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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

Auch die jungen Schoten hat sie heute ausgekernt; aber mit denen ist der Markt
noch ebenso knapp versorgt. Ich lege keinen Wert darauf. Was mich gefreut
hat, ist die Sicherheit, mit der ihr dergleichen kleine Verrichtungen von der
Hand gehen. Sie ist gut angeleitet. Das hätte ich nicht gedacht.

Ein andresmal sagte er: Ich habe mich immer gewundert, daß unsrer
Villa eins doch sehlt: eine Spieluhr. Hätte ich mir nicht das Wort gegeben,
die Einrichtung auch nicht in der kleinsten Kleinigkeit zu alteriren, so wärest dn
vor einer Überraschung nicht sicher gewesen -- an deinem Geburtstagsmorgen
hätte dich so etwas wie ein Choral oder eine unsrer Lieblingsarien aus dem
"Titus" wecken müssen. Damit ist es nichts; wir wissen, wie wir uns gegenseitig
verpflichtet haben, uns in den hier einmal waltenden Hausgeist hineinzuleben
und nicht umgekehrt mit ihm in Fehde zu geraten. Daran darf nicht ein
Titelchen geändert werden. Aber das muß ich sagen: immer eine lebendige
Spieluhr um sich zu haben, das muß ein Genuß sein. Da steht nun im Musik¬
zimmer der schöne Flügel und daneben das prächtige Harmonium. Wann
werden sie einmal benutzt? Wir haben beide nicht Musik gelernt, und nach¬
holen wie das bischen Gürtnerlatein läßt sich dergleichen nicht; die Finger sind
nicht mehr geschmeidig genug.

Frau Anna teilte das Bedauern ihres Gatten. Eine lebendige Spieluhr
wäre freilich, was auch mir mehr Freude machen würde als alles Gezirpe und
Gepfeife in unsrer Voliöre, sagte sie. Weiter äußerte sie sich nicht.

Tags darauf jedoch bat Hermione um die Erlaubnis, wenn Herr und
Frau Hartig nicht zu Hause seien, den Flügel hin und wieder benutzen zu
dürfen; die Mama habe jetzt so oft Migräne, daß der Doktor verboten habe,
in ihrem Hörbereich auch nur eine Taste anzuschlagen.

Kommen Sie, so oft Sie wollen, sagte Kaspar Benedikt, selbst wenn die
Migräne Ihrer Mama nur ein Vorwand sein sollte, um uns eine Freude zu
machen.

Sind Sie ein Argwöhnischer! lachte Hermione mit ihrem hellsten Lachen,
aber Sie sehen, flunkern ist meine schwache Seite. Also gut: die Mama hat
zwar Migräne, aber ist es Ihnen recht, daß ich auch an Tagen komme, wo
sie keine Migräne hat? Unser Flügel geht entsetzlich schwer, und der Ihre spielt
sich wie von selbst.

Flausen! dachte der Fabrikant, aber man kann ihr nicht böse sein.

Welch ein liebes Mädchen! sagte Frau Anna, als das erste Konzert der
lebendigen Spieluhr zu Ende war, und alles aus dem Kopfe! Ich werde sie
bitten, das nächstemal Noten mitzubringen. Alles aus dem Gedächtnis zu
spielen, muß ja furchtbar angreifen.

Als Kaspar Benedikt allein war, summte es ihm noch eine gute Weile im
Kopfe. So konnte ich, redete er vor sich hin, ganze Tage sitzen und zuhören.
Und es heißt, nichts vererbt sich mehr als Anlage zur Musik. Freilich, wenn


Auf der Leiter des Glücks.

Auch die jungen Schoten hat sie heute ausgekernt; aber mit denen ist der Markt
noch ebenso knapp versorgt. Ich lege keinen Wert darauf. Was mich gefreut
hat, ist die Sicherheit, mit der ihr dergleichen kleine Verrichtungen von der
Hand gehen. Sie ist gut angeleitet. Das hätte ich nicht gedacht.

Ein andresmal sagte er: Ich habe mich immer gewundert, daß unsrer
Villa eins doch sehlt: eine Spieluhr. Hätte ich mir nicht das Wort gegeben,
die Einrichtung auch nicht in der kleinsten Kleinigkeit zu alteriren, so wärest dn
vor einer Überraschung nicht sicher gewesen — an deinem Geburtstagsmorgen
hätte dich so etwas wie ein Choral oder eine unsrer Lieblingsarien aus dem
„Titus" wecken müssen. Damit ist es nichts; wir wissen, wie wir uns gegenseitig
verpflichtet haben, uns in den hier einmal waltenden Hausgeist hineinzuleben
und nicht umgekehrt mit ihm in Fehde zu geraten. Daran darf nicht ein
Titelchen geändert werden. Aber das muß ich sagen: immer eine lebendige
Spieluhr um sich zu haben, das muß ein Genuß sein. Da steht nun im Musik¬
zimmer der schöne Flügel und daneben das prächtige Harmonium. Wann
werden sie einmal benutzt? Wir haben beide nicht Musik gelernt, und nach¬
holen wie das bischen Gürtnerlatein läßt sich dergleichen nicht; die Finger sind
nicht mehr geschmeidig genug.

Frau Anna teilte das Bedauern ihres Gatten. Eine lebendige Spieluhr
wäre freilich, was auch mir mehr Freude machen würde als alles Gezirpe und
Gepfeife in unsrer Voliöre, sagte sie. Weiter äußerte sie sich nicht.

Tags darauf jedoch bat Hermione um die Erlaubnis, wenn Herr und
Frau Hartig nicht zu Hause seien, den Flügel hin und wieder benutzen zu
dürfen; die Mama habe jetzt so oft Migräne, daß der Doktor verboten habe,
in ihrem Hörbereich auch nur eine Taste anzuschlagen.

Kommen Sie, so oft Sie wollen, sagte Kaspar Benedikt, selbst wenn die
Migräne Ihrer Mama nur ein Vorwand sein sollte, um uns eine Freude zu
machen.

Sind Sie ein Argwöhnischer! lachte Hermione mit ihrem hellsten Lachen,
aber Sie sehen, flunkern ist meine schwache Seite. Also gut: die Mama hat
zwar Migräne, aber ist es Ihnen recht, daß ich auch an Tagen komme, wo
sie keine Migräne hat? Unser Flügel geht entsetzlich schwer, und der Ihre spielt
sich wie von selbst.

Flausen! dachte der Fabrikant, aber man kann ihr nicht böse sein.

Welch ein liebes Mädchen! sagte Frau Anna, als das erste Konzert der
lebendigen Spieluhr zu Ende war, und alles aus dem Kopfe! Ich werde sie
bitten, das nächstemal Noten mitzubringen. Alles aus dem Gedächtnis zu
spielen, muß ja furchtbar angreifen.

Als Kaspar Benedikt allein war, summte es ihm noch eine gute Weile im
Kopfe. So konnte ich, redete er vor sich hin, ganze Tage sitzen und zuhören.
Und es heißt, nichts vererbt sich mehr als Anlage zur Musik. Freilich, wenn


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/116>, abgerufen am 23.07.2024.