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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Friedensaussichten,

Wird, mit Grund unzufrieden über uns zu sein, ist unter Verständigen wohl
allgemeine Überzeugung,

Die Hauptbürgschaft für die fernere Erhaltung des Friedens liegt darin,
daß Fürst Bismnrck ihn aufrichtig wünscht; denn Berlin wurde 1871 das Zentrum
des politischen Systems Europas und ist es seitdem mit jedem Jahre mehr ge¬
worden, und zwar nicht sowohl wegen der Macht, die der Kaiser vertritt, als
infolge der immer weiter sich ausbreitenden Befriedigung über den maßvollen,
allen Nachbarn wohlwollenden, allen unmittelbar oder mittelbar zum Segen ge¬
reichenden Gebrauch dieser Macht. Eine andre Bürgschaft haben wir in der
Furcht aller Regierungen und Völker vor großen Kriegen. Zwar sind alle ge¬
rüstet wie nie zuvor, und der Engel des Friedens, der eine preußische Pickelhaube
trägt und ein Mausergewehr schüttert, mag den Franzosen als sehr groteske
Figur erscheinen. Aber in ver Legende tragen auch andre Engel Waffen, und
das Paradies sogar wird nach dem Sündenfalle von einem Engel bewacht, der ein
flammendes Schwert führt. Wir sind eben noch nicht in dem goldnen Zeitalter
der Dichter und Propheten, wo der Pardel sich neben das Lamm lagert, um
es zu liebkosen, wo es nicht mehr vorkommt, daß "grimme Krieger sich mit
Augen voll Haß begegnen, daß die Gefilde sich mit blinkendem Stahl bedecken
und die ehernen Posaunen Wut entzünden," wo alle Lanzen zu Sensen umge¬
schmiedet werden. Der Friede Europas war im letzten Jahrzehnt etwas wesentlich
andres. Allerdings trafen in dieser Zeit hier keine grimmen Kriegsleute mit
Blicken voll Haß aufeinander, und keine ehernen Posaunen -- höchstens die eine
oder die andre holzpapierne Zeitung mit chauvinistischen Leitartikeln -- versuchte,
Wut zu entzünden. Aber jeder Herbst bedeckt die Stoppelfelder mit dem Stahl
manöverirender Truppen, und wir haben noch nicht gehört, daß Lanzen sich in
friedliche Sensen verwandelt hätten. Der Friede, dessen wir uns erfreuen, ist die
von der Notwendigkeit gebotene Ruhe von Völkern, welche, von der Erfahrung
belehrt, sich scheuen, von neuem die furchtbare Tragödie des Krieges aufzuführen.
In alter Zeit waren Feldzüge in vielen ihrer Zustände und Ereignisse schreck¬
licher als heutzutage. Man tötete die Verwundeten und Gefangenen mit kaltem
Blute, man vernachlässigte die eignen Kameraden, wenn sie verwundet waren, die
Dörfer, welche das Heer durchzog, wurden verbrannt, die erstürmten Städte geplün¬
dert. In allen diesen Beziehungen ist es in den letzten Jahrzehnten wesentlich besser
geworden. Aber wenn die heutigen Kriege einen viel humaneren Charakter trage"
als die frühern, so sind sie in ihren Folgen weit ernstere Ereignisse als jene.
Die Heere waren ehedem verhältnismäßig klein -- selbst in den größten Schlachten
des spanischen Erbfolgekrieges und des siebenjährigen fochten selten viel mehr als
hunderttausend Mann mit einander -- und ihre Kosten waren dementsprechend
leicht zu tragen; eine geringe Minderheit der erwachsene" Bevölkerung allein
war den Gefahren des Lagers und der Gefechte ausgesetzt, und diese Minderheit
bestand zum guten Teil aus Elementen, mit deren Untergang das bürgerliche


Friedensaussichten,

Wird, mit Grund unzufrieden über uns zu sein, ist unter Verständigen wohl
allgemeine Überzeugung,

