wie frohgemut bezeigte, weshalb er schließlich mich, ehe Lore sich dessen versah, sich ohne viele Umstände mit einem Kuß bezahlt machte. Dies war kein andrer als — Berthold, der Amerikaner, der dann ebenso rasch, wie er gekommen war, wieder die Chaussee gewann, woselbst sein schwarzer Diener mit dem Reisekoffer geduldig des Zurückkehrenden harrte. Daß beide ihren Weg darauf fortsetzten, als sei nichts geschehen, glaubte Lore, der die Wangen sehr glühten, noch zwischen den Weidenbüschen erkennen zu können, allerdings ohne zu ahnen, daß sie von demjenigen geküßt worden sei, von dein ihre junge Herrin beim Frisiren einmal in einer weitgehenden Vertraulichkeits¬ anwandlung gesagt hatte: Fran Anna, seine Pflegemutter, sei in ihn so ver¬ narrt, daß sie wohl nächstens sich ihm zu Liebe tätowiren lassen werde.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/164>, abgerufen am 25.08.2024.