Die Hauptbürgschaft für die fernere Erhaltung des Friedens liegt darin,
daß Fürst Bismnrck ihn aufrichtig wünscht; denn Berlin wurde 1871 das Zentrum
des politischen Systems Europas und ist es seitdem mit jedem Jahre mehr ge¬
worden, und zwar nicht sowohl wegen der Macht, die der Kaiser vertritt, als
infolge der immer weiter sich ausbreitenden Befriedigung über den maßvollen,
allen Nachbarn wohlwollenden, allen unmittelbar oder mittelbar zum Segen ge¬
reichenden Gebrauch dieser Macht. Eine andre Bürgschaft haben wir in der
Furcht aller Regierungen und Völker vor großen Kriegen. Zwar sind alle ge¬
rüstet wie nie zuvor, und der Engel des Friedens, der eine preußische Pickelhaube
trägt und ein Mausergewehr schüttert, mag den Franzosen als sehr groteske
Figur erscheinen. Aber in ver Legende tragen auch andre Engel Waffen, und
das Paradies sogar wird nach dem Sündenfalle von einem Engel bewacht, der ein
flammendes Schwert führt. Wir sind eben noch nicht in dem goldnen Zeitalter
der Dichter und Propheten, wo der Pardel sich neben das Lamm lagert, um
es zu liebkosen, wo es nicht mehr vorkommt, daß „grimme Krieger sich mit
Augen voll Haß begegnen, daß die Gefilde sich mit blinkendem Stahl bedecken
und die ehernen Posaunen Wut entzünden," wo alle Lanzen zu Sensen umge¬
schmiedet werden. Der Friede Europas war im letzten Jahrzehnt etwas wesentlich
andres. Allerdings trafen in dieser Zeit hier keine grimmen Kriegsleute mit
Blicken voll Haß aufeinander, und keine ehernen Posaunen — höchstens die eine
oder die andre holzpapierne Zeitung mit chauvinistischen Leitartikeln — versuchte,
Wut zu entzünden. Aber jeder Herbst bedeckt die Stoppelfelder mit dem Stahl
manöverirender Truppen, und wir haben noch nicht gehört, daß Lanzen sich in
friedliche Sensen verwandelt hätten. Der Friede, dessen wir uns erfreuen, ist die
von der Notwendigkeit gebotene Ruhe von Völkern, welche, von der Erfahrung
belehrt, sich scheuen, von neuem die furchtbare Tragödie des Krieges aufzuführen.
In alter Zeit waren Feldzüge in vielen ihrer Zustände und Ereignisse schreck¬
licher als heutzutage. Man tötete die Verwundeten und Gefangenen mit kaltem
Blute, man vernachlässigte die eignen Kameraden, wenn sie verwundet waren, die
Dörfer, welche das Heer durchzog, wurden verbrannt, die erstürmten Städte geplün¬
dert. In allen diesen Beziehungen ist es in den letzten Jahrzehnten wesentlich besser
geworden. Aber wenn die heutigen Kriege einen viel humaneren Charakter trage»
als die frühern, so sind sie in ihren Folgen weit ernstere Ereignisse als jene.
Die Heere waren ehedem verhältnismäßig klein — selbst in den größten Schlachten
des spanischen Erbfolgekrieges und des siebenjährigen fochten selten viel mehr als
hunderttausend Mann mit einander — und ihre Kosten waren dementsprechend
leicht zu tragen; eine geringe Minderheit der erwachsene» Bevölkerung allein
war den Gefahren des Lagers und der Gefechte ausgesetzt, und diese Minderheit
bestand zum guten Teil aus Elementen, mit deren Untergang das bürgerliche


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[0124] Friedensaussichten, Wird, mit Grund unzufrieden über uns zu sein, ist unter Verständigen wohl allgemeine Überzeugung, Die Hauptbürgschaft für die fernere Erhaltung des Friedens liegt darin, daß Fürst Bismnrck ihn aufrichtig wünscht; denn Berlin wurde 1871 das Zentrum des politischen Systems Europas und ist es seitdem mit jedem Jahre mehr ge¬ worden, und zwar nicht sowohl wegen der Macht, die der Kaiser vertritt, als infolge der immer weiter sich ausbreitenden Befriedigung über den maßvollen, allen Nachbarn wohlwollenden, allen unmittelbar oder mittelbar zum Segen ge¬ reichenden Gebrauch dieser Macht. Eine andre Bürgschaft haben wir in der Furcht aller Regierungen und Völker vor großen Kriegen. Zwar sind alle ge¬ rüstet wie nie zuvor, und der Engel des Friedens, der eine preußische Pickelhaube trägt und ein Mausergewehr schüttert, mag den Franzosen als sehr groteske Figur erscheinen. Aber in ver Legende tragen auch andre Engel Waffen, und das Paradies sogar wird nach dem Sündenfalle von einem Engel bewacht, der ein flammendes Schwert führt. Wir sind eben noch nicht in dem goldnen Zeitalter der Dichter und Propheten, wo der Pardel sich neben das Lamm lagert, um es zu liebkosen, wo es nicht mehr vorkommt, daß „grimme Krieger sich mit Augen voll Haß begegnen, daß die Gefilde sich mit blinkendem Stahl bedecken und die ehernen Posaunen Wut entzünden," wo alle Lanzen zu Sensen umge¬ schmiedet werden. Der Friede Europas war im letzten Jahrzehnt etwas wesentlich andres. Allerdings trafen in dieser Zeit hier keine grimmen Kriegsleute mit Blicken voll Haß aufeinander, und keine ehernen Posaunen — höchstens die eine oder die andre holzpapierne Zeitung mit chauvinistischen Leitartikeln — versuchte, Wut zu entzünden. Aber jeder Herbst bedeckt die Stoppelfelder mit dem Stahl manöverirender Truppen, und wir haben noch nicht gehört, daß Lanzen sich in friedliche Sensen verwandelt hätten. Der Friede, dessen wir uns erfreuen, ist die von der Notwendigkeit gebotene Ruhe von Völkern, welche, von der Erfahrung belehrt, sich scheuen, von neuem die furchtbare Tragödie des Krieges aufzuführen. In alter Zeit waren Feldzüge in vielen ihrer Zustände und Ereignisse schreck¬ licher als heutzutage. Man tötete die Verwundeten und Gefangenen mit kaltem Blute, man vernachlässigte die eignen Kameraden, wenn sie verwundet waren, die Dörfer, welche das Heer durchzog, wurden verbrannt, die erstürmten Städte geplün¬ dert. In allen diesen Beziehungen ist es in den letzten Jahrzehnten wesentlich besser geworden. Aber wenn die heutigen Kriege einen viel humaneren Charakter trage» als die frühern, so sind sie in ihren Folgen weit ernstere Ereignisse als jene. Die Heere waren ehedem verhältnismäßig klein — selbst in den größten Schlachten des spanischen Erbfolgekrieges und des siebenjährigen fochten selten viel mehr als hunderttausend Mann mit einander — und ihre Kosten waren dementsprechend leicht zu tragen; eine geringe Minderheit der erwachsene» Bevölkerung allein war den Gefahren des Lagers und der Gefechte ausgesetzt, und diese Minderheit bestand zum guten Teil aus Elementen, mit deren Untergang das bürgerliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/124>, abgerufen am 22.07.2024.